Warnsignal Schlafstörung Sprechen und schlagen im Schlaf deutet auf Nervenkrankheit hin

Marburg · Nachts, wenn andere entspannt träumen, schlagen sie um sich, schreien oder greifen ihren Bettnachbarn an. Diese Anzeichen einer Schlafstörung, die kaum jemand kennt, sind in den meisten Fällen Vorbote einer schweren Nervenkrankheit. Lesen Sie hier, wie Mediziner die Erkrankung entschlüsseln, um irgendwann etwas dagegen tun zu können.

 Nicht alle schlafen friedlich - bei der REM-Schlafverhaltensstörung schlagen und schreien die Betroffenen, ohne sich daran erinnern zu können.

Nicht alle schlafen friedlich - bei der REM-Schlafverhaltensstörung schlagen und schreien die Betroffenen, ohne sich daran erinnern zu können.

Foto: Shutterstock/ Fer Gregory

Anderthalb bis drei Stunden nach dem Einschlafen beginnt eine besondere Schlafphase. Die, in der wir träumen. Während der Schlafende entspannt daliegt, lässt sich von außen beobachten, wie seine Augen beginnen, sich ruckartig unter den geschlossenen Lidern hin und her zu bewegen. Das Besondere an dieser auch Rapid Eye Movement (REM)-Schlaf genannten Phase ist, dass die Körpermuskulatur vollkommen gelähmt ist. Während wir träumen zu laufen, liegen wir regungslos da.

Forscher nehmen an, dass es evolutionsbiologische Gründe sind, die dafür verantwortlich sind. Es diente unseren Vorfahren zum Schutz, nicht im Schlaf aus Verstecken zu stürzen und gefressen zu werden. Bei manchen Menschen aber funktioniert dieser Mechanismus nicht. Die Stellen im Hirn, die die Bewegung blockieren, funktionieren nicht.

Die Betroffenen schreien laut, sprechen meist Unverständliches oder schlagen und treten um sich. Hervorgerufen wird das heftige Verhalten im Schlaf durch Träume, die häufig gewalttätig oder aggressiv sind. Die Patienten erleben sie so intensiv, dass sie darauf im Schlaf reagieren. Weil bei ihnen aber die Muskelerschlaffung aufgehoben ist, verletzen sie sich selbst durch ihre heftigen Bewegungen, schlagen an Bettkanten oder fallen aus dem Bett. Die Krankheit, die immer noch weitgehend unbekannt ist und an der diese Menschen leiden, wird REM-Schlafverhaltensstörung, im Englischen "REM Sleep Behaviour Disorder" (RBD) genannt.

"Manchmal wird der Bettnachbar morgens mit einem blauen Auge wach", sagt Prof. Wolfgang H. Oertel. Er ist Direktor der Klinik für Neurologie an der Philipps Universität Marburg und des Universitätsklinikum Marburg und leitet das einzige deutsche Center of Excellence der National Parkinson Foundation. Dort arbeitet er mit seiner Arbeitsgruppe an der Erforschung der unbekannten Krankheit, denn er ist der Überzeugung, dass das wesentlich dazu beitragen wird, das Auftreten der Parkinson-Krankheit zu verzögern, wenn nicht zu verhindern.

Meist dauert es nicht lange, bis rund 90 Minuten nach dem Einschlafen das Schreien oder Schlagen beginnt. Es kann mehrmals in der Nacht dazu kommen, in anderen Fällen liegen Wochen zwischen den einzelnen Attacken. Trotz der oft intensiven Bewegungen und der Übergriffe auf Mitschlafende, werden die Betroffenen in der Regel nicht wach.

So geschah es auch in einem spektakulären Fall, der im Jahr 2008 durch die britischen Medien ging. Mit seiner Frau machte der Stahlarbeiter Brian Thomas Urlaub im Wohnmobil. Furchtbares offenbarte sich ihm, als er an einem Junimorgen neben seiner toten Frau erwachte. Er hatte sie im Schlaf erwürgt, weil er sie im Traum für einen Einbrecher gehalten hatte. Nach einer Anklage wegen Mordes, sprach ihn das Gericht jedoch frei, weil Mediziner glaubhaft nachweisen konnten, dass der Brite unter der REM-Schlafverhaltensstörung litt.

Bislang ging man davon aus, dass auf neun Männer nur eine Frau kommt, die unter der besonderen Schlafstörung leidet. Oertel führt das allerdings auf die Art der Befragung betroffener zurück. Es wird die Aufgabe neuerer Studien sein zu zeigten, dass das Erkrankungsverhältnis zwischen den Geschlechtern vermutlich ähnlich hoch sei, sagt er.

Als Experte auf diesem Gebiet, forscht er in einem hochspezialisierten Zentrum gemeinsam mit Schlafforschern nach den Ursachen für die REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Denn die nächtlichen Auswüchse, die symptomatisch sind für RBD, können ein erstes Warnzeichen einer Parkinson-Krankheit sein. "85 Prozent der Patienten, die an RBD leiden, entwickeln nach fünfzehn bis 20 Jahren Morbus Parkinson oder die seltene Nervenkrankheit Multisystematrophie (MSA)", sagt der Neurowissenschaftler. Damit kann die Schlafauffälligkeit ein Frühwarnsystem für Parkinson sein.

Diese Krankheit ist nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie neben Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Schätzzahlen gehen von einer Viertelmillion Betroffener in Deutschland aus. Sie leiden an dem für die Erkrankung typischen Zittern der Hände, Muskelsteifigkeit, Bewegungsstörungen und kognitiven Einschränkungen. Die Krankheit verläuft in mehreren Stadien und endet im Untergang der Nervenzellen im Mittelhirn, die den Botenstoff Dopamin produzieren.

So diagnostiziert man die Krankheit

Durch gezielte Fragebögen und die Aufzeichnungen im Schlaflabor lässt sich RBD, früher auch Schenck-Syndrom genannt, diagnostizieren. In manchen Fällen ist diese Diagnose aber sehr kostspielig, denn im Vorfeld ist unbekannt, nach wie vielen Nächten unter Laborbedingungen sich die Symptome zeigen werden.

"Ab dem 35. Lebensjahr beginnt die Uhr zu ticken. Mit dem zunehmenden Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für die REM-Erkrankung. Bei den über 60-Jährigen sind es bis zu fünf Prozent der Bevölkerung, die daran leiden", so der Neurologe. Stellen die Mediziner fest, dass die Dopaminzellen im Hirn geschädigt sind, dauert es noch fünf bis zehn Jahre, bis die Hand zu zittern beginnt und sich so erbarmungslos die Parkinsonkrankheit zeigt. In Marburg suchen Oertel und sein Team nach geeigneten Therapien gegen die REM-Schlaf-Verhaltensstörung, um die gefürchtete und unheilbare Schüttellähmung aufzuhalten und die Krankheit rechtzeitig stoppen zu können.

Derzeit sind den Medizinern therapeutisch allerdings die Hände gebunden. Es gibt keine Medikamente, die die typischen Eiweißverklumpungen im Gehirn von Parkinson-Patienten verhindern würden. "Wir können derzeit nichts tun, um den Energiehaushalt im Gehirn zu verbessern oder die Dopaminzellen dort zu unterstützen." Noch ist es ein Traum, Parkinson-Patienten in einem Stadium der Erkrankung helfen zu können, in dem das Dopamin-System noch fast im Takt ist, denn es fehlen Forschungsgelder.

Den Medizinern bleibt nach der Diagnose derzeit nicht mehr als die Symptome der REM-Schlaverhaltensstörung mit dem Benzodiazepin Clonazepam oder Melatonin zu behandeln. Und nicht einmal für diese Substanzen gibt es großen Studien, die die Wirksamkeit vergleichend untersuchen und belegen würden. Doch auch, wenn die Medizin derzeit nicht viel für die Betroffenen tun kann, raten die Experten betroffenen Patienten, sich klinisch betreuen zu lassen, denn — so Oertel — "letztlich wird es nur zusammen mit diesen Patienten gelingen, Medikamente oder andere Verfahren zu beweisen, die das Auftreten der Parkinson Krankheit verhindern können".

(wat)
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