Verhütung So verändert die Pille das Gehirn

Düsseldorf/Salzburg · Die Pille ist eines der beliebtesten Verhütungsmittel. Mehr als 200 Millionen Frauen nehmen sie nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation weltweit ein. Was sie nicht wissen: Sie führt zu Veränderungen im Gehirn.

 Forscher sehen die Einnahme der Pille zunehmend kritisch, weil sie zu Veränderungen im Gehirn führt. (Symbolbild)

Forscher sehen die Einnahme der Pille zunehmend kritisch, weil sie zu Veränderungen im Gehirn führt. (Symbolbild)

Foto: Shutterstock/kitty

Hormonpräparate gelten als sicheres Mittel der Empfängnisverhütung. Sie funktionieren, weil die in ihnen enthaltenen Botenstoffe auf den Körper wirken und so den Eisprung verhindern. Wie jedes Medikament bringen sie neben der erwünschten Wirkung jedoch mögliche Nebenwirkungen mit sich. Dazu zählen je nach Präparat unter anderem ein erhöhtes Thromboserisiko, sexuelle Unlust, Depressionen oder ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Neuere Studien deuten nun darauf hin, dass das allerdings nicht die einzigen Nebenwirkungen sind. Denn die Antibabypille verändert das Gehirn.

Obwohl das medikamentöse Verhütungsmittel bereits seit einem halben Jahrhundert genutzt wird, gibt es nicht mehr als eine Handvoll Studien, die ihren Einfluss auf das Denkvermögen unter die Lupe nehmen. Aus diesem Grund werden Forscher wie Neurobiologe Hubert Kerschbaum oder Belinda Pletzer von der Universität Salzburg nicht müde darauf hinzuweisen, dass man mit dem Wissen um diese Wirkungsweise der Pille noch am Anfang stehe. Zeitgleich geben sie zu verstehen, wie weitreichend und möglicherweise unumkehrbar die Wirkung des Medikaments sein könnte.

Für Kerschbaum ist klar: "Die Pille hat strukturellen Einfluss auf das Gehirn und beeinflusst die kognitiven Fähigkeiten." Sie kann dadurch zu einer Reihe von Veränderungen im Denken, Fühlen und Handeln führen. Was heißt das konkret? Eine Studie der Universität Salzburg kam vor wenigen Jahren zu dem Ergebnis, dass die Größe einiger Hirnregionen bei Frauen, die die Pille einnehmen, anders ist als bei Frauen, die sie nicht nehmen. Die Veränderungen waren in der grauen Substanz im Frontal- und Temporallappen zu beobachten. Auch eine Arbeitsgruppe der University of California konnte in Zusammenarbeit mit der Harvard Medical School dort Veränderungen feststellen.

Diese scheinen nicht folgenlos zu bleiben. Denn in den betroffenen Hirnbereichen liegt beispielsweise ein Teil des "Schaltkreises", der für die Verarbeitung von Impulsen, Gedanken, Erinnerungen und Emotionen wie Angst zuständig ist. Veränderungen an der Gehirnstruktur können darum beispielsweise Depressionen, Angstzustände oder Stimmungsschwankungen hervorrufen.

Daneben sind auch Hirnbereiche betroffen, die für Funktionen wie das Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Gesichtserkennung oder Sprache zuständig sind. "Beenden Frauen die Einnahme frühzeitig, könnten diese mögliche Konsequenz der Pille reversibel, also umkehrbar, sein", sagt Kerschbaum. Nehmen die Frauen die Pille über viele Jahre weiter, könnte diese Wirkung hingegen unumkehrbar sein.

Auch Neurowissenschaftlerin Julia Sacher weiß um die Veränderungen, die hormonell bedingt im Gehirn passieren. Sie forscht am Max-Planck-Institut Leipzig daran, wie sich das auf Stimmung und Verhalten auswirkt. Die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten: Hormone wie das Östrogen beeinflussen im normalen Zyklus der Frau nicht nur Fruchtbarkeit und Eisprung, sondern auch das Verhalten und die Stimmung. Forscher aus Spanien und den Niederlanden fanden heraus, dass auch eine Schwangerschaft zu Veränderungen im Hirn führt. "Wir wissen also: Ja, hormonelle Veränderungen scheinen auch im menschlichen Gehirn etwas in Gang zu setzen", sagt Sacher. Gezeigt hätten die Untersuchungen zudem, dass solche Hirnveränderungen innerhalb von nur wenigen Tagen sichtbar werden. Inwieweit diese Veränderungen einen positiven oder negativen Effekt auf Verhaltensebene haben, sei individuell verschieden und lasse sich nicht allgemein vorhersagen.

Das räumt auch Kerschbaum mit Blick auf die Einnahme der Pille ein. Auch, was die Nachhaltigkeit des Umbaus im Gehirn angeht, sind noch viele Fragen ungeklärt. Aus der Schwangerenstudie weiß man, dass die Veränderungen auch zwei Jahre später noch bestehen können. Kerschbaum geht in Bezug auf die Einnahme der Pille davon aus, dass die Chance auf eine Rückbildung immer geringer wird, je länger man die Pille einnimmt. Was der Salzburger Neurowissenschaftler daneben zu bedenken gibt: Schon in der Pubertät nehmen viele Mädchen die Pille. Besonders in dieser Entwicklungsphase fürchtet er, könnten die Auswirkungen nachhaltigeren Einfluss haben.

Was aber verändert sich? Konkret konnte im Versuch nachgewiesen werden, dass Pillenanwenderinnen schlechter in der Wortflüssigkeit wurden. Ihre Fähigkeit war beispielsweise eingeschränkt, wenn es um Aufgaben ging wie: "Nennen Sie möglichst viele Pflanzen mit R." Verändern kann die Einnahme der Pille auch die Lust auf Sex.

Auch auf das emotionale Erinnerungsvermögen nimmt die Einnahme des hormonellen Verhütungsmittels Einfluss. In einer Studie erzählte man Frauen von einem Autounfall und zeigte ihnen Bilder dazu. Eine Gruppe hatte hormonell verhütet, die andere Gruppe nicht. Das Ergebnis, als man sie erneut nach dem Unfall fragte: Die die Pille einnehmenden Frauen konnten sich an den Kern der Handlung erinnern, die andere Gruppe eher an die Details. Sogar Feinheiten wie einen Hydranten neben dem Unfallwagen hatten sie behalten.

Auch Kerschbaum stellte dazu eine Untersuchung mit Zahlenpaaren an und kam zum gleichen Ergebnis: Frauen haben den Blick für Details, bei Männern hingegen steht der Überblick im Vordergrund. Die Pilleneinnahme aber führt zu davon abweichenden Effekten: "Frauen, die die Pille nehmen, zeigen eher den Männereffekt".

Ein anderer Bereich der Pillenwirkung betrifft die Partnerwahl: So weiß man seit einigen Jahren, dass Frauen zu unterschiedlichen Zeiten ihres Zyklus unterschiedliche Männertypen mögen. Während des Eisprungs stehen sie auf den Mann Marke "Macho". Der zeichnet sich aus durch seinen hohen Testosteronspiegel und sein dadurch sehr maskulines Aussehen, eine tiefe Stimmlage und seine möglichst weit von der Frau abweichende genetische Konstellation. In den Phasen außerhalb des Eisprungs bevorzugen Frauen hingegen Männer mit einem niedrigen Testosteronspiegel und feminineren Zügen. Der Grund: Diese Männer gehen statistisch gesehen weniger fremd, sind fürsorglicher und bei der Aufzucht des Nachwuchses zuverlässiger.

Diesen genetischen Unterschied in der Abweichung der sogenannten MHC-Gene können Frauen erschnuppern, fanden schottische Forscher heraus. Wie genau das geschieht, weiß man nicht. Aber Forscher wissen, dass sie es tun und auch, warum das sinnvoll ist: Kommen bei der Fortpflanzung verschiedene Resistenzgene zusammen, ist das Immunsystem des Kindes stärker. Es scheint also evolutionsbiologisch sinnvoll zu sein.

Doch die Pille, so zeigen neuere wissenschaftliche Untersuchungen, könnte dieses sinnvolle Natursystem durcheinander bringen. Frauen, die eine Antibabypille einnahmen, entschieden sich plötzlich nicht mehr für die Männer mit dem möglichst anderen Genmaterial, sondern für die Männer, die ihnen sehr gleich waren. Das wiederum, fürchten die schottischen Forscher, könne zu einer genetisch ungünstigen Partnerwahl führen und beitragen zu einem höheren Fehlgeburtsrisiko, Empfängnisproblemen oder längeren Abständen zwischen den Schwangerschaften.

Was vielen zudem nicht klar ist: Eine Antibabypille enthält einen Cocktail verschiedener Steroide. "Die binden sich an verschiedene Rezeptoren", sagt der Salzburger Neurowissenschaftler. Darunter sind auch Steroide wie Nortestosteron, das beispielsweise in androgenen Anabolika, also Muskelaufbaupräparaten, vorkommt. Durch den Einsatz als Dopingmittel weiß man bei höheren Dosen um die Nebenwirkungen und Veränderungen auf den Körper. Auch Neurobiologe Kerschbaum weiß um den Segen der Pille. Dennoch merkt er an: "Wir geben vollkommen gesunden Frauen Steroide, ohne dass man es tun müsste."

Studienautorin Pletzer kritisiert zudem in einem Fachbeitrag in der Zeitschrift "Gehirn und Geist", dass die synthetischen Hormone, die Frauen durch die Pille einnehmen, nicht nur den Spiegel der körpereigenen Hormone senken würden, sondern teils eine deutlich stärkere Wirkung entfalten als körpereigene Geschlechtshormone. Betroffen seien davon nicht nur die weiblichen, sondern auch das männliche Geschlechtshormon Testosteron. Das macht es so schwierig vorherzusagen, wie genau und wie stark die Pille das Verhalten im Einzelfall verändern kann. Darum betont auch Kerschbaum, dass Forschung Not tut. "Jede Frau sollte wissen, dass die Einnahme der Pille Veränderungen bewirkt."

(wat)
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