Medizin Mehr Männer nehmen Herzpillen

Berlin · Männer ab einem Alter von 45 Jahren benötigen überdurchschnittlich viele Arzneimittel, zeigt eine Datenauswertung der Techniker Krankenkasse. Experten befürchten Mehrfach-Medikationen.

 Vor allem Männer ab 45 Jahren brauchen mehr Medikamente.

Vor allem Männer ab 45 Jahren brauchen mehr Medikamente.

Foto: Shutterstock/Thirteen

Die Arzneimittelverordnungen für ältere Männer sind in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Während Männer im Alter von 60 bis 64 Jahren im Jahr 2004 von ihren Ärzten im Durchschnitt 431 Tagesdosen pro Jahr verordnet bekamen, waren es 2015 bereits 729 Tagesdosen. Dies zeigt eine Datenauswertung der Techniker Krankenkasse (TK), die unserer Redaktion vorliegt. Die "Tagesdosis" wird von Krankenversicherungen als Maß für die verordnete Arzneimittelmenge verwendet. Die Dosis basiert auf der Menge eines Arzneimittels, die typischerweise bei einer bestimmten Erkrankung bei Erwachsenen pro Tag angewendet wird.

Überhaupt benötigen Männer ab einem Alter von 45 Jahren überdurchschnittlich viele Arzneimittel. Während in jüngeren Jahren die Frauen bei der Zahl der verordneten Tagesdosen vorne liegen, verschiebt sich dies deutlich ab dem Alter von 45 Jahren. Während Frauen am häufigsten Arzneimittel gegen Beschwerden, die das Nervensystem betreffen, erhalten, benötigen Männer vor allem Herzmedikamente. Über alle Altersgruppen hinweg schlucken männliche Versicherte pro Jahr im Durchschnitt 113 Tagesdosen an Pillen für die Pumpe. Bei Frauen sind es nur durchschnittlich 60 Tagesdosen pro Jahr.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach bestätigt den Trend, dass in den vergangenen Jahren mehr verordnet werde. Grundsätzlich sei denkbar, dass auch Unisinniges verordnet werde. Er wolle den Anstieg aber nicht verurteilen. "Bei Männern gab es eine Unterbehandlung von Bluthochdruck", sagt Lauterbach. Bei bestimmten Risikogruppen habe es eine Unterversorgung gegeben.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer, der Berliner Onkologe Wolf-Dieter Ludwig, bewertet den Anstieg der Verordnungen etwas skeptischer. "Ein Grund für den Anstieg der Medikamenten-Verordnungen ist sicher die Alterung der Gesellschaft. Insbesondere der Anteil der Patienten, die fünf Medikamente oder mehr pro Tag einnehmen, steigt stetig", sagte Ludwig unserer Redaktion.

Einen weiteren Grund für den Anstieg sieht er darin, dass offensichtlich in den vergangenen Jahren Leitlinien zur Behandlung von Erkrankungen konsequenter umgesetzt werden. Aus Sicht des Arzneimittel-Experten ein zweischneidiges Schwert: "Leitlinien sind meist auf die Behandlung einer speziellen Erkrankung ausgerichtet. Bei gleichzeitig vielen Erkrankungen führt dies zur Multimedikation mit Nebenwirkungen und Auftreten von Wechselwirkungen." Dies sei nicht immer zum Vorteil der Patienten.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will die unsachgemäße Einnahme von Medikamenten eindämmen. Ab Oktober soll jeder Versicherte, der mehr als drei verordnete Arzneimittel pro Tag einnimmt, einen Anspruch auf einen Medikationsplan haben. Die Bundesärztekammer hatte jahrelang auf eine entsprechende Regelung gedrungen: "Es ist absolut erforderlich, dass endlich ein einheitlicher Medikationsplan für Patienten eingeführt wird, die mehr als drei verordnete Medikamente am Tag einnehmen", sagte Ludwig.

Trotz der erhöhten Einnahme von Arzneimitteln lässt sich das Vorurteil, dass Männer weniger zum Arzt gehen als Frauen, statistisch belegen. Über alle Altersgruppen der Erwerbstätigen suchen Frauen häufiger medizinischen Rat als Männer.

(qua)
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