Phänomen Leichenfingerkrankheit Wenn die Finger ständig kalt werden

Kempen/Krefeld · Ein bisschen Stress im Job, und plötzlich passiert es: Attackenartig werden die Finger beim Tippen am Rechner eiskalt, starr und färben sich blassgrau. Leichenfingerkrankheit nennt sich das Phänomen. Bis zu 20 Prozent der Deutschen sind betroffen.

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Foto: Shutterstock/ JPC-PROD

Ein Griff in die Tiefkühltruhe oder Händewaschen unter kaltem Wasser reichen aus: plötzlich werden einzelne Finger, ganz selten auch Zehen, blutleer, kalt, weiß und taub. Die Blutgefäße krampfen sich zusammen. Ursache dafür ist ein Ungleichgewicht zwischen gefäßverengenden und gefäßerweiternden Mechanismen.

 Typisch für das häufigere primäre Raynaud-Syndrom: Beidseitig stoppt urplötzlich die Durchblutung in den Fingern.

Typisch für das häufigere primäre Raynaud-Syndrom: Beidseitig stoppt urplötzlich die Durchblutung in den Fingern.

Foto: Prof. Kurt Kröger/Helios Klinikum Krefeld

Auslöser der Leichenfingerkrankheit

 Sieht undramatisch aus, kann aber eine Amputation nach sich ziehen: eine Durchblutungsstörung, die einseitig auftritt und auf die sekundäre Form hindeutet.

Sieht undramatisch aus, kann aber eine Amputation nach sich ziehen: eine Durchblutungsstörung, die einseitig auftritt und auf die sekundäre Form hindeutet.

Foto: Prof. Kurt Kröger/ Helios Klinikum Krefeld

Stress, Kälte oder Erschütterung – das sind die Hauptauslöser für das seltsame Phänomen. Daneben gelten aber auch bestimmte Erkrankungen oder einige Medikamente als Trigger für die als Leichenfingerkrankheit oder Raynaud-Syndrom bekannte Störung. Rund 10 bis 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind davon betroffen. In den meisten Fällen sind es Frauen, die unter der plötzlichen Blutleere der Gliedmaßen leiden. Manchmal tritt das Phänomen familiär gehäuft auf.

"Normalerweise wird über die Gefäße die Körperkerntemperatur von rund 37 Grad Celsius aufrecht erhalten. Geht man in eine kühle Außenumgebung, versucht der Körper die Wärme im Innern zu halten", erklärt Dr. Heiner Wefers, Gefäßspezialist aus Kempen im Kreis Viersen "Die Gefäße ziehen sich zusammen. Im Sommer geschieht das Gegenteil. Der Körper versucht seine Körperwärme nach außen abzugeben. Darum erweitern sich die Gefäße." Beim Raynaud-Syndrom sei genau dieser Mechanismus gestört: "Der Körper schießt übers Ziel hinaus." Meist ist ein Anfall nach wenigen Minuten vorbei, selten kann er aber auch über Stunden andauern, informiert die Deutsche Gesellschaft für Angiologie (Gefäßmedizin).

Warum die Finger weiß, blau und rot werden

Während zunächst die Farbe aus den Fingern entweicht, kann es aufgrund der anhaltenden Mangeldurchblutung und der schlechten Sauerstoffversorgung im Verlauf eines solchen Anfalls dazu kommen, dass sich die Gliedmaßen blau färben. Manchmal ist das verbunden mit unerträglichen Schmerzen. Setzt nach Minuten oder manchmal erst nach Stunden die Durchblutung wieder ein, ist sie zunächst stärker als in anderen Körperregionen. "Die Finger oder Zehen röten sich stark. Diese dreistufige Verfärbung – erst weiß, dann blau, dann rot – wird in Anlehnung an die französische Nationalflagge als "Trikolore-Syndrom" bezeichnet", sagt der Kempener Gefäßexperte und erklärt, was dabei passiert: "Rot werden die Finger durch eine Gegenregulation des Körpers nach der anfänglichen Mangeldurchblutung. Die Gliedmaßen werden dann vermehrt durchblutet."

Gefürchtete Fingeramputation

Betroffene, die das zum ersten Mal erleben, versetzt das oft in Angst und Schrecken. Nicht ganz ohne Grund. "Denn im äußersten Fall kann die Ursache dss Raynaud-Phänomens zum Gewebeuntergang und Fingerverlust führen", sagt Professor Knut Kröger, Gefäßspezialist am Helios Klinikum Krefeld. Kommen Patienten mit den besonderen Durchblutungsstörungen zu ihm, ist es darum für den Mediziner zunächst wichtig, herauszufinden, um welche Form der Leichenfingerkrankheit es sich handelt. Denn die eine ist eher harmlos, die andere kann zu gefährlichen Ausprägungen führen, die dringend behandelt werden müssen.

Harmlos und gefährlich – zwei Formen einer Krankheit

Am häufigsten – nämlich in 90 Prozent der Fälle – tritt das primäre Raynaud-Syndrom auf, für das sich keine genaue Krankheitsursache ausmachen lässt. Meist treten die Beschwerden dann in beiden Händen auf. "Das ist zwar unangenehm, aber harmlos", sagt Kröger. Wirklich gefährlich und vor allem schmerzhaft kann hingegen die sekundäre Form des Raynaud-Syndroms werden. "Sie tritt in Folge oder als Begleitsymptom einer anderer Erkrankungen, wie zum Beispiel als Frühsymptom von Kollagenosen auf", so Kröger weiter. Diese entzündlichen Erkrankungen des Bindegewebes sind die häufigste Ursache für ein sekundäres Raynaud-Syndrom. Eine typische solche Erkrankung ist die Sklerodermie, eine Autoimmunerkrankung, bei der sich die Haut der Hände verdickt und verhärtet und die auch innere Organe angreifen kann.

"Auch bei Tumorerkrankungen wie Leukämie kann begleitend die sekundäre Form des Raynaud-Phänomens auftreten", sagt Professor Kröger, so wie nach Schlaganfällen. Typisch ist dann das meist einseitige Auftreten. Die Prognosen für den weiteren Verlauf sind in solchen Fällen eher ungünstig. Denn neben Wachstumsstörungen der Fingernägel kann es auch zum Absterben der Fingerkuppen kommen, die eine Amputation unausweichlich machen. "Eine Verbesserung kann man am besten dadurch erreichen, dass die Grunderkrankung, die das Raynaud-Syndrom auslöst, behandelt wird", betont der Angiologe vom Krefelder Klinikum.

Betablocker und Nasenspray können Auslöser sein

Am klarsten sind die Therapieoptionen in Fällen, in denen sich der anfallsartige Gefäßkrampf auf die Einnahme bestimmter Medikamente zurückführen lässt. Man kennt Reaktionen nach der Gabe gefäßverengender Mittel wie manchen Betablockern, Zytostatika oder Nasensprays. Denn häufig lässt sich der furchtbare Spuk durch den Austausch von Arzneimitteln beheben. Bei Krebstherapien muss er meist jedoch im Einzelfall billigend in Kauf genommen werden.

Manchmal kann das Syndrom auch eine Berufsunfähigkeit mit sich bringen. Dann nämlich, wenn dauernde physikalische Einwirkungen auf die Hände der Auslöser sind. Besonders problematisch sind Vibrationen, die bei der Arbeit mit Kettensägen, Bohrhämmern oder Pressluftschraubern auf die Hände übertragen werden. Davon sind laut der Deutschen Gesellschaft für Angiologie Berufsgruppen wie KFZ-Mechaniker, Steinmetze oder Gussputzer betroffen. Bei Menschen, die in kalter Umgebung – wie beispielweise einem Kühlhaus oder einer Fleischerei – arbeiten, trete das Raynaud-Phänomen häufiger auf und kann dann sogar den Wechsel des Arbeitsplatzes erfordern.

Das können Betroffene mit primärem Raynaud-Syndrom tun

In den meisten Fällen, in denen es um Missempfindungen durch das primäre Raynaud-Syndrom geht, lautet der Rat der Mediziner: Handschuhe tragen, bevor man das Haus verlässt oder einen Taschenwärmer mitzunehmen. Dr. Heiner Wefers empfiehlt zudem kalt-warme Wechselduschen, die die Gefäße trainieren. "Ansonsten benötigen diese Patienten meist keine weitere Behandlung", sagt Kröger.

(wat)
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