Chemotherapie Wie eine Kältekappe die Haare retten soll

Krefeld/Heidelberg · Eine der belastendsten Nebenwirkungen bei einer Chemotherapie ist der Verlust der Haare. Amerikanische Wissenschaftler haben eine Kältekappe entdeckt, die das verhindern soll. Doch die Begleittherapie ist teuer, die Langzeitfolgen sind unklar. Was Patienten über die neue Begleittherapie wissen müssen.

 Der Verlust der Haare durch die Chemotherapie ist für viele Patienten sehr belastend.

Der Verlust der Haare durch die Chemotherapie ist für viele Patienten sehr belastend.

Foto: Shutterstock/Sergey Goruppa

Als bei Brigitte Eckert* Brustkrebs diagnostiziert wird, setzen die Mediziner auf eine Operation mit anschließender Bestrahlung sowie einer Antihormontherapie. Sie behält ihre Haare und ist erleichtert darüber, dass man ihr wenigstens nicht ansehen kann, was sie gerade durchmacht. Am Ende der Therapie ist der Krebs verschwunden. Doch nur ein Jahr später schlägt das Schicksal erneut zu: "Es war ein Rezidiv da, wo der Krebs vorher schon mal war", erzählt die 44-jährige Krefelderin. Als die Ärzte ihr zu einer Chemotherapie raten, kreisen ihre Gedanken vor allem um die bekannteste Nebenwirkung: eine Glatze.

"Wenn man seine Haare verliert, trägt man die Krankheit nach außen. Aber ich wollte gerne selber entscheiden, wem ich davon erzähle und wem nicht", sagt Eckert. Dann erfährt sie von einer speziellen Begleittherapie. Eine Kühlhaube, die während der Chemo getragen wird, soll den Haarausfall verhindern. Zwar bezahlt die Krankenkasse den Einsatz der Haube nicht, aber für sie setzte alle Hoffnungen daran, ihre langen, lockigen Haare trotz der aggressiven Chemotherapie zu behalten.

Weil sich viele Betroffene das wünschen, forschen Wissenschaftler seit den 1970er Jahren an einer Möglichkeit, die belastende Nebenwirkung der Chemotherapie zu eliminieren. Lange ohne Erfolg. Bis vor rund zehn Jahren zwei Firmen ein System präsentierten, das zu funktionieren scheint: eine Kappe, die die Kopfhaut wie ein Kühlschrank auf wenige Grad herunter kühlt. Rund 30 Minuten vor Beginn der Chemotherapie wird sie aufgesetzt und bleibt noch bis zu 150 Minuten nach der Behandlung auf dem Kopf. Mit diesem Verfahren soll die Wirkung der Chemotherapeutika vor dem Eindringen in die Haarwurzeln gestoppt werden.

Denn Zytostatika (die Wirkstoffe der Chemotherapie) hemmen nicht nur das Wachstum von Krebszellen. Sie wirken ebenso auf Körperzellen und schädigen oftmals die Haarwurzeln. Die Haare fallen dann aus. Durch das Kühlen der Kopfhaut verengen sich dort die Blutgefäße. So sollen weniger wachstumshemmende oder toxische Medikamente an die Zellen der Haare dringen.

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Kliniken und Praxen, die die Anwendung als Selbstzahlerleistung anbieten, loben sie als erfolgsversprechend. Die Frankfurter Diakonie Kliniken berichten: "Bei 81 Prozent der Patientinnen bewirkt die Kühlhaube einen vollständigen oder guten Haarerhalt." Dort bietet man die begleitende Therapie sowohl Brust- als auch Eierstockkrebspatientinnen an. Zu anderen Ergebnissen kam die Bochumer Onkologin Dr. Dörthe Schaffrin-Nabe in einer Studie mit 226 Brustkrebspatientinnen. Darunter 76 Erkrankte, die unter anderem das Mittel Epirubicin erhielten, das für die Nebenwirkung "Haarausfall" bekannt ist. Im Ergebnis hatten 65 Prozent aller Teilnehmerinnen keinen oder lediglich nicht sichtbaren Haarausfall.

Allerdings kritisieren einige Experten die mangelhafte Qualität der existierenden Wirksamkeitsstudien. Die Untersuchungen sind nur klein und selbst die größte dazu existierende Metastudie fasst nicht mehr als rund 1100 Patientendaten. "Die Ergebnisse sind bisher bedingt aussagekräftig, vor allem wenn man sie mit den Anforderungen vergleicht, die zum Beispiel zur Zulassung neuer Arzneimittel erfüllt sein müssen", merkt der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung an und fügt hinzu: "Bisher wurde das Verfahren überwiegend bei Brustkrebspatientinnen getestet. Doch auch für sie gilt: Konkrete Empfehlungen zur Anwendung gibt es von den Brustkrebs-Experten in Deutschland wie in anderen Ländern nicht. Denn theoretisch könnten aus der Anwendung Risiken entstehen. Würde das Prinzip funktionieren und kämen tatsächlich weniger Krebsmedikamente in der Kopfhaut an, könnten sie im Umfeld der Kältehauben auch nicht gegen versprengte Tumorzellen wirken."

Auch die Autoren der Metastudie kommen zu dem Schluss, dass man über die Langzeit-Wirkung nichts sagen könne. Es bedürfe weiterer Studien. Außerdem raten sie insbesondere Patienten mit Leukämie, Lymphomen oder Melanomen von Kühlhauben eher ab.Bei diesen Erkrankungen ist das Risiko der Ausbreitung von Tumorzellen über die Blutbahn besonders hoch.

"Bei der Behandlung von Brustkrebs haben wir in der Regel keine Kopfhaut-Metastasen", sagt die Leiterin des Brustzentrums an der Universität München, Professorin Nadia Harbeck. Sie schätzt das Risiko hier eher gering ein. "Die Systeme funktionieren. Es besteht allerdings nur eine geringe Datenlage", fährt sie fort. In München setzt man die Kühlkappen innerhalb einer klinischen Studie seit September 2015 ein. "Wir haben bislang 20 Patientinnen derart behandelt, und es kristallisieren sich Chemotherapien (zum Beispiel die mit Taxanen) heraus, bei denen es besser funktioniert. Dort können rund 70 Prozent der Frauen auf eine Perücke verzichten. Bei den Anthrazyklinen (Anmerkung der Redaktion: zu denen auch Epirubicin zählt) scheint es eher nicht zu funktionieren", sagt die Studienleiterin.

Auch bei Brigitte Eckert hatte der Einsatz der Kühlhaube nicht den erhofften Erfolg. "Ich habe trotzdem viele Haare verloren", sagt sie gegenüber unserer Redaktion. "Trotzdem würde ich es wieder so machen."

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Foto: shutterstock/Kalin Eftimov

So sehr sehnen sich viele Patienten nach der Rettung ihrer Haare, dass es inzwischen in verschiedenen Krebsforen Anleitungen zum Nachbau gibt. Der Grund: Die Begleittherapie ist teuer. "Bei 100 Euro pro Anwendung und 20 Chemos wären das 2000 Euro", schildert eine Betroffene in einem Krebsforum. Expertin Nardina Harbeck warnt trotz solcher finanzieller Selbstleistung davor, sich im eigenen Keller im Basteln von Kühlhauben zu versuchen. Die Gefahr dabei: "Die kontinuierliche Kühlung ist nicht gewährleistet und zudem das Risiko von lokalen Erfrierungen gegeben", sagt die Krebsexpertin.

Die Leiterin des Krebsinformationsdienstes, Dr. Susanne Weg-Remers hält vor diesem Hintergrund die individuelle Beratung der Betroffenen für unumgänglich. "Wenn wir wissen, mit welchem Medikament genau die Behandlung durchgeführt wird, können wir zu möglichen Nebenwirkungen meist auch recht genau Auskunft geben." Das ist wichtig, weil "längst nicht bei jeder Krebsbehandlung, und auch nicht bei jeder Chemotherapie die Haare wirklich ausfallen", sagt Weg-Remers.

*Name von der Redaktion geändert

(wat)
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