Zocken, bis der Arzt kommt Wenn Glücksspiel zur Sucht wird

Duisburg · Mit nur kleinem Geldeinsatz winkt bei Glücksspielen und Sport-Wetten der vermeintliche Jackpot. Manche werden süchtig nach dem Glücksgefühl beim Gewinnen - und verlieren dabei oft alles.

 Wenn das Spiel zur Sucht wird.

Wenn das Spiel zur Sucht wird.

Foto: dpa, ped lre

Es ging nicht um den Gewinn von Geld. Es war Ablenkung, die Robert Fuchs (Name geändert) suchte, als er vor gut 20 Jahren das erste Mal an einem Spielautomaten zockte. Damals war seine erste große Liebe zerbrochen und mit ihr der Freundeskreis des Duisburgers. Die Kneipe mit dem Spielautomaten brachte ihn auf andere Gedanken. "Ich habe mich dort beschäftigt gefühlt. Ob ich Geld gewonnen habe, weiß ich nicht mehr."

Fuchs war damals 20 Jahre alt und steckte mitten in der Ausbildung zum Industriekaufmann. Für den heute 40-Jährigen war es rückblickend eine fatale Entscheidung, Ablenkung im Glücksspiel zu suchen. "Ich wurde fast sofort süchtig danach." Heute hat er drei Therapien hinter sich, mehrere Beziehungen sind an seiner Glücksspielsucht zerbrochen. "Über die Jahre habe ich geschätzt 200.000 Euro verspielt."

Glücksspielsüchtigen gehe es nicht in erster Linie um Geld, sagt Sucht- und Sozialtherapeut Ulf Weidig, sondern um das Erleben. "Sie wollen das Glücksgefühl und die Kontrollillusion beim Gewinnen erleben. Sie suchen die Dopamin-Ausschüttung, die das mit sich bringt." Weidig arbeitet im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Alexianer Bürgerhaushütte in Duisburg. "Glücksspielsüchtige glauben, dass sie nach ihren ersten Erfolgen nur häufig genug spielen müssen, bis ihnen wieder ein großer Wurf gelingt und eventuelle Schulden wieder beglichen werden können." Das steigert das Selbstwertgefühl und unterdrückt negative Gefühle.

Rund 500.000 Menschen sind in Deutschland spielsüchtig

2011 ermittelte eine Studie zu Pathologischen Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE), dass es in Deutschland schätzungsweise eine halbe Million süchtige Glücksspieler gibt. Ihr Verhalten gilt als psychische Störung. Laut der Studie haben darüber hinaus rund 3,5 Millionen Menschen Probleme mit Glücksspiel. Die größte Suchtgefahr geht der Studie zufolge von Spielautomaten aus. Aber auch Roulette, Poker, Black Jack und Sport-Wetten bergen diese Risiken.

Robert Fuchs spielte jedes Mal, bis nichts mehr ging: "Ich habe erst aufgehört, wenn das Geld aus war oder der Laden zugemacht hat." Obwohl er ordentlich verdiente, etwa 2500 Euro im Monat, geriet er ständig in Geldnot. Er beklaute seinen Arbeitgeber und sogar seine Lebensgefährtin. "Nach außen war ich ein vertrauenswürdiger Mensch."

Auffällig bei Spielsüchtigen ist akuter Zeit- und Geldmangel, sagt Weidig. "Oft trotz gutem Einkommen und geregelter Arbeitszeit." Wenn jemand im Job gut verdient und sich dennoch immerzu Geld leihen will, kaum zu Hause ist oder Absprachen nicht einhält, sollten Angehörige misstrauisch werden und nachhaken, empfiehlt er. "Dabei darf man nicht vergessen: Spielsüchtige sind immer auch charmante Schauspieler, die gut lügen können." Stimmungsschwankungen seien ebenfalls ein Anzeichen. "Das kann man durchaus mit Drogensüchtigen vergleichen: Wenn Spieler nicht spielen können, werden sie unruhig."

Spieler sind Verdrängungskünstler

Spieler selbst sind große Verdrängungskünstler, die ihre Sucht nicht als Problem wahrnehmen. Unterbewusst wissen sie häufig, dass ihr Verhalten selbstschädigend ist. Aber: "Das Suchtverhalten dominiert in aller Regel die Vernunft, was als wesentliches Merkmal aller Suchterkrankungen gilt", erklärt Weidig. Oft müsse erst eine persönliche Katastrophe wie Trennung oder Jobverlust passieren, damit die Spielsüchtigen ihr Problem als behandlungsbedürftig erkennen.

Freunde, Familie oder Partner nehmen eine wichtige Rolle ein, weil sie am schnellsten persönliche Veränderungen bemerken. "Nahe stehende Personen sollten Spielsüchtigen klar die Konsequenzen aufzeigen", weiß Fuchs. "Konkret bedeutet das etwa: Zugang zu gemeinsamen Geldern sperren, mit dem Auszug drohen - und das im Zweifel auch in die Tat umsetzen." Fuchs will damit nicht sagen, dass Angehörige Spielsüchtige fallen lassen sollen. Doch die Spieler müssen die Folgen ihres Handelns spüren: "Wenn Androhungen folgenlos bleiben, macht ein Glücksspielsüchtiger einfach weiter. Es gibt dann ja für ihn keinen echten Grund aufzuhören."

Nicht selten geraten Angehörige in die Schuldenfalle, weil sie Kredite übernehmen oder Geld verleihen. Sie hoffen, dass er nicht mehr spielen geht, sobald die Schulden weg sind, heißt es im Buch "Pathologisches Glücksspielen" von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). "Mit dem Geld unterstützen Angehörige in der Regel allerdings nicht die geliebte Person, sondern den glücksspielsüchtigen Anteil des Menschen", heißt es darin weiter.

"Therapieziel ist eine stabile Abstinenz"

Betroffenen helfe nur eine Therapie, sagt Weidig. Der Schwerpunkt liegt dabei auf psychotherapeutischen Gesprächen und Gruppenarbeit. "Im Gespräch mit anderen Betroffenen und spielfreien Menschen reifen die Erkenntnisse über das eigene Problem oft am besten", erklärt Weidig. 60 Prozent der Spielsüchtigen, die bei ihm eine Therapie absolvieren, hätten eine gute Chance nachhaltig spielfrei zu werden. Geheilt werden kann man aber nicht, denn Glücksspielsucht ist eine chronische Erkrankung. "Realistisches Therapieziel ist eine zufriedene und stabile Abstinenz", sagt der Therapeut.

Robert Fuchs hat mehrere Rückfälle erlebt. Aktuell ist er spielfrei - und ohne Arbeit. In seinen alten Job als Industriekaufmann kann und will er nicht zurück. "Geld ist für mich gefährlich, ich kann es für andere nicht verwalten." Fuchs macht nun eine Umschulung im sozialen Bereich. Er habe gerade kein Vermögen, das sei jedoch nicht schlimm.
"Alle Schulden sind bezahlt, es fehlt an nichts." Trotzdem begleitet ihn seine Sucht weiter: Seit vier Jahren geht er inzwischen zur Therapie. Er ist abstinent. Geheilt sein wird er nie.

(dpa)
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