Studie zu Palliativversorgung NRW: Fast 50 Prozent der Senioren sterben im Krankenhaus

Gütersloh · Fast 80 Prozent der Deutschen wünschen sich, Zuhause sterben zu können. Die Realität sieht jedoch oft anders aus: 46 Prozent der älteren Deutschen sterben im Krankenhaus. Besonders hoch liegt die Quote im bundesweiten Vergleich in NRW hier sterben sogar 49 Prozent der Patienten im Krankenhaus. In vielen Fällen könnte das vermieden werden, so die Studie.

NRW: Fast 50 Prozent der Kranken sterben im Krankenhaus
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Schwerkranke und Sterbende benötigen besondere Zuwendung und Betreuung die sogenannte Palliativmedizin. Sie wird dann eingesetzt, wenn bei einer weit fortgeschrittenen Krankheit keine Chance mehr auf Heilung besteht und die Lebenserwartung begrenzt ist. Dabei geht es um die Verbesserung der Lebensqualität und nicht um die Verlängerung der Lebenszeit.

Eine wichtige Frage für die psychische Verfassung der Patienten ist, wo sie ihre letzten Tage verbringen: in den gewohnten vier Wänden, im Hospiz oder in einem Krankenhaus? Nur sechs Prozent der Deutschen möchte in einem Krankenhaus sterben, sogar nur zwei Prozent in einem Pflegeheim. Wie der aktuelle "Faktencheck Gesundheit" für die Palliativversorgung in Deutschland der Bertelsmann-Stiftung jedoch zeigt, passiert in jedem zweiten Sterbefall bei über 65-Jährigen genau das.

Besonders hoch sind die Zahlen in NRW und Berlin: 49 Prozent der Sterbenden befinden sich hier während ihrer letzten Lebenstage im Krankenhaus. Das sind mehr als in allen anderen Bundesländern. Gleichzeitig verbringen in NRW ältere Menschen auch besonders viel Zeit im Krankenhaus. Allein im Jahr 2013 waren das durchschnittlich 4,5 Tage. Mehr Tage wurden nur im Saarland registriert (4,6).

Wenig ambulante Palliativmediziner, viele Tage im Krankenhaus

Etwas verständlicher werden diese hohen Zahlen beim Blick auf die Anzahl ambulant tätiger Palliativmedizinern in NRW: auf 100.000 Einwohner kommen hier im Durchschnitt 5,2 der speziell ausgebildeten Ärzte. In Berlin sind es sogar nur 3,2 ambulante Palliativmediziner auf 100.000 Einwohner. Die beste Versorgung hat Niedersachsen. 8,2 Palliativmediziner pro 100.000 Einwohner kümmern sich hier im Durchschnitt. Damit liegt NRW im bundesweiten Vergleich im Mittelfeld.

Diese Zahlen erklären laut der Studie außerdem, warum es in NRW zu so vielen Krankenhausaufenthalten innerhalb der letzten sechs Monate von Sterbenden kommt: Es fehlt an ausgebildeten Spezialisten für die ambulante Betreuung Zuhause und zugleich bieten gerade die Krankenhäuser in den großen Bundesländern eine hohe Aufnahmekapazität. Die Folge: In NRW verbringen Sterbende im Durchschnitt 20 Tage ihrer letzten sechs Lebensmonate im Krankenhaus. Damit führt das bevölkerungsreichste Bundesland mit Berlin und Bayern die Liste an.

In Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen ist die Versorgung besonders gut

Dagegen haben sich in Hessen mehr als doppelt so viele Ärzte zusätzlich palliativ qualifiziert wie in Thüringen. In Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein arbeiten besonders viele ambulant arbeitende Palliativmediziner, die ihre Patienten Zuhause versorgen.

Hier ist die Quote der Menschen, die im Krankenhaus sterben, entsprechend geringer. In Bundesländern mit stark ausgebauten stationären Angeboten sterben mehr Menschen in Kliniken als im Bundesschnitt.

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Ausbau der Palliativversorgung notwendig

Angesichts der großen regionalen Unterschiede in Deutschland, fordern Experten der Bertelsmann-Stiftung den Ausbau und die Weiterentwicklung der Palliativversorgung. "Wobei dabei gelten soll, ambulant vor stationär und allgemein vor spezialisiert", sagt Projektmanager Eckhard Volbracht.

Stiftungsvorstand Brigitte Mohn forderte: "Die Planung neuer Versorgungsangebote sollte sich an dem Wunsch der allermeisten Menschen ausrichten, ihre letzten Lebenstage zu Hause zu verbringen." Der Ausbau der ambulanten Versorgung müsse deshalb Vorrang vor einem Ausbau stationärer Angebote haben.

Als vorbildlich gilt dabei ein Modell in Westfalen-Lippe, bei dem seit 2009 die Hausärzte die Palliativbetreuung koordinieren. Im vergangenen Jahr wurden rund 20 Prozent der Verstorbenen so betreut. Nur 8,7 Prozent dieser Palliativpatienten starben in einem Krankenhaus.

Laut Studie besteht bei den Patienten noch ein hoher Aufklärungsbedarf. "Fast 90 Prozent aller Menschen brauchen am Lebensende eine palliative Begleitung", sagt Lukas Radbruch von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Im Jahr 2014 haben allerdings laut Studie nur 30 Prozent der Verstorbenen zu Lebzeiten eine entsprechende Behandlung bekommen.

Auch erfolge die Behandlung häufig zu spät. "Es bringt nichts, wenn Patienten erst an den letzten zwei bis drei Lebenstagen palliativ behandelt werden", sagt Volbracht.

(ham)
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