Medizin Machen Antibiotika dick?

Düsseldorf · Jedes Jahr werden in Deutschland geschätzt 700 bis 800 Tonnen Antibiotika verordnet. Gleichzeitig steigt die Zahl an fettleibigen Menschen. Experten sehen darin einen Zusammenhang. Machen Antibiotika wirklich dick?

Die besten Antibiotika aus der Natur
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Foto: Shutterstock/oksix

Zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland sind laut Robert-Koch-Institut übergewichtig. Ein Viertel von ihnen ist sogar fettleibig. Das hat viel mit Bewegungsmangel und falscher Ernährung zu tun. Doch ein weiterer Zusammenhang drängt sich nach Ansicht von Experten auf: die Verordnungshäufigkeit von Antibiotika. 700 Tonnen jährlich sind es laut Schätzungen des Paul-Ehrlich-Instituts mindestens. 85 Prozent davon werden in Arztpraxen verordnet.

Hühner werden doppelt so groß mit Antibiotika

2005 hat der Biochemiker Jeremy Nicholson mit einer gewagten These die Diskussion um einen Zusammenhang zwischen beidem angeheizt. Er hielt den Anstieg epidemischer Fettleibigkeit zeitgleich mit der Entdeckung und dem breiten Einsatz der bakterientötenden Mittel seit Mitte der 1940er Jahre für keinen Zufall. In derselben Zeit stellte sich zudem heraus, dass Hühner unter Antibiotikagabe fast doppelt so groß wurden. Kurz darauf setzten Landwirte Antibiotika auf breiter Front ein: Auch Rinder, Schweine und Schafe wurden fetter. Nicholson hielt ähnliche Resultate beim Menschen für möglich.

Inwieweit sich solche Effekte von Tieren auf Menschen übertragen lassen, darüber sind Experten zwar uneins. Doch zahlreiche Studien zeigen, dass man mit dem Einsatz von Antibiotika nicht nur wegen möglichen Resistenzentwicklungen zurückhaltend sein sollte.

So belegte etwa ein Mäuse-Experiment des Infektiologen Martin Blaser von der New York University aus dem Jahr 2014: Schon der Einsatz geringer Mengen des Medikaments griff derart in den Stoffwechsel der jungen Tiere ein, dass sie doppelt so fett wurden wie Artgenossen, die antibiotikafrei blieben.

Erkenntnisse dazu, wie sich Antibiotika beim Menschen auswirken, sammelte Blaser ebenfalls. Dazu wertete der Forscher Gesundheitsdaten von über 11.000 britischen Kindern aus. Ein Drittel von ihnen hatte vor dem sechsten Lebensmonat Antibiotika bekommen. Das Risiko dieser Kinder, Übergewicht zu bekommen, stieg auf 22 Prozent. "Gleiches weiß man auch aus europäischen Studien", sagt der Forschungsleiter am Institut für Mikroökologie in Herborn, Andreas Schwiertz.

Wie kann das sein? Antibiotika töten nicht nur bakterielle Krankheitserreger ab, sondern dezimieren auch die Zahl der wichtigen und gesunden im Darm lebenden Bakterien. Das stört das fragile Gleichgewicht dort. Empfindliche Menschen bekommen das durch Darmprobleme wie Durchfall oder Verstopfung zu spüren. Viel gravierender jedoch sind die langfristigen Folgen, die durch häufige Antibiotikaeinnahme entstehen können: "Die bakterielle Besiedelung des Darms verändert sich so gravierend, dass das zu Übergewicht führen kann", sagt Schwiertz.

So greifen die Mittel in die Darmflora ein

Diese Erkenntnis fußt unter anderem auf Studien, in denen der schwedische Mikrobiologe Fredrik Bäckhed im Experiment mit Mäusen schon 2004 zeigen konnte: Darmmikroben spielen nicht nur eine Rolle beim Verwerten von Nahrung, sondern können auch eine Gewichtszunahme bewirken.

Seitdem verstärkte die Forschung ihr Bemühen um tiefere Einsichten in Sachen Darm und seiner Mikrobiota. Wenn auch lange noch nicht alle Geheimnisse um die Gesamtheit der Bakterien im Darm (Mikrobiom) und seine Funktion gelüftet sind, ist dennoch die Erkenntnis gewachsen, dass die winzigen Mitbewohner in einer wichtigen Symbiose mit uns leben.

Ist das Mikrobiom im Gleichgewicht, leben wir in einem kooperativen Miteinander mit ihm. Die Bakterien unterstützen das Immunsystem und auch die Verdauung. Wird dies jedoch aus der Balance gebracht - zum Beispiel durch einseitige Ernährung oder die Einnahme von Antibiotika -, verändert sich die Zusammensetzung der Darmbakterien nachhaltig. "Sie wird zu einseitig", sagt Forschungsleiter Schwiertz.

"Bei einer einmaligen Antibiotikagabe kann man davon ausgehen, dass sich der Darm wieder regeneriert", sagt der Experte. Nach rund einem Monat finde er wieder in sein Gleichgewicht zurück, das bestätigen Studien. Nicht jedes Antibiotikum wirkt sich dabei allerdins gleich aus. "Penicillin greift weniger ins Mikrobiom ein als andere Antibiotika", sagt Schwiertz.

In einer Studie zeigte sich beispielsweise bei einem Wirkstoff, dass nach dem Behandlungsende die Darmflora nicht wieder in ihren Ausgangszustand zurückfand. Die Artenvielfalt an Bakterien reduzierte sich. Einige Arten erholten sich sogar überhaupt nicht mehr. Kritiker halten die Datenlage für zu dünn.

Manchmal regeneriert sich der Darm nie mehr

Besonders tiefgreifend sind Veränderungen des Mikrobioms laut Schwiertz, wenn es zu häufig aufeinanderfolgenden Verordnungen kommt. "Dann kann die Darmflora noch für mehrere Monate beeinflusst sein." Es sei möglich, dass sie sich auch gar nicht mehr regeneriere. Das Tückische: Erst nach vielen Jahren zeigt sich der negative Effekt der Gewichtszunahme.

Wichtig ist dem Mikrobiologen dabei allerdings die Feststellung, dass Fettleibigkeit nicht nur auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden kann. "Die häufige Einnahme von Antibiotika ist eine Komponente, die dazu beiträgt, fettleibig zu werden." Niemand werde adipös, weil er in jungen Jahren zwei- oder dreimal Antibiotika bekommen habe.

Hier kommt nun doch die Ernährungsweise wieder mit ins Spiel. Denn auch sie hinterlässt ihre Signatur im Darm. Leicht kann ein Mikrobiologe beispielsweise einen Veganer anhand einer Untersuchung der Darmbakterien erkennen. "Er hat keine Laktobazillen im Darm, weil er keine Milchprodukte zu sich nimmt", sagt Schwiertz.

Für die Gesundheit spielt eine möglichst vielfältige Zusammensetzung der Darmflora eine Rolle. Je industrialisierter ein Land ist, desto einseitiger ist sie. Der Grund: In industrialisierten Ländern wird im Schnitt zu viel einfach verwertbare Nahrung gegessen. Die Bakterien, die auch mit der Verwertung schwierigerer Nahrung zurechtkommen, beherbergt unser Darm nicht.

Was im Darm adipöser Menschen anders läuft

Die Auswirkungen zeigen sich ebenfalls auf der Waage. "Bei adipösen Menschen nimmt die Bakteriengruppe der Firmicutes zu, die Gruppe der Bacteroidetes nimmt ab", schreibt Elisabeh Meyer, Hygienemedizinerin der Berliner Charité, in einer Studie zum Thema "Antibiotikaeinsatz und Resistenzentwicklung in Deutschland".

Im Darm übergewichtiger Menschen wimmelt es von Enzymen, die unverdauliche Kohlenhydrate spalten können. Das hat derbe Folgen für die Figur, sagen Wissenschafter wie Meyer. Denn diese Menschen holen aus derselben Nahrung mehr Energie als Normalgewichtige, bei denen Bacteroidetes dominieren.

Allen, die sich nun fragen, wie sie dafür sorgen können, dass der Darm im Gleichgewicht bleibt, rät Experte Schwiertz:

  1. Besprechen Sie mit dem Arzt, ob die Einnahme eines Antibiotikums wirklich nötig ist. "Antibiotika sind lebenswichtige und lebensrettende Medikamente. Sie müssen wieder richtig eingesetzt werden", sagt der Mikrobiologe.
  2. Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung. Nach der Einnahme von Antibiotika kann sich der Darm am besten regenerieren, wenn Sie mehr Gemüse und grundsätzlich ballaststoffreich essen. Proteine, wie sie auch in tierischen Lebensmitteln stecken, sind in Maßen sinnvoll. Fett und Zucker sollten eher selten auf dem Speiseplan stehen.

Und was ist mit Probiotika? Die haben zwar nachweislich einen Effekt auf den Darm. "Sie reduzieren die Diarrhoe (Durchfall) nach der Gabe von Antibiotika", sagt Schwiertz. Doch die nach dieser Therapie fehlenden Bakterien, seien oft nicht die, die man mit Probiotika zu sich nehme.

(wat)
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