Trotz Asperger und ADS Wie Jasper Konzentration erlernt

Düsseldorf/Krefeld · Sechs Jahre alt ist Jasper, als er die erste Neurofeedback-Sitzung seines Lebens absolviert. Gerade mal drei Minuten kann sich der Ausperger-Autist, der zudem ADS hat, zu diesem Zeitpunkt konzentrieren. Ein Jahr später geht er in die Regelschule und kann 25 Minuten durchhalten - ohne Ritalin.

Als der Blondschopf mit seinen Eltern zum Erstgespräch in der Krefelder Praxis für Neurofeedback bei Axel Kowalski erscheint, ist die Not groß: "Jasper ist Asperger-Autist und hat zusätzlich ADS", erklärt seine Mutter Sylvia Troldner.

Die Einschulung steht kurz bevor. Für die Eltern des Jungen türmen sich die Probleme. Denn Jasper ist mit einer Autismus-Spektrums-Störung geboren. Damit einher gehen in seinem Fall nicht nur soziale und motorische Probleme, sondern auch große Aufmerksamkeitsdefizite. "Zu diesem Zeitpunkt kann er sich nicht länger als drei Minuten auf eine Aufgabe konzentrieren", sagt seine Mutter. Zu kurz, um in der Schule lernen zu können.

Neurofeedback – die wichtigsten Fakten und Erfolge
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Foto: Andrea Danti/ Shutterstock

Aus diesem Grund empfahlen seine Therapeuten den Eltern, ihm methylphenidathaltige Medikamente wie zum Beispiel Ritalin zu geben. Das sollte seine Aufmerksamkeit verbessern. "Wir sind zwar nicht grundsätzlich gegen eine medikamentöse Behandlung, aber wir wollten deren Gabe erst einmal versuchen hinauszuschieben. Denn die Langzeitwirkung der Medikamente ist nicht erprobt", sagt Sylvia Troldner.

Zu diesem Zeitpunkt hörte sie von einer Therapie, die bei zahlreichen Erkrankungen wie Migräne, Burn-out und sogar Demenzerkrankungen Erfolg verspricht: Neurofeedback.

Dahinter verbirgt sich eine computergestützte Trainingsmethode, bei der dem Patienten bestimmte Hirnaktivitäten per Elektro-Enzephalogramm (EEG) auf einem Monitor sichtbar gemacht werden. "Dazu wird die elektrische Aktivität der Gehirnzellen gemessen", sagt Kowalski. An ihr lässt sich ablesen, ob wir wach sind, konzentriert, gestresst oder sogar ob ein epileptischer Anfall bevorsteht. "Der Betroffene erhält so ein ständiges Feedback über seine augenblickliche Gehirnaktivität und lernt, diese selbst so zu beeinflussen, dass sie sich positiv auf die jeweilige Störung auswirkt", sagt Kowalski.

Bei Jaspers Behandlung spielen vor allem zwei Hirnwellenmuster eine besondere Rolle: die der Theta- und Beta-Wellen. Letztere zeigen an, wie konzentriert jemand ist. Speziell das Konzentrieren fällt dem Siebenjährigen schwer. Er verliert bei einer Aufgabe schnell den Faden. Die Beta-Ausschläge seines EEGs sind dementsprechend oft zu niedrig. Im Gegensatz dazu sind seine Theta-Wellen sehr hoch. Das signalisiert dem Therapeuten Unaufmerksamkeit und Tagträumerei. Ziel der Neurofeedback-Therapie ist es, das Gehirn so zu trainieren, dass sich geringere Ausschläge zeigen.

"Die positiven Effekte von Neurofeedback sind vielfach belegt", sagt Kowalski. Die American Academy of Pediatrics stuft Neurofeedback in den USA seit dem Jahr 2012 als ebenso wirksam ein wie eine medikamentöse Behandlung. Auch hierzulande haben Psychologen um Holger Gevensleben beispielsweise die Wirksamkeit des Neurofeedback-Trainings bei Kindern mit ADHS untersucht. In der randomisierten Göttinger Studie gelang es ihnen, die Kernsymptome der Erkrankung wie Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsprobleme über ein halbes Jahr hinweg um rund 25 bis 30 Prozent zu senken. Die Kontrollgruppe erhielt andere Therapien und schaffte im Vergleich zehn bis 15 Prozent.

Der Erfolg mit dem Neurofeedback hat oft auch Auswirkungen auf Medikamentengaben: "Häufig können sie nach einiger Zeit reduziert oder sogar ausgeschlichen werden", so der Krefelder Neurofeedback-Spezialist. Er empfiehlt jedoch, bereits beschrittene therapeutische Wege nicht vorschnell abzubrechen.

Das sind die Anzeichen für Autismus
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Foto: Shutterstock/Lisa A

Bei jeder der Therapiesitzungen nimmt der Siebenjährige auf einem kleinen Kinderstuhl vor einem großen Bildschirm Platz. Axel Kowalski tritt auf ihn zu und bereitet die Haut auf das Anbringen der drei Elektroden vor. Eine sitzt mittig auf dem Kopf, die anderen beiden jeweils an den Ohren. Sie messen die Spannungsschwankungen der elektrischen Aktivität zwischen den Nervenzellen in Jaspers Hirn.

Dann startet eine Zahnrad-Animation. Sie wird durch die Hirnströme des Siebenjährigen in Gang gehalten. Sobald er abdriftet, stoppen die drei Rädchen. Gelingt es ihm wieder, seine Aufmerksamkeit zu bündeln, drehen sie sich weiter. Seitlich kann der Junge an Balkendiagrammen ablesen, wie erfolgreich er ist. Die Balken dürfen den grünen Bereich nicht verlassen.

Viel spannender findet es der Siebenjährige aber, Paulchen-Panther-Filme zu schauen. Auch die hält er nach den Parametern, die sein Therapeut einstellt, kraft seiner Gedanken in Gang.

Die Animationen wechseln zeitweise, doch die Aufgabe ist immer gleich: "Halte die Animation am Laufen!" Für jede Sekunde, die das gelingt, bekommt der Patient einen Punkt. Die Summe ist stets auf dem Bildschirm ablesbar. Das verstärkt den Erfolg. Nach rund zehn Sitzungen stellte sich bei Jasper schlagartig ein Erfolg ein. "Für uns war das ein Meilenstein", sagt seine Mutter.

Die Kosten für die Therapie zahlen die Eltern aus eigener Tasche. Je nach Therapeut können sie zwischen 60 und 100 Euro pro Sitzung liegen. Im Schnitt sind 20 bis 30 Treffen notwendig. Später kann man gegebenenfalls mit einzelnen Einheiten das Erlernte auffrischen. Nur in wenigen Fällen übernehmen Krankenkassen die Kosten. Wie zum Beispiel bei einem Modellprojekt zum Einsatz von Biofeedback bei Kopfschmerzen, das in Marburg wissenschaftlich begleitet wird.

Nebenwirkungen zeigen die 20 bis 60 Minuten langen Behandlungseinheiten kaum. "In seltenen Fällen können sich Kopfschmerzen bemerkbar machen", sagt Axel Kowalski. Denn trotz der spielerisch erscheinenden Therapieanforderung ist eine mentale Leistung erforderlich, die zu Beginn des Trainings sehr anstrengend sein kann.

Auch bei Erwachsenen mit Schlafproblemen, Epilepsie, Burn-out, Alzheimer-Demenz oder Schlaganfällen kann laut Kowalski Neurotherapie helfen. "Natürlich bleiben abgestorbene Nervenzellen tot, aber man kann erreichen, dass andere Nervenzellen deren Aufgabe übernehmen", sagt der Krefelder Spezialist.

Er half so seinem eigenen Vater, der in Folge eines Schlaganfalls schwere Sprachstörungen zurückbehalten hat. "Er kann vollständige Sätze denken, aber oft nicht artikulieren", sagt Kowalski. Also trainierte er mit ihm die Alpha-Hirnströme, die ein Indikator für gute Aufnahmefähigkeit und einen entspannten Zustand sind.

Bei Jasper hat das Training nach Angaben seiner Eltern erstaunliches bewirkt. Er schafft es nun, sich beinahe eine halbe Stunde am Stück zu konzentrieren. "Seine Therapeuten melden uns zurück, dass sie jetzt viel länger mit ihm arbeiten können", sagt seine Mutter. Bei Konzentrationsproblemen wird er daran erinnert, die grünen Balken oben zu halten. Die kennt er aus den Therapiesitzungen vom Monitor. Zudem helfen Bildkarten mit einem Standbild des Übungsmonitors, das Gehirn in erlernter Weise arbeiten zu lassen, so Kowalski.

Sowohl die Eltern als auch der Therapeut sind sich sicher, dass der Siebenjährige die Regelgrundschule ohne Neurofeedback nicht besuchen könnte. Noch zehn Sitzungen stehen für Jasper auf dem Plan. Im nächsten Schritt hofft Kowalski zu erreichen, dass das Kind die erlernten Verhaltensmuster nicht nur in Therapien und der Schule nutzen lernt, sondern sie auch zu Hause einsetzt.

(wat)
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