Düsseldorf Grippe, Noro, Masern - wie Viren uns im Griff haben

Düsseldorf · Viele Infektionen gehen auf Viren zurück. Wir erklären, wie sie überleben und warum sie so schwer zu besiegen sind.

Kein Monat vergeht, dass nicht ein Virus an unsere Tür klopft oder mit dieser Tür heftig ins Haus fällt. Grippe, Noro, Masern, Ebola, Hepatitis, Röteln, SARS, MERS, Zika, Rota, HIV, Herpes - Virologen haben heutzutage viel zu tun, und auf jeder Türklinke lauert der nächste Erreger. Verdächtig ist die Unaufhaltsamkeit, mit der ferne, angeblich regional gebundene Viren zu uns zu kommen scheinen. Chikungunya, Dengue, West-Nil - die globale Gesellschaft transportiert Viren in Flugzeugen, auf Schiffen, in Eisenbahnen; sie reisen mit Vogelschwärmen ins Land, und mancher, der gesund in den Urlaub reist, kommt - je nach Reiseziel - krank zurück. Dann wird jeder behandelnde Arzt überlegen, ob er es möglicherweise mit Viren zu tun hat. Und hoffen, dass die Erkrankung seines Patienten von selbst abheilt.

Auch in diesen Tagen kommen Viren über uns wie Fliegen, tatsächlich oft als Tröpfcheninfektion durch die Luft. Die Influenza-Rate mit der saisonalen Grippe ist bereits höher als in den Vorjahren, wo sie schon hoch schien, und bei den Noroviren schlagen Epidemiologen ebenfalls Alarm. Schließlich meldete sich auf wieder anderem Gefechtsfeld der Präsident des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, mit einer Klage: "Es ist wirklich schlimm, dass Deutschland inzwischen in Europa das Schlusslicht der Masern-Elimination darstellt."

Warum sind Viren so heimtückisch? Und warum werden wir ihrer so schwer Herr? Ortwin Adams, Professor für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, erklärt das System, das Viren zum Überleben und zur Vermehrung brauchen. "Sie brauchen eine Wirtszelle und dessen Stoffwechsel, um sich dort einzunisten und sich zu vervielfältigen." Man könne ein Virus mit einer CD vergleichen, die nur dann klingt, wenn man sie in einen CD-Player schiebt. "Sind sie in diese Wirtszelle gelangt, verhalten sie sich wie Schmarotzer." Dadurch, so Adams, wird die Behandlung einer Virus-Erkrankung so schwierig: "Man läuft immer Gefahr, dass auch die Wirtszelle bei der Therapie geschädigt wird - das aber muss man unbedingt vermeiden." Ein weiteres Hindernis etwa für eine medikamentöse Behandlung und vor allem für die Entwicklung eines effektiven Impfstoffs ist die Tatsache, dass sich Viren so schnell verändern. Kaum ist dieser Impfstoff entwickelt, hat das Virus eine neue genetische Gestalt angenommen und wird von einer Impfung nicht mehr erreicht. Adams: "Bei manchem Virus kristallisiert sich plötzlich ein neuer Subtyp heraus, und der reist dann erst einmal um den Erdball."

Allerdings können Virologen sehr ermutigende Erfolge vorweisen, die vor allem die chronischen Virus-Infektionen betreffen. "Bei HIV oder bei Hepatitis B und C ist die Entwicklung wirklich sehr positiv." Das Problem seien weiter die Akut-Infektionen. Adams: "Man spürt die Krankheit eigentlich erst dadurch, dass die Immunabwehr einsetzt. Dann aber ist der Erreger auf dem Höhepunkt seiner Potenz, und es ist sehr schwer, ihn zu bezwingen."

Die Gefahr, dass tropische Viren dauerhaft zu uns nach Mitteleuropa kommen, hält Adams allerdings für gering. "Wir können das genau nachverfolgen, wie bestimmte Tigermückenarten, die mit Dengue-Viren infiziert waren, in die USA importiert wurden - in alten Autoreifen, die von Kontinent zu Kontinent transportiert wurden und den Mücken das perfekte Milieu zum Überleben boten." Trotzdem brauchen gewisse Mücken, die als sogenannte Vektoren für die Verbreitung von Viren sorgen, auf Dauer ein für sie optimales Klima. "Und das ist bei uns im Gegensatz zum Äquator-Raum nicht gegeben."

Virus-Erkrankungen wie die Influenza-Grippe oder die Norovirus-Infektion bleiben laut Adams statistisch oft im Verborgenen. "Ein Hausarzt gibt ja in der Regel keinen Erregernachweis durch ein Labor in Auftrag, das belastet sein Budget zu stark." Allerdings werden derzeit neue Schnelltests entwickelt, die solche Kosten künftig deutlich senken können.

Grippe - schon jetzt weit mehr Fälle als in den Vorjahren

Der Kopf ist schwer, die Glieder schmerzen, dann setzt das Fieber ein, gefolgt von Husten und Schnupfen: Die Grippesaison hat offiziell begonnen. In der Wintersaison 2016/17 verbreiten sich die Influenza-Viren allerdings ungewöhnlich früh. Seit der 51. Kalenderwoche im vergangenen Jahr sind die gemeldeten Grippefälle (Influenza) beim Robert Koch-Institut (RKI) deutlich gestiegen.

2600 Influenza-Fälle bestätigt das Labor des RKI bisher. Es kam zu neun Todesfällen. Während das RKI in den meisten Bundesländern trotzdem eine moderate Erhöhung der akuten Atemwegserkrankung (ARE) verzeichnet, wird in NRW demnach "eine stark erhöhte ARE-Aktivität" festgestellt. Laut RKI ist die Häufigkeit der Atemwegserkrankungen ein gutes Kriterium zur Einschätzung der Grippeviren-Aktivität. Vor allem die Regionen Münster, Paderborn, der Raum Bonn/Aachen, das Rheinland und das Ruhrgebiet sind betroffen.

Doch längst nicht alle Erkrankungen werden gemeldet, die Dunkelziffer dürfte gerade bei den Influenza-Fällen höher liegen. "Es gibt schon eine deutliche Virus-Zirkulation", sagt Silke Buda, Sprecherin des RKI. Die Situation erinnere an die Saison 2014/15. Damals starben nach RKI-Schätzungen rund 20.000 Menschen an Grippe. Buda will die aktuelle Situation nicht überbewerten: "Aber wir haben da ein Auge drauf. Ein besorgtes."

Kinder, Senioren und Menschen mit Vorerkrankungen sollten folglich möglichst vorsichtig sein. Regelmäßiges Händewaschen gilt als eine der besten Maßnahmen gegen eine Infektion mit Influenza-Viren. Experten raten auch jetzt noch zu einer Grippeimpfung. Allerdings ist dann zu beachten, dass erst zwei Wochen nach der Injektion auch der Schutz vor der Krankheit hergestellt ist.

Der Impfstoff enthält den Erreger in abgeschwächter Form, wodurch das Immunsystem zur Produktion von Antikörpern gegen den Erreger angeregt wird. Die Impfung kann in einzelnen Fällen leichte Erkältungssymptome hervorrufen, die allerdings schnell abklingen. Abgedeckt werden mit der Impfung die saisonal gängigsten Influenza-Erreger. Weil sich Viren permanent genetisch verändern, kann es sein, dass der Impfstoff einer Saison nicht optimal gegen alle Erreger, die im Umlauf sind, schützt.

Noroviren - Antikörper schützen nicht gegen alle Virustypen

Ähnlich massiv wie Grippe-Viren tummeln sich derzeit auch Noroviren. Innerhalb ihrer Familie gibt es ebenfalls Varianten, die alle eine ganz unterschiedliche Abwehrreaktion des Immunsystems hervorrufen. Die Antikörper, die sich dabei entwickeln, schützen nicht gegen alle Norovirus-Typen. "Daher entwickelt der Körper keine sichere Immunität, und man kann durch die Infektion mit einem anderen Virustyp erneut erkranken", sagt Ingo Greiffendorf, Oberarzt für Infektiologie am Krankenhaus St. Franziskus in Mönchengladbach. Dies ist auch einer der Hauptgründe, warum es keine Impfung gibt.

Norovirus-Infektionen treten gehäuft in den Herbst- und Wintermonaten auf. In der aktuellen Norovirus-Saison ist ein deutlicher Anstieg der Infektionen und ein sehr früher Beginn der Saison im Vergleich zu den Vorjahren zu erkennen. Bis Mitte Dezember 2016 wurden fast doppelt so viele Infektionen verzeichnet wie im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor. "Dafür ist tatsächlich eine neue Virusvariante verantwortlich", sagt Greiffendorf.

Die Übertragung des Virus läuft in der Regel von Mensch zu Mensch durch eine sogenannte "Schmierinfektion" über Stuhl oder Erbrochenes. Dabei sind nur sehr wenige Viren nötig, um die Krankheit auszulösen. Die Norovirus-Infektion ist daher hochansteckend, weswegen es immer wieder zu den gefürchteten Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Altenheimen und Krankenhäusern kommt. "Diese Personengruppe ist auch besonders gefährdet", warnt Greiffendorf. Üblicherweise dauert der Brechdurchfall zwei Tage und heilt folgenlos aus. Spezielle Medikamente oder gar Antibiotika helfen nicht und sind zum Teil kontraproduktiv. Wichtig ist, dass der Patient den Flüssigkeitsverlust über elektrolythaltige Getränke ausgleicht. Dies gelingt Bewohnern von Altenheimen häufig nicht in ausreichendem Maße und führt nicht selten aufgrund der körperlichen Austrocknung zur Krankenhauseinweisung. Ansteckend sind Erkrankte während der akuten Phase und mindestens noch ein bis zwei Tage nach Abklingen der Symptome, selten bis zu vier Wochen nach akuter Erkrankung. Dies ist wichtig zu wissen, damit keine unbewusste Weiterverbreitung erfolgt. Um eine Übertragung zu verhindern, sollte man auf eine penible Toiletten- und Händehygiene mit häufigem Händewaschen mit Wasser und Seife achten. Während der akuten Erkrankung sollten zwischenmenschliche Kontakte eingeschränkt werden. Ein Tipp des Infektiologen Greiffendorf: "Wichtig zu wissen ist, dass nicht alle im Einzelhandel erhältlichen Hände- oder Flächendesinfektionsmittel Noroviren abtöten. Ein Blick auf das Kleingedruckte lohnt sich."

Masern - viele Kinder werden zu spät geimpft

Mit seiner dünnen Hülle hasst das Masernvirus Licht, Luft, Hitze, Reinigungslösungen und Desinfektionsmittel. Aber die Zeit seiner Aktivität nutzt es wie ein Berserker. Von allen Keimen besitzt das Masernvirus den höchsten Ansteckungsindex: Von 100 nicht geimpften Leuten, die ein Masernkranker anhustet oder anniest, infizieren sich 95. Beim Streptokokken-Typ, der Scharlach auslöst, liegt der Index bei 50, bei Röteln bei 15. Deshalb sollte man das Masernvirus und die Gefahr der Tröpfcheninfektion kennen, fürchten und per Impfung unschädlich machen.

Erstmals hat jetzt das RKI die absolute Zahl der Kinder hochgerechnet, die zum empfohlenen Zeitpunkt nicht oder nicht vollständig gegen Masern geimpft sind. Die erste Masernimpfung wird für den Altersbereich von 11 bis 14 Monaten empfohlen, die zweite Impfung für 15 bis 23 Monate alte Kinder. Im Alter von 24 Monaten waren bundesweit 150.000 Kinder des Jahrgangs 2013 nicht vollständig und weitere 28.000 Kinder gar nicht gegen Masern geimpft. Die Problemregionen liegen in den Ballungsräumen. Für die zweite Masern-Impfung der Kinder im Alter von 24 Monaten ist jedoch ein Aufwärtstrend zu beobachten. Es könnte sein, dass die heftigen Masern-Epidemien der Vergangenheit hier vor allem bei Eltern ein Umdenken bewirkt haben. Trotzdem bleibt es beim Befund des RKI-Präsidenten, dass Deutschland den Kampf gegen Masern vorerst verloren hat. Rote Laterne Europas!

(RP)
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