Psychologie Sind Selbstgespräche noch normal?

Göttingen/Bamberg · Wer sich beim lauten Selbstgespräch ertappt, der beißt sich peinlich berührt auf die Lippen. Muss er sich Sorgen machen? Nein, sagen die Experten. Denn Selbstgespräche zu führen, hat eigentlich nur Vorteile.

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Foto: dpa/Alvaro Barrientos

Auf dem Parkplatz vor dem Auto rutscht es raus: "Oh, wo hab ich denn meinen Schlüssel?" Einen Gesprächspartner, der antworten könnte, sieht man allerdings nicht. Es wirkt seltsam, wenn Erwachsene vor sich hinreden. Vielen ist es darum peinlich. "Dabei sind Selbstgespräche nicht nur vollkommen normal, sondern sie können sogar helfen", sagt Psychiater und Psychotherapeut Dirk Wedekind von der Universität Göttingen.

Experten stimmen einhellig darin überein, dass Selbstgespräche eigentlich nur Vorteile haben: Sie machen es leichter, Gedanken und Gefühle zu ordnen, Probleme zu bewältigen und helfen zudem, sich Dinge besser zu merken. Woher also kommt die Sorge, das Gespräch mit sich selbst könne pathologisch sein und von anderen als Irresein verstanden werden? Die Antwort darauf gibt Professor Peter Falkai, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik in München: "Es ist außerhalb der Norm, laut mit sich zu sprechen." Tatsächlich kann es auch ein Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung sein. Schizophrene beispielsweise tun es, weil sie auf akustische Halluzinationen antworten, "auf Stimmen, die sie hören", sagt Falkai.

Auch bei älteren Menschen kann man das schambesetzte Phänomen entdecken. Manche reden ihre Einsamkeit weg oder tun es, um ihre Stimme zu hören und sich selbst so wahrzunehmen. Dabei kann das Selbstgespräch an die Stelle des Gesprächs mit einem beispielsweise verstorbenen Partner treten. Das allerdings hat keinen krankhaften Hintergrund. Im Gegenteil: Forscher aus Saarbrücken wiesen nach, dass einsame Menschen die negativen Auswirkungen des Mangels an sozialen Kontakten durch Selbstgespräche kompensieren können. Das laute Sprechen mit sich selbst schützt sie sogar vor körperlichen und geistigen Schäden.

"Mit sich selbst zu sprechen, kann jedoch auch auf eine dementielle Erkrankung hindeuten. Bei einem Drittel dementiell erkrankter Menschen kommt es vor", erläutert Peter Falkai. Das schreckt ab und mag erklären, warum Selbstgespräche oft als Synonym für den geistigen Untergang gelten. "Niemand möchte wirken wie ein alter Mensch, der langsam seltsam wird. Wir wollen nicht als senil da stehen", sagt der Bamberger Psychologe Dietrich Dörner, der selbst intensiv zum Thema "Selbstgespräch" geforscht hat. Entgegen aller Ängste rund um das Phänomen kommt er zu dem Ergebnis: "Selbstgespräche dienen der Selbstreflektion. Sie sind wichtig und sogar empfehlenswert."

Das nutzt nicht nur im privaten Bereich beim Abwägen des Kaufs einer neuen Schrankwand, sondern auch in beruflicher Hinsicht. Wer eine wichtige Präsentation halten muss, tut nach einhelliger Meinung der Experten gut daran, sich vorab intensiv mit seinem Spiegelbild zu unterhalten. "Denn es macht einen Unterschied, ob man einen Vortrag nur im Geiste hält oder sich das ganze laut verbalisiert", betont der Göttinger Psychiater Dirk Wedekind. Es ist mehr als nur eine Art Generalprobe. "Das Selbstgespräch vorher kann eine Veränderung herbeiführen. Man stellt vielleicht fest, dass das Gestotter nicht ausreicht", sagt Dörner. Ein Anlass also, an dem unperfekten Redewerk zu feilen und es zu erörtern. "Sich selbst zu bedenken, einen Einblick in sich selbst zu bekommen", sagt Dörner.

Neben diesen Vorteilen fast Thomas Brinthaupt, Psychologe an der Middle Tenessee Universität vier Gründe zusammen, die Menschen zum Führen von Selbstgesprächen veranlassen.

  • Selbstkritik üben: "Oh nein, bin ich blöd!" oder "Wie konnte ich das nur tun?"
  • Selbstmanagement: Sich also selbst besser zu organisieren und sein Handeln besser vorauszuplanen: "Jetzt brauche ich noch meine Tasche, den Schlüssel, ach — und den Einkaufszettel".
  • Soziale Situationen besser einschätzen können: "Was ist denn mit dem los?" oder "Was sag ich am besten gleich bei der Verabschiedung des alten Chefs?"
  • Selbstbestätigung: "Läuft bei mir" oder "Ich bin gut vorbereitet und schaffe das."

Der Unterschied zwischen dem leisen in sich Hineindenken und dem vernehmbaren Selbstgespräch laut Wedekind dabei der: "Man kann sich besser strukturieren." Das hilft Menschen dabei, die bessere Entscheidung zu treffen. "Dadurch, dass wir Dinge in Worte fassen, holen wir es aus der subjektiven Wahrnehmung heraus. Es kann dann zu einer guten Entscheidungsfindung beitragen, statt ein diffuser Gedanke zu bleiben", führt er fort. Gedankenversunken mit sich selbst zu parlieren, bringt uns mitunter also entscheidend weiter.

Das sieht auch der Bamberger Psychologe Dietrich Dörner so: "Viele schreiben etwas auf, um es sich klarer zu machen. Dadurch bekommen sie Einblick in sich selbst. Auf diese Weise fällt es leichter, Probleme zu lösen." Wie sehr, dass hat Dörner selbst untersucht: Er ließ Maschinenbaustudenten Fahrradständer entwerfen und filmte sie dabei. Es zeigte sich, dass man sich durch lautes Denken erheblich verbessern kann", sagt Dörner. In der Studie legten diejenigen, die laut vor sich hindachten, nach hundert Minuten Konstruktionszeit die besten Entwürfe vor. Der erfolgreichste Konstrukteur hatte sich in der Zeit beinahe 60 Fragen gestellt. Die schlechtesten Lösungen kamen von den schweigsamsten Maschinenbauern. Sie hatten sich in der gesamten Zeit nicht mehr als drei Fragen laut gestellt.

Das stille vor sich hin grübeln gehört jedoch auch aus anderen Gründen auf den Prüfstand: "Selbstgespräche können motivieren", sagt der Göttinger Psychiater Wedekind. Ein Beispiel dafür wie wirkungsvoll das laute Gespräch mit sich selbst ist, kann man bei sportlichen Wettkämpfen beobachten. Dirk Wedekind gibt dafür ein Beispiel: "Ein Fußballer, der sich selbst anfeuert 'Das schaffst du, jetzt haust du den Elfmeter in die Ecke‘, motiviert sich" und steigert auf diese Weise seine Konzentration. Oft sieht man Leistungssportler Dinge vor sich hinmurmeln oder ganze Strecken- und Bewegungsabläufe mit sich selbst durchgehen. So prägen sie sich das ein, was sie kurz darauf schnell und möglichst fehlerfrei abspulen müssen.

(wat)
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