Fettleber, Hochdruck, Herzprobleme Das sind die neuen Kinderkrankheiten

Düsseldorf · Früher kamen Kinder mit aufgeschlagenen Knien oder Scharlach zum Kinderarzt. Heute hingegen diagnostizieren Mediziner schon bei Grundschulkindern zunehmend Erkrankungen, die man eigentlich von Erwachsenen kennt.

 Oft wird schon im Babyalter (Symbolbild) der Grundstock für Bluthochdruck, Leberverfettung oder Rückenprobleme gelegt.

Oft wird schon im Babyalter (Symbolbild) der Grundstock für Bluthochdruck, Leberverfettung oder Rückenprobleme gelegt.

Foto: Shutterstock/Marlon Lopez MMG1 Design

Besonders, wenn der Nachwuchs klein ist, ist der Kinder- und Jugendarzt eine regelmäßige Anlaufstelle. Engmaschige Vorsorgeuntersuchungen stellen sicher, dass gesundheitliche Probleme frühzeitig erkannt werden und gegengesteuert werden kann. Was manchem komisch vorkommen mag: Dabei gehört es inzwischen zur Normalität in Kinderarztpraxen schon bei Säuglingen den Body-Mass-Index (BMI) zu ermitteln oder rein vorsorglich die Blutdruckmessmanschette anzulegen. Es wird gemacht, weil es nötig ist.

Fettleber — falsche Ernährung vom Babyalter an

Eine aktuelle Übersichtsarbeit aus dem Universitätsklinikum Leipzig zeigt eine besorgniserregende Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen: 7,6 Prozent von ihnen leiden bereits unter einer nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD). Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie (DGVS) spricht gar von bis zu elf Prozent aller Kinder und Jugendlichen hierzulande. Einer Erkrankung, die früher nur bei Erwachsenen diagnostiziert wurde. Rund die Hälfte der Übergewichtigen Erwachsenen hat eine solche Fettleber. Hervorgerufen wird sie durch falsche Ernährung. Oft schon vom Babyalter an.

Denn selbst wenn die Säuglinge — so wie es die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt — die ersten sechs Monate gestillt wurden, beginnt manches Mal das Problem mit der Beikost. Der Markt bietet unzählige Gläschen und Packungen zum Anrühren. "Manche sind hochkalorisch", sagt der Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Hermann Josef Kahl. Ebenso wie viele Babyknabbereien oder süße Tees.

Auch eine ungünstige Ernährungsweise mit Fastfood, Softdrinks und Chips sind so nicht nur Ursache für Übergewicht im Kindesalter, sondern auch für die NAFLD. Wird nicht gegengesteuert, sind die Folgen schwerwiegend: Die Leber entzündet sich und es kommt zu einer nicht mehr umkehrbaren Vernarbung des Gewebes, einer Fibrose, die Leistungsminderung und Abgeschlagenheit zur Folge hat.

Übergewicht, mit dem das Risiko für Krebs und Leberzirrhose steigt

Gleichzeitig steigt das Risiko, an Leberkrebs zu erkranken. Im schlimmsten Fall kann sogar eine Transplantation notwendig werden. "Die Krankheitsbilder ähneln den Folgen langjährigen Alkoholkonsums", sagt Christian Trautwein, Direktor der Klinik für Stoffwechselerkrankungen an der Uniklinik Aachen. Im fortgeschrittenen Stadium droht eine Zirrhose. Sie ist bislang nicht heilbar und verläuft oft tödlich. "Wir schätzen, dass in Deutschland etwa 4.000 Kinder und Jugendliche direkt von der aggressiv fortschreitenden Verlaufsform bedroht sind", so der DGVS-Experte.

Auch andere Studien geben ernsten Anlass zur Sorge. Sie alle zeigen: Die Wohlstandserkrankungen der Deutschen, Bluthochdruck, Diabetes und Arterienverkalkung, sind in den Kinderzimmern angekommen. Das ursächliche Problem: Übergewicht. Etwa 1,9 Millionen Kinder im Alter zwischen drei und siebzehn Jahren sind nach Angabe des Robert-Koch-Instituts übergewichtig. 800.000 Jungen und Mädchen gelten sogar als fettleibig. In Adipositaszentren sieht man Kinder mit den Krankheiten 60-Jähriger.

So erhöht der BMI das Risiko für Bluthochdruck bei Kindern

Heranwachsende mit starkem Übergewicht und einem BMI von 35 haben verglichen mit Teenagern mit Übergewicht und einem BMI von 30 ein um 65 Prozent höheres Risiko für kritische Cholesterinwerte. Bei einem BMI von 40 steigt das sogar auf 89 Prozent an. Die Konsequenz: Beinahe alle dicken Kinder haben laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte schlechte Blutwerte und Bluthochdruck.

Studien legen nahe, dass der wiederum nicht nur zu Gefäßschäden führen, sondern auch die Konzentration und geistige Wendigkeit der Kinder beeinträchtigen kann. Bei Kindern mit Bluthochdruck traten zudem häufiger Schlafstörungen auf.

Herzprobleme nehmen zu

Auch Hermann Josef Kahl sieht das: "Als Kinderkardiologe bekomme ich viel mehr Kinder als früher überwiesen." Er checkt, ob ihr Herz noch richtig funktioniert oder sich bereits Gefäßschäden bemerkbar machen. Denn je höher das Übergewicht eines Kindes ist, desto größer ist die Gefahr dafür und ebenso für entgleisende Cholesterin- oder Blutzuckerwerte. Sie alle gelten als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Die WHO empfiehlt mindestens eine tägliche Bewegungszeit von 60 Minuten. "Denn durch Bewegungsarmut haben viele Heranwachsende zu wenig Muskulatur", sagt Kahl. Daraus resultieren zunehmende Gelenk- und Rückenprobleme, zeigt das Ergebnis einer amerikanischen Studie. Durch zu langes Sitzen leidet das Rückgrat. Amerikanische Experten ermittelten, dass bereits mit sieben Jahren ein Prozent der Kinder Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich hat, mit zehn Jahren sind es schon sechs Prozent. Bei den 14- bis 18-Jährigen leidet fast jeder Fünfte darunter.

Der Kampf gegen die Pfunde

Die Politik hat diese Probleme zwar erkannt und setzt mit verschiedenen Projekten und Initiativen an, um die Betroffenen zu mehr Bewegung zu animieren und sie abzuspecken. Doch die Ergebnisse sind mager. Denn selbst wenn es gelingt, bei den Kindern und Teenagern mit intensiven Kuren und Ernährungsprogrammen die Kilos zum Purzeln zu bringen, ist der Erfolg selten von Dauer.

"Wir müssen die Eltern mehr in die Verantwortung nehmen", sagt Kahl. Darum setzt er auf Initiativen, die beispielsweise das Thema "gesunde Ernährung über verschiedenste Kanäle wie Krankenkassen, Schulen und Kitas verbreiten. Denn durch Ganztagsangebote mangele es oft nicht nur an der Zeit der Eltern, sich damit auseinanderzusetzen, sondern in anderen Fällen am Geld oder der nötigen Kenntnis darum, wie man schnelle und trotzdem nahrhafte Speisen zubereitet, die nicht dick machen.

Übergewicht bei Kindern bleibt damit nach Einschätzung der Autoren der Fettleber-Studie "eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts." Gelingt es nicht, das Ruder herumzureißen, schätzen die Experten, dass bis zum Jahr 2020 rund 60 Millionen Kinder weltweit übergewichtig sein werden.

(wat)
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