Durchblick im Therapie-Dschungel Wer bei psychischen Krisen hilft

Berlin · Wer Zahnschmerzen hat, der geht zum Zahnarzt. Bei Rückenschmerzen hilft der Orthopäde. Wohin aber, wenn die Psyche Hilfe braucht? Psychologe oder Psychiater? Und was bezahlt eigentlich die Kasse?

Wenn sich dauerhaft trübe Gedanken breit machen, sollte man sich Hilfe holen.

Wenn sich dauerhaft trübe Gedanken breit machen, sollte man sich Hilfe holen.

Foto: Shutterstock/Burdun Iliya

Wenn sich dauerhaft trübe Gedanken breit machen oder unkontrollierbare Ängste aufkommen, dann schreit die Seele nach Hilfe. Die jedoch zu finden, ist nicht einfach: Lange Wartelisten versperren oft den Weg zur direkten Hilfe. Weitaus größer noch ist für viele das Problem herauszufinden, wer eigentlich der richtige Ansprechpartner für das Problem ist. Wann hilft der Psychotherapeut, wann der Psychiater? Was ist eine Verhaltenstherapie und wo setzt eine analytische Psychotherapie an? Bezahlt die Krankenkasse auch die Familientherapie, und wie lange kann ich die therapeutische Hilfe überhaupt in Anspruch nehmen? Die wichtigsten Antworten:

  • Was unterscheidet Psychologen, Psychotherapeuten, Neurologen und Psychiater?

Psychologen absolvieren ein mehrjähriges Universitätsstudium in Psychologie. Dort lernen sie Diagnostik und Grundlagen der Psychotherapie. Sie dürfen aber noch nicht selbständig behandeln.

Psychotherapeuten haben meist ein Studium in Psychologie oder Medizin absolviert. Nach dem Studium können sie noch eine mehrjährige Qualifizierung zum Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten und zum ärztlichen Psychotherapeuten machen. Danach dürfen sie nach wissenschaftlich anerkannten Behandlungsformen wie der Psychoanalyse, der Verhaltenstherapie oder der tiefenpsychologischen Psychotherapie arbeiten.

Psychiater haben Medizin studiert. Im Anschluss daran können sie seinen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie machen. Dann ist der Psychiater nicht nur befähigt, psychotherapeutisch zu arbeiten, sondern darf auch Medikamente verordnen, die den Verlauf der jeweiligen Erkrankung günstig begleiten oder eine Therapie erst möglich machen. Laut der wissenschaftlichen Leitlinien ist häufig aber auch eine nicht-medikamentöse Behandlung ausreichend.

Manchmal können auch körperliche Störungen wie zum Beispiel Störungen des Nervensystems für eine psychische Erkrankung verantwortlich sein. In diesem Fall ist der Neurologe der richtige Ansprechpartner. "Auch bei Verdacht auf Veränderungen im Gehirn hilft der Neurologe weiter", erklärt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Teilweise haben Neurologen jedoch die Zusatzqualifikation als Psychotherapeut.

Hilfe bei der Auswahl des richtigen Arztes bietet der Hausarzt.

  1. Welche Therapie hilft mir?

Auch bei der Wahl des Behandlungsverfahrens führen viele Wege zum Ziel. "Der Patient sollte im Vorfeld selber überlegen, was ihm am meisten helfen könnte", sagt Munz. In Frage kommen in den meisten Fällen vier Verfahren, die alle von der Krankenkasse übernommen werden: eine medikamentöse Therapie, eine Verhaltenstherapie, eine analytische oder eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Munz empfiehlt jedem Patienten, sich selber genau zu überlegen, welches Ziel er verfolgt.

Bei der Verhaltenstherapie geht es darum, dem Betroffenen einen klaren Blick auf seine eigene Situation zu vermitteln. "Man orientiert sich dabei an aktuellen Beschwerden und versucht, das eigene Denken und Verhalten bezüglich der Erkrankung zu verändern", sagt Munz. Durch eine bestimmte Sicht auf Ereignisse ergeben sich beim Betroffenen möglicherweise Fehlannahmen, die es gilt aufzuspüren und zu beseitigen. Eine verhaltenstherapeutische Behandlung setzt auf das Erlernen von Problemlösungsstrategien, das Mobilisieren eigener Stärken und bringt dem Patienten Techniken zur Selbstkontrolle bei.

Bei diesen Problemen eignet sich Verhaltenstherapie: Besonders bei Angst- und Zwangsstörungen ist dieses Therapieverfahren nach Leitlinien die erste Wahl. "Studien zeigen, dass die verschiedenen Verfahren zum Beispiel bei Depression langfristig gesehen zu ähnlich guten Ergebnissen führen", sagt Munz.

Die tiefenpsychologische und analytische Psychotherapie betrachtet die Entwicklung eines Menschen und schließt daraus auf die Erkrankung. Mithilfe der Psychoanalyse rollen sie Erlebnisse und Erfahrungen der Kindheit auf und betrachten, welchen Einfluss sie genommen haben.

Der tiefenpsychologische Ansatz sucht nach dem zentralen Thema für ein Problem und erforscht, wie es dazu kam. "Der analytische Ansatz ist offener. Er ist nicht fokussiert auf ein aktuelles Problem, sondern schaut sich an, wie sich der Patient in unterschiedlichen Situationen erlebt. Die Frage ist hierbei: Was ist das unbewusste Hintergrundthema?", sagt der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Hierbei geht es um eine allgemeine Aufarbeitung eines aus der Kindheit herrührenden, seelischen Konflikts.

  1. Wie lange darf die Therapie dauern?

Eine Kurzzeittherapie umfasst bei einer tiefenpsychologischen Psycho- oder einer Verhaltenstherapie 25 Stunden. Sie ist in beiden Therapieverfahren als Einzel- oder Gruppentherapie möglich.

Bei Erwachsenen kann eine analytische Psychotherapie bis zu 160 Stunden, in besonderen Fällen sogar bis zu maximal 300 Stunden umfassen, so hält es die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses — also der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen fest. Nach Informationen der Bundespsychotherapeutenkammer findet die analytische Behandlung meist mehrmals in der Woche statt und stellt einen längeren Prozess über zwei bis drei Jahre dar.

Die tiefenpsychologische Therapie kann auf 50 Stunden, in besonderen Fällen sogar auf 100 Stunden ausgedehnt werden.

Wer sich für eine Verhaltenstherapie entscheidet, der kann 45 Stunden lang therapeutische Unterstützung in Anspruch nehmen. Dieser Rahmen kann maximal auf 80 Stunden ausgedehnt werden. "Sie findet im Schnitt einmal in der Woche statt, kann vorübergehend jedoch auch häufiger in Anspruch genommen werden", sagt Munz.

Eine Therapiestunde umfasst bei allen Verfahren 50 Minuten.

In den meisten Fällen dauert eine Psychotherapie aber nicht länger als 25 Stunden. Die meisten psychischen Erkrankungen lassen sich also innerhalb eines halben Jahres behandeln.

  1. Was ist eine Familientherapie?

Manche Probleme ergeben sich aus dem Miteinander vieler Personen. Partnerschaftliche Konflikte oder schwierige Konstellationen im sozialen Geflecht einer Familie können sehr belastend werden. Die Systemische Therapie steht für solche Situationen zur Verfügung, insbesondere in Beratungsstellen. Solange jedoch keine Krankheit vorliegt und keine Einzelpsychotherapie sinnvoll ist, nimmt man die Familie komplett beratend zur Seite. Damit ist die Familientherapie eine auf die Bedürfnisse einer Familie zugeschnittene Beratung. Die Kosten hierfür allerdings muss die Familie in der Regel selbst aufbringen.

  1. Wie finde ich heraus, ob der Therapeut der richtige für mich ist?

Vor Aufnahme der Therapie ist es möglich, ohne Überweisung eines anderen Arztes bis zu fünf, bei einer analytischen Psychotherapie sogar bis zu acht Sitzungen in Anspruch zu nehmen. Sie nennen sich probatorische Sitzungen. In dieser Zeit lernen sich Patient und Therapeut kennen und können feststellen, ob die Chemie zwischen ihnen stimmt. Das ist besonders bei einer Psychotherapie wichtig, denn die Behandlungen sind auf einen längeren Zeitraum angelegt, und es werden sehr persönliche, mitunter intime Dinge besprochen. Die Vertrauensbasis sollte also unbedingt stimmen.

  1. Wann erfolgt eine Behandlung stationär und wann ambulant?

"Es gibt Lebenssituationen, in denen es familiäre oder berufliche Konstellationen gibt, die vielleicht nicht krankheitsauslösend, aber -förderlich sind", erklärt Munz. Dann sei eine vorübergehende stationäre Aufnahme in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik sinnvoll. "Ich kann mich beispielweise an eine essgestörte Frau erinnern, die am Arbeitsplatz keine Möglichkeit hatte, regelmäßig zu essen. Das hat dazu geführt, dass die Essstörung trotz anderer Therapieversuche aufrecht erhalten wurde. Wir haben sie daraufhin stationär aufgenommen", so Munz. Der Kreislauf war durchbrochen. Die Klinik vereinbarte dann mit dem Arbeitgeber spezielle Maßnahmen. "In dem Fall hat der Arbeitsgeber dadurch das Problem selbst erstmals wahr genommen und hat dann alles umorganisiert", so der Psychotherapeut.

Ein weiterer wichtiger Grund für eine stationäre Aufnahme ist, "wenn jemand einen starken Impuls hat, sich das Leben zu nehmen oder Ängste, Zwangserkrankungen oder Essstörungen in sehr schwerer Ausprägung vorliegen", sagt Munz. In allen anderen Fällen kommt eine ambulante Behandlung zum Tragen.

  1. Was ist ein psychischer Notfall?

Schockreaktionen, Krisen durch kurzfristige heftige Belastungen oder andere psychische Krisen können dazu führen, dass Menschen sofortige Hilfe brauchen. "Die Ursache für eine akute seelische Notlage können zum Beispiel durch Verlusterlebnisse oder Enttäuschungen, traumatische Erlebnisse, lebensverändernde Umbrüche, Entwurzelung oder psychische Erkrankungen wie Psychosen, Depressionen oder Angststörungen ausgelöst werden", informiert das Informationsportal zur psychischen Gesundheit. "Auch Menschen, die den einzigen Ausweg aus ihren Problemen darin sehen, sich das Leben zu nehmen, sind ein Notfall", sagt Psychotherapeut Munz.

  1. Wo bekommt man seelische Sofort-Hilfe?

Die Notfallaufnahme der psychiatrischen oder psychosomatischen Klinken sind Anlaufstationen für Menschen in akuten Krisen. "Die Ambulanz entscheidet dann, ob eine sofortige Hilfe erforderlich ist. In den psychiatrischen Kliniken liegt der Schwerpunkt dabei eher auf einer medikamentösen Behandlung, psychosomatische Kliniken sehen die Psychotherapie als ihren Schwerpunkt und ergänzen die Behandlung medikamentös."

(wat)
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