Herzinfarkt, Diabetes und Krebs vorbeugen Warum Vorsorge-Checks nicht immer sinnvoll sind

Düsseldorf · Hohe Cholesterinwerte gelten als Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Polypen im Darm als Krebsvorstufen. Solch schweren Krankheiten könnte man vorbeugen, indem man zur Vorsorgeuntersuchung geht, heißt es. Einigen Experten zufolge bergen diese Untersuchungen aber auch Gefahren.

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Foto: Shutterstock.com/ Pop Paul-Catalin

Die Mission der Krankenkassen ist klar: Wer frühzeitig und regelmäßig am kostenlosen Vorsorgeprogramm teilnimmt, der minimiert die Wahrscheinlichkeit, früher oder später an einer schweren Krankheit zu erkranken oder sogar zu versterben. Darum bieten die Kassen zahlreiche gesetzliche Früherkennungsuntersuchungen an.

Sie sollen helfen, mögliche Krebserkrankungen in möglichst frühem Stadium zu erkennen, und so die Heilungsaussichten zu erhöhen. Doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille, die im Gesundheitsbericht des Robert-Koch-Instituts so formuliert ist: "Allerdings kann keine Früherkennungsuntersuchung zuverlässig alle Erkrankten als krank und alle Gesunden als gesund identifizieren. So können irrtümlich Gesunde als krank und Kranke irrtümlich als gesund identifiziert werden."

So sinnvoll Vorsorgeuntersuchungen auch sein können, sie bergen ein Problem: "Vorsorge schafft auch viel Krankheit", sagt Theodor Klotz, Vorstandsmitglied der Stiftung Männergesundheit und Chefarzt der Klinik für Urologie am Klinikum Weiden.

Was paradox klingt, erklärt Klotz so: "Es ist nicht unbedingt immer sinnvoll, zur Vorsorge zu gehen, weil es in einigen Fällen zu unnötigen Diagnosen kommt. Denn nicht jeder entdeckte Tumor müsste auch behandelt werden." Aus diesem Grund diskutieren Experten seit Jahren die Sinnhaftigkeit einiger Vorsorgemaßnahmen. Der richtige Weg führt deshalb - wie oft in der Medizin - über einen aufgeklärten Patienten: "Jeder muss für sich selbst individuell ausloten, ob eine Vorsorgeuntersuchung gerechtfertigt ist". Hier einige Entscheidungshilfen:

  • Ab 20 Jahren: Bei Frauen werden Vorsorgechecks ab einem Alter von 20 bezahlt. Sie können sich einmal im Jahr gynäkologisch untersuchen lassen, um Krebserkrankungen und solchen der Geschlechtsorgane vorzubeugen. Dabei besteht die Möglichkeit, einen Abstrich vom Gebärmutterhals machen zu lassen. Durch diesen sogenannten Pap-Test sollen Zellveränderungen am Gebärmutterhals sichtbar gemacht werden. In den meisten Fällen werden diese Zellveränderungen durch Humane Papillomaviren (HPV) verursacht. Aus diesem Grund steht heutzutage Mädchen im Alter zwischen neun und 14 Jahren die Möglichkeit offen, sich gegen HPV impfen zu lassen. Sinnvoll oder nicht? Zunehmend mehr Experten machen sich inzwischen aber dafür stark, eine solche Impfung auch auf Jungen auszuweiten. Denn sie gelten beim Geschlechtsverkehr als die Überträger der Viren. "Nur Mädchen zu impfen ist darum unsinnig", sagt Klotz. Zudem besteht auch für Männer ein — wenn auch geringeres Risiko — durch HPV schwer krank zu werden. Beim Mann kann das Virus Peniskrebs, oder durch Oralsex verursacht, auch Kehlkopfkrebs auslösen. Zum Pap-Test lässt sich sagen: Er gilt nicht als klassischer Krebstest. Denn die Ergebnisse des Tests sind weit interpretierbar und reichen von "Nicht beurteilbar" über "leicht entzündet", "Unauffällig", "Zweifelhafter Befund" bis hin zu "Krebsverdacht". Krebs kann dieser Test in der Regel nicht nachweisen.
  • Zusätzlich ab dem Alter von 35 Jahren: Männer wie auch Frauen können sich ab dem Alter von 35 Jahren im Abstand von zwei Jahren einem allgemeinen Gesundheits-Check-up unterziehen, bei dem es vor allem um die Früherkennung von Nierenerkrankungen, Diabetes und Herz- Kreislaufkrankheiten wie Bluthochdruck geht. Nicht ohne Grund, denn jährlich erleiden nach Informationen der Deutschen Herzstiftung mehr als 300.000 Menschen in Deutschland einen Herzinfarkt. Mit 35 Jahren beginnt zudem die Hautkrebsvorsorge. Alle zwei Jahre kann man sich vom Hautarzt von Kopf bis Fuß auf Veränderungen der Haut untersuchen lassen. Hautkrebs tritt laut Informationen des Robert-Koch-Instituts (RKI) häufig auf, verursacht aber nur selten Todesfälle. Einzige Ausnahme ist der schwarze Hautkrebs. Er kommt selten vor, verursacht unter den Hautkrebsfällen laut RKI allerdings die meisten Todesfälle. Sinnvoll oder nicht? Beide Vorsorgeuntersuchungen halten Experten für sinnvoll.
  • Zusätzlich ab 45 Jahren: Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung und die dritthäufigste Todesursache bei Männern in Deutschland. Nachvollziehbar ist in Anbetracht dessen, das Ringen um eine Möglichkeit, die Erkrankungszahl zu minimieren. Ab dem 45. Lebensjahr wird darum einmal im Jahr von den Krankenkassen eine Tastuntersuchung übernommen. "Im gesetzlichen Früherkennungsprogramm sind die Abtastung der Genitalien und der dazu gehörigen Lymphknoten in der Leiste vorgesehen. Der Arzt tastet zudem die Prostata vom Enddarm aus ab", heißt es nach Informationen des Krebsinformationsdienstes. Sinnvoll oder nicht? Der Haken an der Sache: "Die Tastuntersuchung alleine macht keinen Sinn", sagt Urologe Klotz. Er setzt sich hingegen dafür ein, diese wie es auch die Leitlinie Prostatakrebs vorschlägt, nur gemeinsam mit einem Ultraschall und der Bestimmung der sogenannten PSA-Werte zu machen. Diese aber sind im gesetzlichen Früherkennungsprogramm nicht vorgesehen. Für Klotz macht jedoch nur dieses Maßnahmenpaket Sinn. Auch die Bestimmung des PSA-Wertes ist für sich genommen nicht aussagekräftig. Auch hier diskutieren Experten über den Nutzen. Denn zwei große Studien zeigten laut Krebsinformationsdienst "keinen beziehungsweise nur einen vergleichsweise geringen Nutzen der Früherkennung auf." Eine klare Krebsdiagnose werde zwar mit steigendem PSA-Wert wahrscheinlicher. Eine Rolle spiele jedoch auch, wie zuverlässig die Tests selbst sind. Daher schließt auch ein vergleichsweise niedriger Wert ein Karzinom nie völlig aus. Mehr Informationen über den umstrittenen PSA-Test finden Sie hier.
  • Zusätzlich ab dem Alter von 50 Jahren: Brustkrebs ist mit Abstand die häufigste Krebserkrankung bei der Frau. Seit dem Jahr 2009 werden darum Frauen zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre zur Mammographie eingeladen. Dieses Screening ergänzt die Brustkrebsvorsorge, die zudem das regelmäßige Selbstabtasten der Brust einschließen sollte, sowie das jährliche Abtasten durch den Gynäkologen. Mehr Informationen dazu, was das Brustkrebs-Screening leistet und was nicht, finden Sie hier. Sinnvoll oder nicht? Ähnlich wie die Prostatavorsorge ist aber auch dieses Vorsorgeangebot umstritten. Mit dieser radiologischen Brustuntersuchung können zwar bereits sehr kleine und noch nicht tastbare Knoten und Verhärtungen in der Brust aufgespürt werden, doch "muss man dennoch ein Fragezeichen an diese Untersuchung machen", sagt Kotz. Warum, erklärt der Krebsinformationsdienst: "Mit der Mammographie allein lässt sich nicht ganz sicher feststellen, ob eine Veränderung gut- oder bösartig ist." In manchen Fällen bleibt der Befund unklar. Man weiß trotz sorgfältiger Screeningmöglichkeiten nicht mit abschließender Sicherheit, wie häufig sich daraus tatsächlich Brustkrebs entwickelt. Dies bedeutet nach Einschätzung des Deutschen Krebsinformationsdienstes: "Ein Teil der Frauen mit solchen Krebsvor- und Frühformen wird möglicherweise unnötig behandelt." Darmkrebsvorsorge durch Stuhltest und Abtasten: Darmkrebs ist in Deutschland zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern und Frauen. Aus diesem Grund greift auch hier das Vorsorgeangebot der Krankenkassen. Ab dem Alter von 50 Jahren können Männer und Frauen jährlich ihren Stuhl auf verborgenes Blut testen lassen. Die Untersuchung umfasst auch ein Austasten des Enddarms. Sinnvoll oder nicht? Das allerdings gilt als unzuverlässig, da sich Tumore auch in höheren Darmabschnitten verbergen können. Nur eine Darmspiegelung gilt als verlässlich bei der Darmkrebsdiagnose.
  • Zusätzlich ab einem Alter von 55 Jahren: Mit 55 besteht die Möglichkeit, eine Darmspiegelung machen zu lassen. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für zwei Spiegelungen im Abstand von zehn Jahren. Mehr Menschen entschieden sich für den Stuhltest, obwohl die unangenehmere Spiegelung der sicherere Weg ist. Sinnvoll oder nicht? Der Vorteil der sogenannten Koloskopie liege darin, dass der Arzt Polypen als mögliche Vorstufen von Darmkrebs erkennen und während dieser Untersuchung auch gleich behandeln kann, indem er sie entfernt, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Stiftung Männergesundheit. Solch gutartige Wucherungen können sonst innerhalb von sechs bis zehn Jahren zu bösartigen Tumoren entarten. Wird die Krebsstufe hingegen frühzeitig entdeckt, ist diese Krebserkrankung zu hundert Prozent heilbar. Weitere Informationen zur Darmkrebsvorsorge finden Sie hier.Zahnvorsorgeuntersuchungen: Laut einer Befragung des Robert-Koch-Instituts setzten sich zwei Drittel der Befragten zur Kontrolle in den Zahnarztstuhl. Insgesamt sind es allerdings hier eher die Frauen, die das kostenlose Angebot der Krankenkassen in Anspruch nehmen. Der Zahnarzt checkt dabei unabhängig vom Alter Mund, Zähnen und Kiefer auf mögliche Erkrankungen und entfernt Zahnstein, der sich regelmäßig an den Zähnen bildet. Sinnvoll oder nicht? Regelmäßige Kontrollen ab dem Kindesalter haben das Bewusstsein für die Bedeutung von Zahnhygiene geweckt. Der Effekt zeigt sich: Laut der Krankenkasse AOK haben heute "Kinder und Jugendliche deutlich weniger von Karies befallene Zähne als Gleichaltrige vor zehn Jahren." Rolle des Bonusheftchens: Jeder Kontrolltermin beim Zahnarzt wird bei Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen in einem Bonusheftchen vermerkt. Das ist bares Geld wert. Wer einen regelmäßigen Zahnarztbesuch über fünf Jahre hinweg nachweisen kann, bekommt bei nötigem Zahnersatz einen Zuschuss von 20 Prozent. Zehn Jahre lückenlose Vorsorge bringen 30 Prozent Zuzahlung bei Zahnersatzbehandlungen.

Je nach eigenen Vorerkrankungen oder solchen in der Familie, macht es bei präventiven Untersuchungen wie einer Mammographie zur Brustkrebsvorsorge oder der Prostatauntersuchung mehr oder weniger Sinn.

Auch eine Darmspiegelung kann bei einer familiären Vorbelastung schon vor dem 55. Lebensjahr sinnvoll sein. Um hier die richtige Entscheidung zu treffen, hilft ein Gespräch mit dem Haus- oder Facharzt. Das umfassende Paket von Präventions- und Vorsorgemaßnahmen ist darum als "Kann"-Angebot zu verstehen. In diesem Verständnis hält auch der aktuelle Gesundheitsbericht fest: "Es geht darum Risikofaktoren und Belastungen zu verringern."

(wat)
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