Neues Verfahren aus den USA Wie das Polio-Virus Krebs heilen kann

Düsseldorf · Polio ist eine gefährliche Krankheit, die Lähmungen auslösen und zum Tod führen kann. Amerikanische Forscher haben jetzt entdeckt: Werden die Viren genetisch verändert, können sie unter Umständen Krebstumore von innen zerstören. Erste erfolgreiche Tests an Menschen gelangen jetzt in den USA.

 Das Glioblastom ist die häufigste und tödlichste Form des Hirntumores.

Das Glioblastom ist die häufigste und tödlichste Form des Hirntumores.

Foto: Shutterstock.com/ Sebastian Kaulitzki

Krebs ist eine der am meisten gefürchteten Krankheiten. Nicht nur, weil sie tödlich verlaufen kann. Die Nebenwirkungen von Bestrahlung und Chemotherapie machen vielen stark zu schaffen - und die Lebenserwartung wird häufig dennoch nur um einige Monate verlängert.

Die Ergebnisse der Wissenschaftler der angesehenen Duke Universität im US-Bundesstaat North Carolina könnten diese Prozeduren bald unnötig machen. In einer aktuellen Studie mit bislang 22 Krebspatienten haben sie erstmals veränderte Polio-Viren in aggressive Hirntumore gespritzt, um so eine gezielte Immunreaktion des Körpers auszulösen.

Eigentlich gilt Poliomyelitis ("Polio") als eine gefürchtete Kinderkrankheit. Die Viren greifen die muskelsteuernden Nervenzellen im Rückenmark an, sorgen so für Lähmungen und können sogar zum Tod führen. Die Verbreitung der Krankheit ist durch eine effektive Impfung stark zurückgegangen. Eine medikamentöse Behandlung gibt es jedoch bis heute nicht.

Die Idee, Viren im Kampf gegen Krebs einzusetzen, ist zwar alt, jedoch machten es erst die technologischen Fortschritte der vergangenen Jahre möglich, eine solche Therapie tatsächlich zu entwickeln. Nach jahrelangen Labor- und Tierversuchen gab die amerikanische Gesundheitsbehörde 2012 die Erlaubnis für erste Studien an Menschen. Eingesetzt werden soll die Behandlung zunächst nur gegen sogenannte Glioblastome. Dabei handelt es sich um die häufigste bösartige Form von Gehirntumoren bei Erwachsenen.

Bislang hat das Team um Annick Desjardins insgesamt 22 Erkrankte mit der experimentellen Methode behandelt. Alle Testpersonen befanden sich im Endstadium ihrer Erkrankung, und lebten nach der Therapie länger als prognostiziert.

Elf Patienten starben. Bei den anderen elf verbesserte sich das Krankheitsbild. Zwei sind inzwischen ganz vom Krebs geheilt, wie "cbsnews" berichtet. Keiner der Probanden prägte Symptome von Polio aus.

Um das Polio-Virus zu einer Waffe gegen Tumorzellen zu verwandeln, veränderten die Forscher seine DNA so, dass es sich nur noch in Tumorzellen nicht aber in gesunden Zellen vermehren kann. Zudem tauschten sie die Geninformationen für Krankheitssymptome wie Lähmung gegen die harmlose Gensequenz einer Erkältung aus.


Da Tumore die Struktur gesunder Zellen nachahmen, greift das körpereigene Immunsystem sie nicht an. So kann das krankhafte Zellwachstum ungehindert voranschreiten. Direkt in den Tumor injiziert soll das veränderte Polio-Virus, mit dem Namen PVS-RIPO, diesen Immun-Mechanismus zum einen wieder "einschalten". Zum anderen soll es die Tumorzellen von innen zerstören.

Eine der Patientinnen ist Stephanie Lipscomb. Wie "cbsnews" berichtet, war bei ihr 2011 im Alter von 20 Jahren ein tennisballgroßer Tumor hinter dem linken Auge entdeckt worden. Chemotherapie und Bestrahlung wirkten zwar zunächst, doch bereits nach einem Jahr kehrte das Glioblastom zurück.

Da ihr Krebs im Endstadium diagnostiziert wurde, willigte die junge Frau ein, sich der experimentellen Therapie zu unterziehen. Im Mai des Jahres 2012 injizierten ihr die Ärzte den veränderten Polio-Virus direkt in das Gehirn. Garantien gab es keine. Bislang war das Verfahren nicht an Menschen getestet worden.

Die größte Hoffnung von Ärzten und Patientin: die Lebenszeit etwas zu verlängern. Doch es kam noch besser. Rund 21 Monate später war der Krebs komplett aus Lipscoms Kopf verschwunden. Bis heute gilt die junge Frau als geheilt.

Möglich wird das, weil "das modifizierte Polio-Virus sich zwar nicht mehr in normalen Zellen reproduzieren kann. Aber in Krebszellen schon und während dieses Prozesses, entlässt es Giftstoffe, die die Zelle vergiften", erklärt Dr. Henry Friedman im Interview mit "cbsnews". Die Anregung des Immunsystems gelingt dagegen, weil das Polio-Virus es schafft, das Schutzschild des Tumors zu umgehen. "Der Körper erkennt zwar nicht den Tumor, dafür aber die Infektion — und beginnt diese zu bekämpfen." Und damit bekämpft es auch den Krebs.

Die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) gab nun bekannt, dass die neue Methode wohl in einem Jahr den "Breakthrough Status" erhalten könnte. Damit werden Therapiemethoden ausgezeichnet, die bei lebensbedrohlichen Krankheiten aller Wahrscheinlichkeit nach eine drastische Verbesserung gegenüber den bisherigen Therapien bringen. Aus diesem Grund durchlaufen derartige Wirkstoffe auch ein verkürztes Zulassungsverfahren.

Die Wissenschaftler legen große Hoffnungen in ihre Therapie. In Zukunft wollen sie testen, wie wirksam die Behandlung mit dem modifizierten Polio-Virus gegen andere Krebsarten wie Brust-, Prostata-, Lungen-, Darm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs ist.

(ham)
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