"Digitale Demenz" Diese Wirkung haben Smartphones auf das Hirn

Ulm · Telefonnummern speichert heute keiner mehr im Kopf, und bei Ahnungslosigkeit googeln wir einfach. Kritiker sehen darin eine echte Gesundheitsgefahr: Sie warnen vor der "digitalen Demenz".

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Foto: dapd, Joerg Koch

Online ist heutzutage jeder. Vom Geschäftsmann bis zum Supermarktverkäufer, fast jeder besitzt ein Smartphone oder ein Tablet - das gilt längst auch für viele Kinder. Einige Psychologen und Hirnforscher aber sehen genau darin eine Gefahr.

Einer von ihnen ist der Hirnforscher Manfred Spitzer. "Es geht nicht um Technologiefeindlichkeit, sondern um unerwünschte Nebenwirkungen, wie in der klassischen Pharmakologie", sagt er. So kennen nur drei von zehn Deutschen die Handynummer ihres Partners auswendig, wie die Umfrage eines Marktforschungsunternehmens zeigt. Spitzer sieht darin eine von vielen Schwächen, die der digitalen Gesellschaft zu schaffen machen. Sie zeigten sich immer häufiger in Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, sagt der renommierte Psychologe und Hirnforscher.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie des Software-Unternehmens Kaspersky Lab. Sie zeigte, dass 91 Prozent der Studienteilnehmer vollkommen abhängig waren von ihren digitalen Geräten. "Wer etwas wissen will, der googelt; seine Fotos, Briefe, Mails, Bücher und Musik hat man in der Cloud. Selbst denken, speichern, überlegen — Fehlanzeige", kritisiert auch Spritzer.

Digitale Technologien beeinflussen Denkstrukturen

Der US-Autor und Wirtschaftsjournalist Nicholas Carr beschäftigt sich ebenfalls seit vielen Jahren mit den Auswirkungen der Digitalen Revolution auf den Menschen. Mit fortschreitender Digitalisierung bemerkt er, dass er Zeitungen und Zeitschriften immer seltener anrührt, er unaufmerksamer wird und schneller abschweift. Viele Studien belegen inzwischen, dass Smartphones und das Internet die Denkstrukturen beeinflussen.

Nicht alle Forscher sehen das allerdings als nachteilig an. Sie sprechen lediglich von einer Verschiebung der Fähigkeiten des Hirns. Es leiste nicht weniger, sondern durchlaufe einen Anpassungsprozess. Durch den Ablageplatz, den digitale Helfer für Informationen bieten, bleibe im Hirn mehr Platz für Neues. Statt sich die Dinge an sich zu merken, behält man nun die Orte, an denen das Wissen abgelegt ist.

So schreibt Colin Blakemore, Neurobiologe an der University of Oxford, im britischen "Guardian": "Als ich in der Schule war, lernte ich Gedichte und Bibelpassagen, gar nicht zu sprechen von seitenweise wissenschaftlichen Lehrbüchern. Was für eine Verschwendung meiner Neuronen, die alle mit Wissen und Regeln verstopft waren, die ich jetzt mit einem einzigen Mausklick abrufen kann." Er sieht in der Digitalisierung im besten Fall keine Bedrohung für den Geist, sondern eine Befreiung.

Nutzung digitaler Geräte lässt Hirn schrumpfen

Unstrittig bleibt indes, dass sich das Hirn durch jede Art der Beanspruchung verändert. Wie stark, zeigen mehrere Studien der Neurowissenschaftlerin Eleanor Maguire. Sie hat im MRT (die Magnetresonanztomographie zeigt Weichteile und Organe des Körpers) sichtbar gemacht, dass im Gehirn eines Taxifahrers der Bereich, der für das Abspeichern von Orten und Neuigkeiten zuständig ist, größer ist als der normaler Autofahrer. Durch das Training wächst also der entsprechende Hirnteil, in diesem Fall der Hippocampus. Entsprechend kann das Denkorgan laut Hirnforscher Spitzer jedoch auch schrumpen. Wie ein Muskel, der nicht benutzt werde.

Ähnlich wirkt sich laut Carr auch die Nutzung digitaler Medien auf die Denkzentrale aus. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Lesen von Online-Texten zu oberflächlichem Lernen und hastigem Denken führt. Durch die Überfrachtung mit Reizen werden — anders als beim Lesen eines Buches — die aufgenommenen Informationen gar nicht im Langzeitgedächtnis abgelegt.

Wer mit dem Laptop schreibt, lernt weniger
Damit wären wir bei der Frage: Schreiben Sie noch mit der Hand oder der Einfachheit halber auf dem Laptop? Das geht deutlich schneller, aber es hat weitreichende Auswirkungen auf das Lernen. In einer aktuellen Studie untersuchten norwegische Wissenschaftler, auf welche Weise Studenten leichter eine Fremdsprache lernen. Dabei zeigte sich, dass sich Handschriftliches besser einprägt.

Zum gleichen Ergebnis kamen auch US-Wissenschaftler. Sie ließen Hand- und Laptopschreiber gegeneinander antreten. Während sie ein Video schauten, sollten sie Notizen anfertigen und im Nachgang in einer Fragerunde unter Beweis stellen, was davon hängen geblieben war. Dabei gab es kaum Unterschiede im Faktenwissen. Ging es aber um Verständnisfragen, lag die Gruppe der Handschreiber klar vorne, und das auch eine Woche später noch. Die Erklärung: Wer mit der Hand schreibt, reflektiert vor der Niederschrift besser. Weil man mit der Hand nicht so schnell schreiben kann wie gesprochen wird, und darum nur Stichworte notieren kann.

Offline denken wir analytischer

In mehreren Forschungsarbeiten, zeigten Wissenschaftler rund um den kanadischen Forscher Nathaniel Barr, dass Vielnutzer von Smartphones eher schnell und intuitiv und weniger analytisch denken. Die Informationssuche übers Mobiltelefon sei demnach kein Zeichen von Intelligenz. Gebildete Menschen müssten nicht online gehen, um ein Problem zu lösen. In seinem Buch "Cyberkrank" schildert er zudem ein Harvard-Experiment, in dem gezeigt werden konnte, wie die Nutzung von Google unser Erinnerungsvermögen verändert. Im Vergleich zu anderen Nachschlagemöglichkeiten in Büchern oder Zeitungen zeigten die Google-Nutzer schlechtere Fähigkeiten, Informationen abzuspeichern und wieder zu benennen.

Talfahrt für soziale Kontakte und Empathie

Neben der Merkfähigkeit verlieren wir durch das Abtauchen ins Internet zudem soziale Fähigkeiten wie zum Beispiel jene, die Emotionen anderer zu lesen. Patricia Greenfield, Professorin für Psychologie an der University of California hat sich mit den messbaren Folgen der Nutzung digitaler Medien befasst und dabei festgestellt, dass Sechstklässler durch eine intensive Mediennutzung eine "verringerte Empfindlichkeit gegenüber emotionalen Signale zeigen und die Fähigkeit verlieren, die Gefühle anderer Menschen zu verstehen." Selbst die Tatsache, dass die digitalen Medien für soziale Interaktionen genutzt werden, ändert ihrer Erkenntnis nach nichts daran, dass die Menschen weniger Zeit mit der Entwicklung sozialer Kompetenzen verbringen.

(wat)
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