Palliativmedizin Zu Hause oder in der Klinik - Wo wollen wir sterben?

Düsseldorf · Zu Hause erhoffen sich Schwerkranke und Sterbende die größte Ruhe während ihrer letzten Tage. Jeder zweite deutsche Senior jedoch, stirbt im Krankenhaus. Ob das Vorteile hat, und welche Möglichkeiten die Palliativmedizin in der Klinik und zu Hause für Patienten bietet, lesen Sie hier.

Zuhause sterben ohne Schmerzen: Welche Möglichkeiten Schwerkranke haben
Foto: dpa

So einfach wie der Mensch ins Leben kommt, so kompliziert ist sein Lebensende geworden. Der eigene Tod wirft durch die Möglichkeiten der modernen Medizin viele Fragen auf: Welche Behandlung möchte ich in Anspruch nehmen? Wie viel Pflege kann ich meinen Angehörigen zumuten? Und wo will ich sterben?

Zumindest die Antwort auf die letzte Frage fällt laut Studie der Bertelsmann-Stiftung den Deutschen nicht schwer: Fast 80 Prozent möchten am Ende in ihrer vertrauten Umgebung sein. Nur sechs Prozent akzeptieren auch ein Krankenhaus. Für eine Pflegeeinrichtung würden sich sogar nur zwei Prozent entscheiden. Die Realität sieht jedoch anders aus: 49 Prozent der über 65-Jährigen in NRW sterben im Krankenhaus. Betroffen ist also fast jeder zweite Senior. Im bundesweiten Vergleich ist die Zahl nur in Berlin ebenso hoch.

Das bietet die Palliativmedizin

Diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit mag viele erschrecken, tatsächlich entsteht sie aber auch aus guten Gründen: "Man muss sich klarmachen, dass Krankenhäuser im Rhein-Ruhr-Gebiet und in Berlin viel schneller zu erreichen sind als jene auf dem Land. Das bedeutet: Notärzte sind schneller vor Ort und können Patienten noch vor ihrem Tod ins Krankenhaus einliefern", sagt Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und Mitautor der Studie. Melching warnt davor, das Studienergebnis zu negativ zu interpretieren.

"Auch wenn die Ergebnisse so wirken, möchte ich keinesfalls damit sagen, dass es ein Nachteil sein muss, im Krankenhaus zu sterben. Zu beachten ist nur, wie gut die Bedingungen dort sind." Die beste Versorgung in einer Klinik bekommen Patienten im letzten Lebensabschnitt auf den sogenannten Palliativstationen. "Palliativ" — das bedeutet "ummanteln" und steht dafür, schwerkranke Patienten und solche mit einer geringen Lebenserwartung zu schützen und zu versorgen.

Ein Teil dieses Angebots ist natürlich die medizinische Behandlung der Symptome insbesondere von Schmerzen, doch die Palliativbetreuung hat weit mehr Komponenten. Getreu dem Motto "Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben" lindern speziell ausgebildete Ärzte und Pfleger auch Sorgen und Ängste, verordnen Seelsorge, Psycho- und Physiotherapie und lassen auch das Wohl der Angehörigen nicht aus dem Auge. Palliativmediziner oder Pfleger darf sich deshalb nur nennen, wer eine spezielle Ausbildung durchlaufen hat, die ihn auf die Bedürfnisse von Sterbenden vorbereitet. So bieten diese Stationen ein Rundumpaket, das ermöglichen soll, was sich die meisten Menschen wünschen: ihre Belange in Ruhe sortieren zu können, ohne Schmerzen und mit medizinischen Experten in direkter Reichweite.

"Das Problem ist, dass die meisten die Frage, wo sie sterben wollen, gestellt bekommen, wenn sie noch gesund sind", sagt Melching zu der Erhebung. "Wenn sie dann wirklich schwer krank sind, verändert sich die Einstellung, und sie wollen doch in eine Klinik." Hauptgründe für den Gesinnungswandel sind das Bedürfnis nach einer Versorgung rund um die Uhr, der Wunsch, pflegende Angehörige zu entlasten, oder auch das Fehlen von Angehörigen.

Ab wann gilt man als Palliativ-Patient?

Auch wenn die intensive palliativmedizinische Betreuung erst in den letzten Monaten vor dem Tod beginnt, sind sich die meisten Mediziner einig: "Palliativ" ist ein Patient ab dem Moment, in dem er eine schwere Diagnose (zum Beispiel Krebs im Endstadium) gestellt bekommt, weil von diesem Moment an die Planung des Lebensendes und das Nachdenken über den eigenen Tod in den Vordergrund rücken — zwei der wichtigsten Bausteine der Palliativbetreuung. Beratung und psychologische Betreuung können vom behandelnden Arzt auch dann verordnet werden, wenn eine stationäre Behandlung erst in mehreren Jahren notwendig wird.

Welche stationären Palliativ-Angebote gibt es?

Es gibt verschiedene Angebote der stationären Palliativversorgung. Welche geeignet ist, hängt von der individuellen Krankheitsgeschichte ab. Immer häufiger sind etwa auch in Pflegeheimen Betreuer mit dieser speziellen Ausbildung zu finden. Diese Einrichtungen eignen sich besonders für Menschen ohne Angehörige oder solche, die etwa durch eine Demenzerkrankung nicht nur einen speziellen Therapiebedarf haben, sondern auch eine besondere Unterbringung benötigen.

In Hospizen können im Unterschied zu den klassischen Palliativstationen auch Patienten wohnen, die keine schwere Erkrankung haben, sondern die am Ende ihres Lebens nur physisch eingeschränkt sind oder an Altersschwäche leiden. Das Angebot ähnelt jedoch dem der Palliativstationen. Auch in Hospizen soll es Sterbenden ermöglicht werden, schmerzfrei und in einem geschützten Umfeld ihre letzten Tage zu verbringen.

Was tun, wenn man zu Hause sterben möchte?

Zwar entscheidet der behandelnde Arzt, welche palliative Maßnahme für einen Patienten richtig ist. Heute aber ist das Mitspracherecht größer denn je. Ist die Vertrautheit zu Hause also wichtiger als die Versorgungssicherheit in einer Klinik, gibt es je nach Verfassung des Patienten verschiedene Wahlmöglichkeiten. Der ambulante Pflegedienst eignet sich, wenn der Krankheitszustand noch nicht zu weit fortgeschritten ist und sich Pfleger und Angehörige über die Woche abwechseln können. Zusätzlich kann ein ambulanter Hospizdienst in Anspruch genommen werden. Dann kommen Ehrenamtler mit spezieller Ausbildung ins Haus, um Schwerkranken — und ihren Angehörigen — bei der Bewältigung ihres Alltags zu helfen.

Noch relativ neu ist die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Sie wird von speziellen Teams angeboten, "die ermöglichen, dass die Palliativstation zu den Patienten nach Hause kommt", sagt Oliver Blaurock, Leiter des einzigen Düsseldorfer SAPV-Teams und Leiter der Palliativstation im Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf. "Dafür müssen allerdings bestimmte Bedingungen gegeben sein, das heißt, der Patient muss eine komplizierte Krankensituation haben, die Krankheit muss schnell fortschreiten und die geschätzte Lebenserwartung bei sechs bis zwölf Monaten liegen."

Ist dies der Fall, bekommt der Patient täglich von verschiedenen Experten des SAPV-Teams Besuch und kann rund um die Uhr Unterstützung anfordern. Blaurocks Team umfasst Ärzte, Pfleger, Sozialpädagogen, Physiotherapeuten sowie Psychoonkologen. Was viele nicht wissen: Seit 2007 haben Schwerstkranke einen Anspruch auf diese Versorgung. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, übernimmt die gesetzliche Krankenkasse sämtliche Leistungen eines SAPV-Teams.

(ham)
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