Neue Website des Erzbistums Köln "Sterben kann eine gute Lösung sein"

Düsseldorf · Die Webseite "Sterben in Würde" des Erzbistums Köln soll Senioren darauf aufmerksam machen, dass sie medizinische Leistungen auch ausschlagen können. Wir haben mit Thomas Otten, Ethiker beim Erzbistum, darüber gesprochen, wie das mit den Leitsätzen der Kirche vereinbar ist.

Das sind die wichtigsten Fakten
Infos

Das sind die wichtigsten Fakten

Infos
Foto: shutterstock/ Tyler Olson

Herr Dr. Otten, am Montag hat das Erzbistum die Webseite " Sterben in Würde" ins Netz gestellt. Es klingt erstmal befremdlich, dass sich die Kirche für das Sterben engagiert, egal in welchem Kontext.

Otten: Wir möchten damit einen Beitrag zur Diskussion um Sterbehilfe und Palliativmedizin der letzten Jahre leisten. Es wurde ja viel darüber diskutiert, unter welchen Bedingungen in Deutschland Beihilfe zum Suizid geleistet werden darf. Dazu gab es dann Ende 2015 eine gesetzliche Regelung. Die Kirche hat lange die Position vertreten, dass es nur genügend palliativmedizinische Angebote geben müsste, und dann würden die Leute Sterbehilfe gar nicht mehr in Anspruch nehmen wollen. Ich glaube aber, dass das nicht stimmt und ein Fehler ist, und mit dieser Seite möchten wir den Blick in gewisser Weise weiten.

Was genau war daran ein Fehler?

Otten: Weder die Kirchen noch eine andere Instanz hat bislang gut dargestellt, was am Lebensende mit dem Menschen passiert. Zwar wurde immer wieder diskutiert, wie autonom ein Mensch sein Lebensende bestimmen darf, also die Möglichkeit des Suizids, der Sterbehilfe und der Patientenverfügung. Was aber meistens außer Acht gelassen wird ist, dass die Medizin inzwischen oftmals eine solche Eigendynamik hat, dass viele Menschen eine berechtigte Angst haben, am Lebensende therapiert zu werden, obwohl sie es gar nicht mehr wollen. Und für diesen Fall wollen wir mit der Webseite aufklären.

Aber die katholische Kirche ist immer noch gegen Sterbehilfe?

Otten:Ja, das ist sie immer noch. Die Hauptargumentation ist an dieser Stelle, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist und es dem Menschen nicht zusteht, über die Grenzen des Lebens zu verfügen. Es steht uns also nicht zu durch einen Suizid, assistierten Suizid oder Sterbehilfe das Leben zu beenden, weil es heilig ist. Was meiner Meinung nach dabei aber völlig vernachlässigt wird ist, dass in der Medizin inzwischen standardmäßig über die Grenzen des Lebens verfügt wird. Zwei Drittel aller Sterbefälle in Deutschland ereignen sich erst nach der durch Menschen getroffenen Entscheidung, das Sterben nicht mehr zu verhindern. Oft wird dieser Prozess Tage oder Wochen durch die Medizin hinausgezögert. Dazu müssen wir uns positionieren! Und wir möchten darüber aufklären, was man im Vorhinein tun kann, um diesbezüglich Vorsorge zu treffen. Für den Fall, dass man in der Akutsituation nicht mehr dazu in der Lage ist.

Aber müsste sich die Kirche nicht eher dagegen aussprechen, eine Patientenverfügung auszustellen, in der steht, dass Mediziner einen im Zweifel sterben lassen sollen, weil es auch eine Form von Eingriff in Gottes Werk ist, um bei Ihren Worten zu bleiben?

Otten: Salopp gesagt heißt es immer, man soll Gott nicht ins Handwerk pfuschen. Aber ich halte das für eine unsinnige Argumentation, denn in der Realität passiert genau das andauernd. Der bekannte Palliativmediziner Professor Borasio sagt, dass in etwa 50 Prozent alle Sterbefälle in Deutschland vor dem Tod eine Übertherapie stattgefunden hat. Das macht bei bis zu 950.000 Sterbefällen pro Jahr fast 500.000 Menschen, die entweder Therapien bekommen haben, die sie nicht gewollt haben, oder Therapien, die medizinisch nicht indiziert waren.

Was glauben Sie, woher das kommt?

Otten: Es gibt zwei Gründe: Zum einen glaube ich, dass das Angebot der Palliativmedizin zwar gut ist, aber nicht reicht. Mediziner müssten sich insgesamt wieder andere Haltung zum Sterben aneignen - die Palliativmedizin weiß: Der Tod ist nicht in jedem Fall zu bekämpfen! Eine, die würdigt, dass Sterben eine gute Lösung sein kann. Dass es nicht immer eine Katastrophe ist, sondern sogar etwas Gnädiges sein kann. In der Medizin gilt viel zu oft das "Machbare" als wichtigster Leitsatz, aber das ist nicht immer das Beste für den Patienten und schon gar nicht das, was der Patient auch will.

Und was ist der zweite Grund?

Otten: Es gibt ein Buch des Wittener Palliativmediziners Matthias Töns, "Patienten ohne Verfügung". Darin beschreibt er, dass die Überbehandlung am Lebensende oftmals etwas mit finanziellen Anreizen und Interessen zu tun hat. Und das ist auch oft mein Eindruck. Vielleicht benennt dieses Buch das sehr drastisch, letztlich ist es aber ein offenes Geheimnis. Für mich wird an dieser Stelle die Integrität des Lebens bedroht. Mit anderen Worten, es wird sehr viel über den Lebensschutz diskutiert, ich glaube aber, wir brauchen auch einen Sterbeschutz.

Ein interessanter Begriff. Wie sieht Sterbeschutz für Sie aus?

Otten: Es bedeutet, dass wir die Gefährdung menschlicher Integrität auch im Prozess des Sterbens wahrnehmen und uns dazu in der öffentlichen Diskussion zu Wort melden. Es ist darüber hinaus das Recht des Einzelnen selber zu entscheiden, was im medizinischen Ernstfall gemacht werden darf und was nicht. Das ist keine Entscheidung, die Ärzte über den Kopf des Betroffenen hinweg fällen dürfen.

Und wie kann der Einzelne für seinen Sterbeschutz sorgen?

Otten: Der erste und wichtigste Schritt ist, durch eine Vorsorgevollmacht möglichst frühzeitig aus dem Familien- oder Bekanntenkreis einen Vertreter zu ernennen, der im Notfall medizinische Entscheidungen für einen treffen darf. Und das sollte jemand sein, der den Mut hat, den Patientenwunsch auch dann zu vertreten, wenn der Arzt anderer Meinung ist. Rechtlich gesehen, ist das nämlich seine Pflicht. Außerdem macht es sehr viel Sinn, zugleich eine Patientenverfügung zu erstellen, in der festgelegt ist, ob beispielsweise Maßnahmen wie Beatmung, Reanimation oder Magensonde gewünscht sind und wenn, in welchem Fall.

Und was ist, wenn man niemand hat, den man als Bevollmächtigten ernennen kann oder will?

Otten: Die schlechteste Lösung ist immer die, wenn das Betreuungsgericht ein Person zum Betreuer bestellt, die den Betroffenen vorher gar nicht gekannt hat. Diese entscheiden erfahrungsgemäß immer sehr defensiv, oft grundsätzlich für lebensverlängernde Maßnahmen. Wenn es keine Vertrauensperson im persönlichen Umfeld gibt, die sich eignen würde, sollte man sich frühzeitig mit einem Betreuungsverein eines Wohlfahrtsverbandes in Verbindung setzen und mit diesem eine gesundheitliche Vorausplanung in Angriff nehmen. Damit wäre sichergestellt, dass im Betreuungsfall eine Person als Vertreter bestimmt ist, die die Behandlungswünsche auch kennt.

(ham)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort