Studie entlastet "Patient Null" Wie Aids wirklich die USA erreichte

Tuscon · Eine neue Studie zeichnet nach, wie das Virus HIV-1 in die USA gelangte. Sie spricht einmal mehr jenen Flugbegleiter frei, der lange fälschlich als Quelle der Pandemie diffamiert wurde.

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Foto: dpa/Lukas Schulze

Dass es in den USA schon vor der Entdeckung von Aids zu HIV-Infektionen kam, galt lange als gesichert. Doch ab wann genau und wie sich das Virus in Nordamerika verbreitete, war bisher unklar.

Forscher um Michael Worobey von der Universität von Arizona legten jetzt eine umfangreiche Rekonstruktion der frühen Phase der Aids-Pandemie vor. Mit einer neuen Technik gelang ihnen, aus 2000 archivierten Blutserumproben von 1978 und 1979 acht HIV-Genome zu entschlüsseln.

Die Analysen ergaben zunächst, dass schon in den späten 1970er Jahren in New York 6,6 Prozent und in San Francisco 3,7 Prozent der Proben Antikörper gegen die HIV-Variante (Subtyp B der HIV-1 Gruppe M) enthielten, die heute weit verbreitet ist.

Aus insgesamt acht dieser Proben rekonstruierten die Forscher dann das Erbgut der damaligen HIV-Erreger. Deren Analyse ergab, dass sie vermutlich von Virusvarianten in der Karibik abstammten. Schon vorher war angenommen worden, dass das Virus von Afrika über Haiti die USA erreichte. Worobeys Studie erhärtet diesen Verdacht.

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Mithilfe der Mutationsraten berechneten die Forscher, dass ein Vorläufer des Virustyps vor 1970 in der Karibik zirkulierte. Demnach erreichte HIV die USA zwischen 1969 und 1973. Dort verdoppelte sich die Zahl der Infizierten anfangs etwa alle zehn Monate.

"Die Untersuchungen zeigen, dass die Infektionen in Kalifornien, die später zur Entdeckung von Aids führten, Erreger aus New York City waren", sagte Michael Worobey im amerikanischen Wisschenschaftsmagazin "Nature'.

San Francisco erreichte das Virus demnach um 1976. Bereits ein Jahr später hatte die Zahl der Infizierten in den USA die in der Karibik, wo HIV deutlich früher ankam, überholt. Erstmals beschrieben wurde die Immunschwächekrankheit Aids 1981 in den USA, nachdem bei homosexuellen Männern in amerikanischen Großstädten gehäuft eine seltene Lungenentzündung festgestellt wurde. Zwei Jahre später wurde HIV als Ursache identifiziert.

Die Studie räumt erneut mit der Legende vom "Patient Zero" auf: Die falsche Behauptung, Gaétan Dugas, ein homosexueller frankokanadischer Flugbegleiter habe eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung von HIV in Nordamerika gespielt. Die Forscher konnten zeigen, dass er Anfang der 1980er Jahre lediglich einer unter vielen Tausenden HIV-Infizierten in den USA war.

Die Analyse seines HIV-Genoms bestätigte zudem, dass es sich um einen zu dieser Zeit bereits verbreiteten Stamm und nicht um die nordamerikanische "Urform" handelte. Diese muss den Kontinent schon gut zehn Jahre früher erreicht haben. Vor seinem Tod 1984 hatte der Flugbegleiter mit umfangreichen persönlichen Angaben zur Erforschung von Aids beigetragen.

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Foto: dpa, Bodo Marks

Zu seiner Diskreditierung trug neben seinen zahlreichen Reisen vermutlich auch bei, dass er in Dokumenten der Behörde auch als Patient O bezeichnet wurde, wobei O für "Out(side)-of-California" stand. Aus dem Großbuchstaben O wurde mehrfach eine Null — einschließlich der Fehlinterpretation, es sei der ‘Patient 0', also um jene Person, von der die Krankheitsausbreitung ihren Ausgang nahm.

An den Folgen der durch das HI-Virus ausgelösten Immunschwäche starben weltweit Abermillionen Menschen, allein 2015 waren es 1,5 Millionen. Laut Weltgesundheitsorganisation leben derzeit etwa 36,7 Millionen Menschen mit der Aidserkrankung.

(jj)
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