BKK-Gesundheitsreport Lebensrisiko Langzeiterkrankung

Berlin · Immer häufiger fehlen Arbeitnehmer gleich mehrere Wochen, wie eine Studie der Betriebskrankenkassen zeigt. Grund dafür sind Erkrankungen wie Krebs, Diabetes oder Depression. Firmen sollen künftig besser dagegenhalten.

Franz Knieps ist kein Freund komplizierter Schachtelsätze. Der Chef des Dachverbands der Betriebskrankenkassen bringt die Probleme lieber auf den Punkt. Vor allem wenn sie so gravierend sind. Denn immer mehr Arbeitnehmer melden sich in Deutschland länger als sechs Wochen krank.

Schuld daran ist die Zunahme an Langzeiterkrankungen wie Depressionen, Krebs oder Diabetes. Das hat eine neue Studie des BKK-Dachverbands ermittelt, die Knieps gestern in Berlin präsentierte. "Rückenleiden sind häufig, psychische Störungen oft langwierig", fasste er die Analyse knapp zusammen.

Demnach geht mittlerweile fast die Hälfte aller Krankmeldungen in Unternehmen auf Langzeiterkrankungen zurück, mit steigender Tendenz. Vor zehn Jahren lag der Anteil der Ausfälle aufgrund langwieriger Leiden bei 41 Prozent, heute sind es mit 46 Prozent schon fünf Punkte mehr.

Und in Kleinunternehmen mit höchstens neun Beschäftigten waren es gar 49 Prozent. Häufigste Ursache sind Muskel- und Skeletterkrankungen sowie psychische Störungen. Auf sie geht jeder zweite Krankengeldtag zurück.

BKK-Gesundheitsreport: Langzeiterkrankung als Lebensrisiko
Foto: V. Weber

Besonders auffällig ist dabei, wie stark die Dauer des Arbeitsausfalls je nach Krankengeschichte variiert. So dauert eine Krankmeldung bei Arbeitnehmern mit Rückenschmerzen laut BKK im Schnitt rund drei Wochen, bei Langzeitkranken mit gleicher Diagnose aber schon 20 Wochen. Ähnlich ist es bei Menschen mit psychischen Leiden: Durchschnittlich fallen solche Patienten 37 Tage als Arbeitnehmer aus, chronische Langzeitfälle aber sogar 185 Tage.

Und auch in den Regionen Deutschlands gibt es Unterschiede. Bundesweit sind die neun Millionen BKK-Pflichtversicherten, deren Daten für die repräsentative Studie untersucht worden sind, im vergangenen Jahr im Schnitt 1,2 Mal arbeitsunfähig gewesen (AU-Fälle), bei 15,4 Ausfalltagen. Nordrhein-Westfalen liegt mit 1,2 Fällen und 15,6 Tagen je Mitglied im Mittelfeld, ebenso Hessen mit 1,2 Fällen und 15,3 Ausfalltagen.

Rheinland-Pfalz verzeichnet hingegen mit 1,4 AU-Fällen im Schnitt die meisten Krankschreibungen in Deutschland. Die durchschnittliche Zahl der Fehltage ist jedoch mit 17,4 Tagen auch noch ein Mittelwert im Länderranking der BKK. In Rheinland-Pfalz sind demnach besonders häufig Muskel- und Skeletterkrankungen Ursache für Fehltage. Diese schlagen allein mit 4,4 Ausfalltagen zu Buche.

Die Zahlen beschreiben einen Trend, der BKK-Chef Knieps und andere Vertreter der Gesundheitsbranche alarmiert. Schließlich sind die Prognosen im Zuge der demografischen Entwicklung in Deutschland keineswegs beruhigend. So wird nach Angaben des Medizinsoziologen Holger Pfaff die Gruppe der über 80-Jährigen in den kommenden 20 Jahren um 50 Prozent wachsen, die Alterskohorte der über 65-Jährigen um ein Viertel. "Da kommt eine Lawine auf uns zu", sagte er bei der Studienvorstellung. Und mit zunehmender Alterung der Gesellschaft dürften dann auch die Fehlzeiten wegen langandauernder und chronischer Krankheiten noch weiter zunehmen.

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Foto: dpa, Jens Büttner

BKK-Verbandschef Knieps will daher nicht weniger als am System rütteln. Wegen immer mehr Langzeitpatienten müsse das Gesundheitswesen weg von einer Abschottung der medizinischen Disziplinen hin zu einer Struktur, die den Krankheitsverlauf des Patienten in den Vordergrund stellt.

Er schlägt einen "Masterplan" vor, in dem auch "radikale Ansätze" erlaubt sein müssten. Zwischen ambulanter Behandlung in den Praxen und stationärer Versorgung in den Krankenhäusern, zwischen Ärzten und anderen Gesundheitsberufen wie Physiotherapeuten und zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen dürfe keine derart scharfe Abschottung mehr stattfinden, sagte Knieps.

Ähnlich dem nationalen Krebsplan müssten nun auch andere chronische Erkrankungen bearbeitet werden. Bei dem Krebsplan wurden die Bedürfnisse und Erfahrungen der Patienten als Ausgangslage genommen, um darauf die Behandlungswege und die Kooperation vom Hausarzt bis zum Spezialisten im Krankenhaus aufeinander abzustimmen. Knieps wünscht sich darüber hinaus mehr Informationsaustausch zwischen den behandelnden Ärzten mittels moderner Technik.

Doch wer einmal lange Zeit erkrankt war, erfährt auch in der Arbeitswelt massiven Druck. "Die Unsicherheit des Einzelnen, ob er trotz oder mit seiner Krankheit seinen Beruf perspektivisch weiter ausüben kann, ist eine große Belastung für den Kranken selbst, seine Familie und sein Arbeitsumfeld", sagte Wissenschaftler Pfaff. Nicht wenige Patienten würden nach der maximalen Dauer der Krankengeldzahlungen von 78 Wochen in die Frührente geschickt.

Daher plädierte der Verband gestern dafür, dass vor allem in mittelständischen Betrieben das Gesundheitsmanagement verbessert werden muss. Schließlich liege die Ausfallquote durch Langzeiterkrankungen in Großbetrieben um zehn Prozentpunkte niedriger als in kleinen Firmen. "Das ist auch auf häufig bessere Strukturen und Angebote für Beschäftigten in der betrieblichen Gesundheitsförderung zurückzuführen", sagte BKK-Chef Knieps.

Martin Karlsson, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Duisburg-Essen, sieht das skeptisch. "Anders als der Report würde ich weniger stark die Krankheitsprävention betonen", sagte er. Man wisse bei vielen Krankheitsbildern schlicht zu wenig, um evidenzbasiert sagen zu können, dass Prävention etwas bringt, so Karlsson. Das betreffe vor allem Krankheiten wie Krebs oder psychische Störungen.

Viel wichtiger sei es, das betriebliche Eingliederungsmanagement von Erkrankten und älteren Arbeitnehmern auszubauen. Der Arbeitsmarkt müsse für sie offen gehalten werden, auch um Druck aus den Sozialkassen zu nehmen, sagte der Wissenschaftler.

(jd)
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