Analyse Ist ein Hirntoter tot?

Berlin · Der Hirntod eines Menschen ist nach Ansicht des Deutschen Ethikrats ein ausreichendes Kriterium für die Entnahme von Organen. Doch nicht alle Wissenschaftler meinen, dass ein Hirntoter in jedem Fall tot sei.

Analyse: Ist ein Hirntoter tot?
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Der Deutsche Ethikrat hat sich auf fast 200 Seiten mit der Frage beschäftigt, wann ein Mensch wirklich tot ist, damit ihm Organe entnommen werden können. Einstimmig kam das Gremium zu dem Ergebnis, dass der Hirntod dafür ausreiche. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) begrüßte das Votum. "Dass der Deutsche Ethikrat den Hirntod einstimmig als Voraussetzung für eine Organentnahme bejaht, ist eine wichtige Bestätigung der geltenden Regelungen", sagte Gröhe unserer Redaktion.

Auch die Ärzteschaft findet die Stellungnahme des Ethikrats richtig. "Erfreulich ist das einstimmige Votum, wonach der irreversible Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen als geeignetes Kriterium für die Entnahme von Spenderorganen angesehen wird", sagte Peter Scriba, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer.

Der Deutsche Ethikrat beziehungsweise sein Vorläufer, der Nationale Ethikrat, ist ein Zusammenschluss von 26 verschiedenen Wissenschaftlern. Die Gremien beraten die Bundesregierung seit 2001 zu ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Themen. Sie beschäftigen sich auch mit den Folgen ethischer Entscheidungen für die Gesellschaft. Üblich ist, dass auch Minderheitenmeinungen sehr ausführlich in den Stellungnahmen dokumentiert werden.

Voraussetzung für eine Organspende ist bereits heute, dass zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod des Patienten feststellen. "Die Diagnose Hirntod bedeutet den unumkehrbaren Ausfall der Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm und ist damit der sichere Nachweis des Todes", heißt es auf der Internetseite der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Zudem muss der Betroffene bei Lebzeiten einer Organentnahme zugestimmt haben.

Alternativ können die Angehörigen sagen, ob der Mensch sein Einverständnis möglicherweise mündlich erklärt hat. Die Ärzte, die den Hirntod feststellen, dürfen die Organe nicht selbst entnehmen oder transplantieren. Die Vergabe der Organe erfolgt der DSO zufolge nach Dringlichkeit, Gewebeübereinstimmung und Erfolgsaussicht.

In der Bewertung des Hirntods herrscht eine geteilte Meinung im Ethikrat. Für die Mehrheit ist der Hirntod gleichbedeutend mit dem Tod. Der Vertreter des Minderheitenvotums, der Verfassungsrechtler Reinhard Merkel, meint hingegen, ein Körper könne auch bei Hirnversagen lebendig sein. Er verwies darauf, dass Wunden heilen und eine Schwangerschaft bei künstlicher Beatmung fortgesetzt werden könne.

"Für den Arzt ist klar, dass es im Prozess des Sterbens einen Punkt gibt, von dem kein Weg zurück ins Leben führt. Wenn die Atmung weg ist und der Kreislauf steht, tritt der Tod ein", betonte hingegen Scriba. Auf der Intensivstation, wo auch mit schwerem Hirnschaden Kreislauf und Atmung maschinell in Gang gehalten würden, müsse die Frage beantwortet werden, ob ein irreversibler Hirnfunktionsausfall vorliege und damit der Tod des Patienten nachgewiesen sei.

Die Chronik des Organspendeskandals
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Der Ethikrat forderte mehr Aufklärung der Bevölkerung über das Thema Organspende. Die Vorsitzende Christiane Woopen erklärte, bei den Informationsmaterialien der Krankenkassen und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bestehe Nachbesserungsbedarf. Jeder Mensch müsse die Möglichkeit haben, seine individuelle Entscheidung zur Organspende auf der Grundlage hinreichender Informationen zu treffen. Auch in dieser Frage schließt sich der Gesundheitsminister den Wissenschaftlern an. "Ich teile die Auffassung, dass Transparenz und eine offene gesellschaftliche Diskussion ganz wesentlich dafür sind, das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zu stärken", sagte Gröhe.

Wer sich für eine Organspende entscheide, müsse die Gewissheit haben, dass dafür klare Regeln gelten. Gröhe verwies zudem darauf, dass die Regelungen zur Feststellung des Hirntods regelmäßig an neue Erkenntnisse angepasst werden und dass Ärzte ausreichend geschult werden müssten. Beides habe die Bundesärztekammer in ihrer neuen Richtlinie klargestellt.

Eine Klarstellung im Gesetz fordert eine Mehrheit der Mitglieder des Ethikrats zudem in der Frage, wie mit für hirntot erklärten Spendern umgegangen wird. Normalerweise können auf der Intensivstation Beatmungsgeräte abgestellt werden, wenn der Patient als hirntot gilt. Verfügt er aber über einen Spender-Ausweis und sollen ihm Organe entnommen werden, muss der Tote weiter künstlich beatmet werden, um einen Schaden an den Organen oder ihr Absterben zu verhindern. Aus Sicht des Ethikrats bedürfen diese "organprotektiven" Maßnahmen eines gesonderten Einverständnisses der Organspender.

Die Bereitschaft zur Organspende ist gering in Deutschland. Der Ruf des Organspendewesens litt insbesondere durch den im Sommer 2012 hochgekochten Organspendeskandal. An verschiedenen Kliniken, unter anderem in Göttingen, standen Ärzte im Fokus, denen vorgeworfen wurde, Patientenakten manipuliert zu haben, um ihre eigenen Patienten auf der Liste der dringenden Fälle nach oben zu setzen.

Der Skandal platzte im Jahr 2012 ausgerechnet in eine Phase, in der die Regierung durch eine Änderung des Transplantations-Gesetzes versuchte, mehr Bürger zu motivieren, sich einen Organspendeausweis zuzulegen. Seitdem werden alle Bürger ab 16 Jahren alle zwei Jahre von ihren Krankenversicherungen mit Informationen und einem Organspendeausweis angeschrieben.

Infolge des Skandals besserte der Gesetzgeber im Jahr 2013 nach. Seitdem wurde die staatliche Aufsicht über die Organspende verschärft und ein Straftatbestand der Manipulation eingeführt. Die Organspendezahlen liegen weiter auf einem Tiefpunkt.

(qua)
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