Psychologie Wie Depressionen und Schmerzen zusammenhängen

Aachen · Wer unter chronischen Schmerzen leidet, der bekommt schneller Depressionen. Doch beides ist auch in die andere Richtung viel enger verzahnt, als die meisten denken: Seelischer Druck kann körperliche Leiden auslösen. Lesen Sie hier, wie Psyche und Schmerzen zusammenhängen und wie Betroffene aus dem Teufelskreis herausfinden.

Schmerzen drücken auf die Stimmung. Das kann jeder nachvollziehen, dem schon einmal über Tage der Rücken bei jeder Bewegung schmerzte. Dass Menschen, die chronisch unter Schmerzen leiden irgendwann derart in ein ebenfalls krankhaftes Tief abrutschen und depressiv werden können, ist schon lange bekannt. Es scheint so selbstverständlich zu sein, dass man es dabei belassen möchte. Das aber hätte schwerwiegend Folgen für die Behandlung Betroffener gehabt.

Denn in 50 Prozent der Fälle treten Schmerz und Depression zwar gemeinsam auf. Dabei ist aber nicht immer die seelische Schieflage Folge chronischen Schmerzes. Es kann auch umgekehrt sein. Depressive empfinden so zum Beispiel oft Scherzen intensiver. Manchmal ist der Schmerz sogar ein Symptom der Depression.

Missempfindungen in der Brust oder Rückenschmerzen gehören zu den typischen Qualen, die sich in Zusammenhang mit dem seelischen Ungleichgewicht zeigen. Daraus entsteht schnell ein Teufelskreis. "Wenn jemandem der Rücken schmerzt, geht das häufig einher mit der Sorge etwas sei körperlich nicht in Ordnung", sagt Dr. Klaus Mathiak, leitender Oberarzt für Psychosomatik am Uniklinikum Aachen. Der Betroffene nimmt eine Schonhaltung ein, bewegt sich weniger und fokussiert sich auf das quälende Missgefühl.

Nachgewiesener Maßen sind in über 80 Prozent der Fälle Rückenschmerzen aber zum Beispiel nicht durch funktionelle, also körperliche Ursachen, hervorgerufen. Meist sind es Dauerstress oder andere psychisch wirkende Faktoren, die das Problem verursachen, sagt die Deutsche Schmerzgesellschaft. Diese Dynamik macht es Menschen, die gerade in einer depressiven Episode stecken, besonders schwer.

Typische Anzeichen einer Depression wie Antriebslosigkeit und sozialer Rückzug werden auf diese Weise weiter verstärkt. "Denn wenn es einem psychisch schlecht geht, schmerzt der Rücken einfach noch mehr als sonst", weiß Mathiak aus dem klinischen Alltag.

Dauernde Schmerzen können Depressionen verschlimmern und noch mehr: Studien haben gezeigt, dass Menschen mit chronischen Schmerzen ein dreimal höheres Risiko tragen, eine Depression oder andere psychische Erkrankung wie zum Beispiel Angstzustände zu bekommen. Sie können sogar die Wahrscheinlichkeit für einen Suizid erhöhen. Umgekehrt entwickelt die Hälfte chronisch depressiver Menschen Schmerzen, ohne dass dafür eine körperliche Ursache gefunden werden kann.

Schmerzforscher führen das auf einen Mechanismus zurück, der uns im positiven Sinne hilft. So nehmen wir zum Beispiel schmerzende Verletzungen oder blaue Flecken weniger stark wahr, wenn wir mit Feuereifer einer Sache nachgehen. Das Gehirn leitet dann körperliche Schmerzsignale so weiter, dass wir in der Lage sind, uns auf unsere Aktivität zu konzentrieren. Oft bleiben dann kleine Prellungen ganz unbemerkt. Dieser Mechanismus erklärt auch, warum Menschen in Gefahrensituationen trotz Verletzungen weiter funktionieren. Erst im Anschluss bemerken sie ihre blutende Wunde.

Anders ist das, wenn Menschen in früheren Jahren durch schwere Unfälle, Krankheiten, aber auch psychischen oder sozialen Stress überfordert waren. Stress bewahrt sie dann nicht vor schlimmerem, sondern sensibilisiert sie so sehr, dass ihr Körper den eigentlichen Alarm-Mechanismus umkehrt. In Folge dessen können sich einschneidende Erlebnisse wie der Tod eines nahen Angehörigen oder schwierige Konflikte in Familie oder Beruf über körperliche Schmerzen äußern. Ihr Gehirn leitet das Schmerzsignal anders weiter. Sie sind dann nicht mehr in der Lage, sich auf die Außenwelt zu konzentrieren, sondern richten ihre volle Aufmerksamkeit auf den Schmerz.

Ein anderer Zusammenhang zwischen Schmerz und Psyche könnte sich nach Meinung der Forschung aus der Struktur und Funktion des Gehirns ergeben. Dort gibt es viele Überschneidungen zwischen der Verschaltung von Schmerzsignalen und sogenannten affektiven Störungen wie Angst oder Depression. Forscher der University of Michigan zeigten in einem Experiment, dass seelischer Schmerz in der gleichen Hirnregion wahrgenommen wird wie körperliche Pein. Fließt also heißer Kaffee über unsere Hand, nimmt unter anderem der somatosensorische Kortex diesen schmerzenden Reiz auf und verarbeitet ihn. Die gleiche Hirnregion wird auch angesprochen, wenn eine Beziehung in die Brüche geht und für Herzschmerz sorgt.

Einige Neurotransmitter, die das Gehirn nutzt, um Schmerzsignale zu empfangen und zu verarbeiten, regulieren und steuern auch die Stimmung eines Menschen. Dazu gehören Serotonin und Noradrenalin. Das zu wissen, hilft bei der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome und Depressionen. Es erklärt, warum Antidepressiva auch Schmerzpatienten helfen können.

"Fast jedes Medikament, das in der Psychiatrie Verwendung findet, kann auch verwendet werden um als Schmerzmittel zu dienen", hält die Harvard Medical School in einer Fachpublikation dazu fest. Dabei spielen sogenannte trizyklische Antidepressiva wie Triptylin eine besondere Rolle. Sie heben die Konzentration des Serotonins im Hirn und gelten als Standardsubstanz in der somatischen Schmerzbehandlung. "In diesem Bereich wirken sie oft in viel niedrigerer Dosierung als in der Behandlung von Depressionen", sagt der Aachener Psychosomatiker Klaus Mathiak. Auch ihre beruhigende Eigenschaft kann für Menschen, die Schmerzen haben, hilfreich sein. Ihr Nachteil liegt vor allem in Nebenwirkungen wie Appetitsteigerung und Gewichtszunahme oder anhaltender Tagesmüdigkeit.

Daneben kommen in der Behandlung von Schmerz und Depression Antidepressiva zum Einsatz, die zur Gruppe der sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gehören. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie besser vertragen werden als viele Schmerzmittel und bezüglich ihrer möglichen Nebenwirkungen gegenüber trizyklischen Medikamente als unproblematischer gelten. Gleich ist beiden, dass sie in den Gehirnbahnen die Stimmung und die Schmerzwahrnehmung regulieren.

Nichtmedikamentöse Behandlungsansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie konzentriert sich eher darauf, bei den Betroffenen grundsätzliche negative Denkabläufe oder Verhaltensweise zu verändern. "Dabei ist es wichtig, die Wahrnehmung von Schmerz zu verändern", sagt Mathiak. Die Betroffenen lernen in der Therapie, dass ihr körperliches Leid nicht bedrohlich ist und man sich deshalb auch nicht schonen muss. Oft liegt dabei das Augenmerks der Therapeuten darauf sogenannte "Hypererreger" zu identifizieren, also alles, was triggernd auf die Schmerzsituation wirken kann.

Vorteil der Psychotherapie: Sie wirkt oft schneller und länger anhaltend, sagt Dr. Klaus Mathiak. Denn Psychopharmaka müssen in der Regel zunächst über zwei bis drei Wochen eingenommen werden, bis sie Wirkung zeigt. Setzt man sie ab, kann es passieren, dass die Beschwerden wiederkehren. Welche Therapieoptionen für den einzelnen Sinn machen, bestimme die Ärzte im Gespräch mit den Betroffenen. Pauschale Empfehlungen gibt es hierzu nicht.

Neben der klassischen medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlung gibt es weitere Möglichkeiten, das Wohl des Patienten wiederherzustellen: Gemeinsam mit Physiotherapeuten versucht man durch Bewegung den Teufelskreis von Schmerz und Unbeweglichkeit zu durchbrechen und damit auch die Depression zu lindern. Denn auch die körperliche Bewegung wirkt schmerzlindernd. Sie erhöht den Endorphin- und Serotoninspiegel und wirkt sich auf diese Weise stimmungsaufhellend aus. Zum Einsatz kommen daneben auch Entspannungstechniken, Meditation oder Lichttherapie. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, wie Meditation bei Depressionen hilft, lesen Sie hier weiter.

(wat)
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