Warum den Zahnarzt interessiert, was der Hausarzt verschreibt Todesfalle Wechselwirkung

Düsseldorf · Wer aufgrund chronischer Erkrankungen ständig Medikamente braucht, der sollte mit der Einnahme weiterer Medikamente vorsichtig sein. Mit jedem weiteren Präparat steigt die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen, die tödlich sein können.

Medikamente - hier gibt es gefährliche Wechselwirkungen
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Foto: ABDA

Nach dem Frühstück kommt der erste Griff zum Tablettenschieber: Etwas gegen den hohen Blutdruck. Mittags dann der zweite Griff, denn die Magentablette darf nicht vergessen werden und für die nötige Bettschwere sorgt dann am Abend eine Schlaftablette. Einzeln betrachtet sind diese Arzneimittel hilfreich, der Gesundheit zuträglich und verbessern die Lebensqualität. In ihrer Kombination können sie zur Gefahr werden, denn sie enthalten Wirkstoffe, die sich gegenseitig beeinflussen. Im schlimmsten Fall können sie zum Tod führen.

Mit Neugier hat das nichts zu tun

Ein 50-Jähriger soll, bevor er im Zahnarztstuhl Platz nimmt, in einem Anamnesebogen angeben, welche Medikamente er einnimmt. Was interessiert es den Zahnarzt, welche Medikamente ich nehme, mag er sich denken. Der schließlich soll mich an den Zähnen behandeln und nicht allgemeinmedizinisch untersuchen.

Ein schwerwiegender Irrtum, der sich zu späterer Zeit rächen kann. Denn Medikamente können miteinander in Wechselwirkung treten. Besonders wahrscheinlich ist das, je höher die Anzahl der einzunehmenden Präparate wird. Da kann ein vom Zahnarzt verschriebenes Schmerzmittel wie Präparate, die Acetylsalicylsäure beinhalten, zur ernsten Gefahr werden. Geschätzte 10.000 bis 58.000 Todesfällen in Deutschland gehen jährlich auf unbedachte Wechselwirkungen verschiedenster Medikamente zurück.

Auch nach einem Schlaganfall ist es üblich, Patienten zur Vorbeugung eines weiteren Schlags ein Präparat mit hochdosierter Acetylsalicylsäure zu verordnen. Zwar ist das Medikament in einem Falle eine zusätzliche Lebensversicherung, in anderer Hinsicht jedoch eine Gefahr. Der Grund: Acetylsalicylsäure führt bei der Einnahme verschiedener anderer Medikamente gerne zu Wechselwirkungen. Entwässerungsmittel, Gichtpräparate, Schilddrüsentabletten oder blutgerinnungshemmende Mittel können gefährlich werden.

Viele ahnen nichts von den Wechselwirkungen

"Der durchschnittliche Patient verlässt heute mit fünf Medikamenten unsere Klinik. Daraus ergeben sich bereits 26 verschiedene Kombinationen, die sich gegenseitig beeinflussen können", sagt Prof. Walter Haefeli vom Universitätsklinikum Heidelberg. Aus diesem Grund ist es in jedem Fall wichtig, Ärzten vor der Behandlung Auskunft über Dauermedikationen oder gerade eingenommene Medikamente zu geben, um zu verhindern, dass Ungewolltes passiert.

Rund ein Viertel der über 65-Jährigen nimmt mindestens fünf vom Arzt verordnete Medikamente. Aber nur jeder vierte dieser Patienten weiß, dass bei der Einnahme mehrerer Arzneimittel die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen steigt. Das ist das Ergebnis der aktuellen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Bei fast jedem fünften Patienten befindet sich unter den eigenommenen Tabletten, Tropfen Spritzen und Co. ein Medikament, das für ältere Menschen als potenziell ungeeignet gilt. Sie kann sogar schwerwiegende Folgen haben. "Ein Drittel der Menschen über 70 Jahre leidet an mindestens fünf chronischen Erkrankungen", sagt die münstersche Apothekerin Julia Kruse und verweist auf eine Berliner Untersuchung. Treten bei Pateinten in Folge der Wechselwirkungen Symptome auf, werden diese als neue Erkrankung fehlinterpretiert, und ein zusätzliches Medikament verschrieben.

Auch an selbst verordnete Medikamente denken

Die Gefahr lauert jedoch nicht nur bei älteren Patienten. Auch jüngere Menschen, die regelmäßig Medikamente einnehmen müssen, sind gefährdet. Viele gehen bei kleineren Wehwehchen in die Apotheke und besorgt sich selbst etwas dagegen. Viele Medikamente sind zwar frei verkäuflich, das heißt aber nicht, dass deren Einnahme unbedenklich und frei von Neben- und Wechselwirkungen ist.

Darum raten Fachleute dazu, unbedingt den Arzt oder auch Apotheker nach beeinflussenden Wirkungen der Präparate mit anderen Arzneimitteln zu fragen. Die WIdO-Studie zeigt, dass zwar ein Drittel der Patienten mit Polymedikation rezeptfreie Arzneimittel selbst zukauft, aber zugleich die Risiken und Nebenwirkungen dieser Medikamentencocktails unterschätzt.

Erst Pilzinfektion, dann schwanger

Arzneimittel, die gegen Pilzinfektionen eingenommen werden oder zur Behandlung einer Bronchitis, können sich ungünstig auf die Wirkung der Anti-Baby-Pille auswirken. Wer das nicht weiß, der riskiert eine ungewollte Schwangerschaft. Problematisch sei auch die gleichzeitige Einnahme von bestimmten Herz- und Abführmitteln, erläutert Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in Berlin.

Anderer Fall: Migränepatienten haben ein höheres Risiko zugleich an einer Depression zu erkranken. Zur Behandlung einer akuten Migräneattacke werden häufig Triptane eingesetzt, so genannte Serotonin-Agonisten. Zur Behandlung der Depression oder der Angsterkrankung wurden in den letzten Jahren zunehmend häufiger sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eingesetzt.

Die Kombination dieser beiden Medikamentengruppen kann zu einem "Serotonin-Syndrom" führen, erklärt Prof. Gunther Haag von der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG). Das zeigt sich zum Beispiel in Puls- und Blutdruckanstieg, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen, Pupillenerweiterung oder durch Symptomen wie Unruhe, Koordinationsstörungen oder Halluzinationen.

Mediziner und Apotheker beraten nicht immer gut

Die Risiken der Arzneimitteleinnahme verschärfen sich, wenn die vom Arzt verordnete Therapie zudem nicht eingehalten wird. "Ein knappes Fünftel der Patienten gibt an, manchmal die Einnahme der Medikamente zu vergessen. Andere hören ganz auf", sagte WidO-Geschäftsführer, Jürgen Klauber. So verzichten 7,3 Prozent der Befragten zum Teil auf ihre Medikamente, wenn sie sich besser fühlen. 6,6 Prozent gaben an, die Medikamenteneinnahme manchmal einzustellen, wenn sie sich nach der Einnahme schlechter fühlen.

Mediziner und Apotheker raten deshalb in jedem Fall nachzufragen, wenn zusätzliches Medikament verordnet wird. Auf keinen Fall sollte man blind darauf vertrauen, dass der behandelnde Arzt das alles im Blick hat. Denn die Beratungswirklichkeit sieht alles andere als rosig aus: Nur etwa die Hälfte der Befragten sagt, dass ihr Hausarzt sie schon einmal auf die Risiken der Mehrfacheinnahme von Arzneimitteln angesprochen hat. Lediglich 41,2 Prozent der betroffenen Patienten hat der Arzt danach gefragt, ob weitere Medikamente eingenommen werden. Die entsprechenden Prozentsätze für den Berater in der Apotheke liegen sogar noch deutlich höher.

Am einfachsten kann man Wechselwirkungen nach Informationen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände aus dem Weg gehen, indem man verschiedene Medikamente in ausreichendem zeitlichem Abstand versetzt einnimmt. Grundsätzlich kann man viele Wechselwirkungen dadurch vermeiden, dass Arzt und Apotheker sich auf ein alternatives Präparat abstimmen.

(wat)
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