Diagnose Krebs Das öffentliche Sterben des Dmitrij Panov

Ein 25-jähriger Student schreibt im Netz über sein begrenztes Leben mit einem Hirntumor. Seine Texte treffen ins Mark, und witzig sind sie auch. Wie macht er das? Und warum?

1. Februar 2016: "Hallo. Ich heiße Dmitrij Panov und ich werde bald sterben. Klingt komisch, ist aber so. Aber vielleicht sollte ich von vorne anfangen..."

1. Februar 2016: "Hallo. Ich heiße Dmitrij Panov und ich werde bald sterben. Klingt komisch, ist aber so. Aber vielleicht sollte ich von vorne anfangen..."

Foto: Panov

Dmitrij Panov ist vieles, wie jeder Mensch, 25 Jahre alt zum Beispiel, ein Videospiel- und Filmnerd, Psychologiestudent und Laien-Theaterschauspieler, Stipendiat und Russlanddeutscher, Einzelkind und Single, gläubig und hochintelligent und brüllend komisch.

Vor allem aber ist er bald tot.

Es ist jedoch nicht so, dass Dmitrij sanft entschläft. Er stirbt langsam und qualvoll, der Krebs wuchert in seinem Körper, jeden Tag hat er woanders Schmerzen.

Aber Dmitrij nimmt's offenbar leicht — sehr viel leichter, als menschenmöglich erscheint. Er schreibt über die Schmerzen und die Medikamente und die Nebenwirkungen, öffentlich und explizit: Er schreibt von Stuhlgang und Erbrochenem, von Blut, Kot und Tränen. Aber nie als Selbstzweck, stets zur Brechung des eigenen Glamours.

"Sterben mit Swag" hat er sein Blog genannt, ironisch, wie fast jeder, der den Ausdruck "Swag" für "Coolness, Lässigkeit" benutzt. "Sterben mit Stil" hätte er bevorzugt, aber das war schon vergeben. Sich darüber zu ärgern, liegt ihm fern. Erstens tut es das generell, zweitens mag er den jetzigen Titel "eigentlich auch mehr. Hat nochmal ein gewisses 'Fuck you' der Situation gegenüber." Jetzt sind eben Morphinlutscher seine Süßigkeiten. Infusionen begrüßt er "wie alte Freunde. Ach, ihr hier und nicht in Hollywood?"

21. April 2016: "Seit gestern gibt's Bestrahlung, insgesamt 15-mal soweit. Merke bislang nicht viel davon, aber kommt bestimnt noch. Entsprechende Aufklärung: sehr hohes Risiko einer Querschnittlähmung bei Bestrahlung (...). Schauen wir, was sich retten lässt. Noch geht's und ich gehe und strecke mich bei der Physiotherapie. Läuft."

21. April 2016: "Seit gestern gibt's Bestrahlung, insgesamt 15-mal soweit. Merke bislang nicht viel davon, aber kommt bestimnt noch. Entsprechende Aufklärung: sehr hohes Risiko einer Querschnittlähmung bei Bestrahlung (...). Schauen wir, was sich retten lässt. Noch geht's und ich gehe und strecke mich bei der Physiotherapie. Läuft."

Foto: Panov

Dritter Hirntumor, mit Metastasen in der Wirbelsäule — "Jackpot!"

Das Blog ist sehr viel mehr als ein Tagebuch, es enthält viele kluge Gedanken, dazu Film-, Buch- und Videospieltipps en masse. Hier schreibt ein Experte. Mit dem Leben kennt Dmitrij sich verblüffend gut aus, mit dem Sterben erschreckend gut. Schon bei seiner Geburt war er halb tot; die Nabelschnur seiner Mutter hatte sich so um seinen Hals gewickelt, dass er per Not-Kaiserschnitt geholt und stundenlang reanimiert werden musste. Nach zwanzig in dieser Hinsicht ereignislosen Jahren dann 2011 das nächste Rendezvous mit dem Tod: Mitten in einer Odyssee von Arzt zu Arzt wurde er ohnmächtig, und als er wieder zu sich kam, eröffnete man ihm, dass er an einem Hirntumor leide und am nächsten Tag operiert werde. Dmitrij freute sich darüber, weil er Klarheit schätzt und tief gläubig ist und der Überzeugung, dass alles vorherbestimmt ist; wozu also Sorgen machen?

In den Tagen nach dieser Operation, schreibt er, habe er "die Vorzüge starker Narkosemittel (diese Bilder!) und Blasenkatheter (Pinkeln gehen ist was für den Pöbel)" kennengelernt. Bestrahlung und Chemotherapie schienen erfolgreich. "Jahrelang war alles gut. Wäre nicht schlecht, wenn es an dieser Stelle enden könnte."

Doch der Krebs kam zurück, aggressiver als zuvor. Erneute OP, erneute Bestrahlung, erneute Chemo. Erneuter Erfolg. Erneute Freude bei Dmitrij und das trockene Urteil des genügsam Gewordenen: "Gut, ein Drei- bis VierJahres-Rhythmus ist irgendwo okay." Kein Jahr später dann, Ende 2015, wird klar: Der Krebs hat genauso wenig Rhythmus- wie Taktgefühl. Er ist erneut zurück, und er ist gekommen, um zu bleiben. Er hat Metastasen gebildet, Heilungschance: null.

Im Dimi-Sprech: "Neues MRT, neues Glück, Jackpot: Schönes neues Rezidiv, das vor Freude direkt in die Wirbelsäule gekotzt hat." Im zweiten Eintrag, vier Tage später, formuliert vor aller Welt er den Anspruch an sich selbst, das Ziel, aktiv zu bleiben, sich nicht hängenzulassen: "Dimi wird relativ bald sterben. Dimi heult aber nicht deswegen rum, sondern zockt (Videospiele), wann immer er kann, und lädt Leute zum Filmeschauen ein (...)." Es folgt der Appell, der im Zentrum seines Kunstwerks steht: "Sei wie Dimi (minus das mit dem Sterben)."

"Abwarten, bis alles aussetzt — aber Rest fühlt sich doch gut an"

Und es stimmt, diese Verweigerung gegenüber jedem Selbstmitleid, diese Freude an kleinen Dingen und diese Vorliebe für Reflexion ("Die eigene Krebsigkeit spiegelt sich überall"), diese ständige Selbstironie, kann uns, die unter deutlich besseren Umständen an alledem ständig scheitern, nur Vorbild sein.

Ehrensache, dass er jede Kritik vorwegnimmt, vor allem die unterstellte Gier nach Aufmerksamkeit ("ich kleine Fame-Hure"), und die Selbst-Entzauberung gleich mitliefert: "Ich bin ein weitaus langweiligerer Mensch als Schreiber, so schlagfertig wie ein Reissack (...). Tanzen tue ich wie ein Frettchen am Elektrozaun und Flirten vermutlich ähnlich gut."

Ein "Lebenskünstler" sei Dmitrij, sagt halb stolz, halb bewundernd ein ehemaliger Lehrer. Schon als Schüler habe er "viel zu sagen" gehabt und dabei ohne falsche Bescheidenheit auch das Rampenlicht gesucht, aber nie auf eine unangenehme Art oder auf Kosten anderer. "Ein Kellerkind, das etwa Partys gemieden hätte, war er auch nicht — im Gegenteil, er hat sich sehr intensiv mit der Welt auseinandergesetzt." Ein sehr gutes Einser-Abi habe er quasi im Vorbeigehen abgelegt, vielleicht sogar mit 1,0, "genau erinnere ich micht nicht daran, aber es ist ja auch völlig egal". Über das Blog gebe es durchaus geteilte Meinungen, fest stehe allerdings eines: "Sein Umgang mit allem erleichtert auch seinem Umfeld den Umgang damit enorm."

Letzte Frage: Kauft er seinem ehemaligen Schüler das ab? Ist sie real, diese ruhige Furchtlosigkeit, die aus jeder von Dmitrijs Zeilen spricht? "Gute Frage. Nur so viel: Wenn ich das irgendjemandem zutraue, dann diesem besonderen Mann."

Der bislang letzte Eintrag stammt von Sonntag. "OP wird nicht als Option gesehen, also abwarten, bis irgendwann alles aussetzt. (...) Testament immer noch nicht fertig, hoffentlich kriege ich das noch in den Lot, so kurz vor meinem Tod. Ist aber wohl auch meine größte Sorge momentan, Rest fühlt sich doch gut an."

Gut? Ja, gut.

Weil die Zeit, in der er sich noch Vorwürfe machen kann, das Testament vielleicht nicht fertigzustellen, "nicht lange sein wird, harhar". Weil er manche Ablenkung los ist: "Bin seit Anfang April untenrum völlig ertaubt. (Witzig: Brüste schaue ich mir immer noch sehr gerne an.)" Weil er es sportlich sieht, kinderlos geblieben zu sein, und aus der Perspektive seiner fiktiven Partnerin sowie der fiktiven Kinder: "Halbwaisen produzieren ist auch nicht so meins".

Noch fünf Mal zwei Stunden Theater gespielt — weil er's kann

Weil er einfach eine überragende, unerschütterliche Einstellung zu allem hat, wie sich auch in der Online-Fragerunde bei Reddit.com ("Ask me Anything") zeigte. "Wenn mir jemand Zeit genommen hat, dann ich selbst", schrieb er dort, und: "Sterben muss jeder mal, und ich hatte bislang ein wirklich tolles Leben."

Im März haute er in die Tasten "Genau 30 Tage bis zur Aufführung. Darf nur nicht bis dahin sterben oder sonstwie spielunfähig werden. Egal mit wieviel Swag", im April stand er auf der Bühne und spielte sich die Seele aus dem Leib. Und zwar nicht ein oder zwei oder drei oder vier Mal. Sondern für fünf Aufführungen à zwei Stunden. Danach musste er für zwei Monate ins Krankenhaus. Aber eben erst danach.

Das Stück hieß "Ernst sein ist alles". Wie er dem gegenübersteht, das kommt, wenn der Vorhang von "Das Leben des Dmitrij Panov" final gefallen ist? "Neugierig auf jeden Fall, vielleicht sogar positiv gespannt."

Dass er das so sieht, liegt letztlich an der Liebe, die er spürt: "Es gibt ja mehr als die Schmerzen. Gut schlafen — Liebe. Besuch bekommen — Liebe. Endlich etwas essen können — Liebe. Sie ist überall, man muss sich nur auf sie einlassen, auch wenn es schwierig ist. (...) Die einzige Frau, die ich wohl wirklich geliebt habe, hat mich aus ihrer Facebook-Freundesliste gelöscht. Aber das ist egal. Ich denke an sie zurück und mir wird warm um's Herz. Nicht dass etwas zwischen lief (oder überhaupt hätte laufen können), aber sie hatte mich so berührt, einfach durch ihre Existenz, dass ich mich bis heute an ihr festhalten kann."


Am 8. Oktober 2016 ist Dmitirj gestorben. Sein letzter, von ihm vorbereiteter Blogeintrag lautet:

Lebt wohl

Lebt wohl, meine Freunde, war schön mit euch.
Leb wohl, Welt, du warst die tollste, in der ich hätte sein können.
Leb wohl, Leben, ich hätte kein besseres haben können.

(tojo)
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