Schluckimpfung mal anders Wie gesund das Popel essen sein soll

Düsseldorf · Schon als Kind haben es die Eltern verboten: Der Finger gehört nicht in die Nase und erst Recht danach nicht in den Mund. Das gehört sich zwar nicht, passiert aber jeden Tag vielerorts in unbeobachteten Momenten: An der roten Ampel, beim Nachsinnen am Schreibtisch oder beim Entspannen. So ekelig es auch sein mag, es soll auch gesundheitliche Vorteile haben.

 Ob Popeln eine lästige Angewohnheit ist, oder gar gesund, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Ob Popeln eine lästige Angewohnheit ist, oder gar gesund, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Foto: Shutterstock/fotoaloja

Über Popeln schreibt man doch nicht — genauso wenig, wie man darüber spricht. Man verbietet es höchstens dem Nachwuchs oder zieht dem Partner harsch am Ärmel, wenn er verträumt bohrend dasitzt. Grauenvoll ist die Vorstellung, dass das verkrustete Nasensekret nach erfolgreicher Bohrung von der Nase in den Mund wandert. Gut so, sagt dazu der kanadische Biochemie-Professor, Scott Napper.

Er hält das für eine Art Gesundheitsvorsorge, die wie eine natürlich Impfung wirken könne. Denn in dem zu Tage beförderten Nasensekret stecken jede Menge Bakterien und Keime. Durch den regelmäßigen Verzehr dieser körpereigenen Mischung, werde das Immunsystem angeregt, Abwehrkörper gegen die fremden Eindringlinge zu bilden. In der allergiegeplagten und hygienisch clean gehaltenen Bevölkerung könne dieser Nasendreck also ein Segen sein, findet der Wissenschaftler. Auch der Volksmund weiß ähnliches zu sagen. "Dreck reinigt den Magen", heißt einer der bekannten Aussprüche vieler Großeltern.

91 Prozent der Menschen popeln heimlich

Sich als Popelbefürworter zu outen, scheint allerdings in Wissenschaftskreisen nicht en vogue: So ist die Studienlage dazu äußerst dünn, was in krassem Gegensatz zu der Zahl der Nasenbohrer steht. Denn 91 Prozent, so das Ergebnis einer der wenigen wissenschaftlichen Annäherungen zu dem Thema, tun es. Auch die Zahl der Mediziner, die sich öffentlich dazu äußern möchten, bleibt recht gering. Mut bewies der österreichische Lungenfacharzt, Friedrich Bischinger, der öffentlich bekannte, gegen den Finger am Nasengold nichts einzuwenden zu haben. Er hält dies für eine effektive Art der mechanischen Nasenreinigung, mit der besonders bei Entfernung größerer Hindernissen aus dem Naseninnenraum für bessere Atmungsverhältnisse gesorgt werden kann.

Wer das auf vornehmere Art und Weise erledigen möchte, der kann dazu einen sogenannte Nasendusche verwenden. Mit diesem an die Nase gesetzten Spezialkännchen, das mit isotonischer Kochsalzlösung gefüllt wird, lassen sich festsitzende Nasenbewohner ausspülen. Mit ihnen allerdings auch eine reiche Zahl an Keimen und Erregern, die — will man dem Rat des kanadischen Biochemikers Napper folgen — nicht mehr zur Selbstimmunisierung zur Verfügung stehen.

Werden die Nasenlöcher davon größer?

Was bei Kindern noch ganz natürlich von dem Finger in den Mund geht, läuft beim Erwachsenen sehr viel gesteuerter ab. Eher in heimlichen oder gedanklich abwesenden Momenten passiert es da und das selbst in royalen Kreisen. Die englische Queen wurde schon dabei erwischt und auch Fußballstar David Beckham hat es auf dem Spielfeld getan. Bis auf diese belegten Ausnahmen, haben sich allerdings die rügenden Sprüche der Eltern mit Warnung vor zu großen Nasenlöchern, angeblich abbrechenden Fingern und der schon eher ernst zu nehmenden Gefahr des Nasenblutens wirkungsvoll in unser Hirn eingebrannt.

Einzig wahr ist unter diesen Warnungen die letztere. Denn tatsächlich kann die Nasenschleimhaut beim Bohren und Angeln Schaden nehmen und beginnen zu bluten, wenn die Bohrer innere Krusten abreißen. Geschieht das einmalig, sind keine Probleme zu befürchten. Kommt es jedoch immer wieder dazu und wird die Nasenschleimhaut über Monate hinweg auf diese Weise malträtiert, kann es im schlimmsten Fall dazu kommen, dass sich in der Nasenscheidewand ein Loch bildet oder Blutgefäße derart massiv verletzt werden, dass sich die entstandene Blutung nicht mehr ohne weiteres stoppen lässt.

Dauerpopeln ist eine Zwangsstörung

Hinter solchen und ähnlichen medizinischen Problemen verbirgt sich eine psychische Verhaltensstörung, die sich als Rhinotillexomanie nennt und in der von der Weltgesundheitsorganisation in die Internationale Klassifikation der Krankheiten aufgenommen wurde. Dort befindet sie sich in guter Gesellschaft mit anderen Zwangsstörungen des Kindes- und Jugendalters wie dem Nägelkauen unter dem ICD-10 als zwanghaftes Nasebohren eingestuft ist.

Mancher nun, der solche automatisierten Handlungen besonders im Erwachsenenalter als ekelig ablehnt, sollte sich vor seinem harschen Urteil über andere auf der Zunge zergehen lassen, dass auch er ohne aktives Popeln den Hals nicht voll genug kriegt: Den größten Teil des Nasensekrets schlucken nämlich auch sie freilich unbemerkt über den Nasen-Rachen-Gang hinunter. Vom Finger in den Mund muss also in Anbetracht solcher Direktverbindungen im Körper niemand leben. Vielleicht hat das auch Prof. Scott Napper nicht bedacht.

(wat)
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