Selbstversuch Was Zucker wirklich mit uns macht

Düsseldorf · Immer wieder wird gewarnt: Starker Zuckerkonsum schadet der Gesundheit. Aber der Verzicht zum Beispiel in der Fastenzeit ist ganz und gar nicht einfach. Unser Autor hat versucht, mehrere Wochen komplett auf Zucker zu verzichten - und ist dabei gleich auf mehrere Alltagshürden gestoßen.

So viel Zucker steckt in Lebensmitteln
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Foto: Shutterstock/LI CHAOSHU

Wer tagsüber den schnellen Kick sucht, greift gerne zum Schokoriegel. Oder gönnt sich ein Eis in der Kantine. Von den Geschmackssensoren der Zunge werden Signale ans Gehirn weitergeleitet und dort das Belohnungszentrum aktiviert: Es schüttet Dopamin aus. Nicht so viel wie bei harten Drogen, aber immerhin spürbar. Die Folge: Wir fühlen uns wohl. Und es funktioniert immer. Schon ein Baby strahlt, wenn man ihm Süßes auf die Zunge legt. Allerdings hat auch diese billige und legale Alltagsdroge wie jede andere Nachteile: Sie schadet der Gesundheit. Und einmal auf Zucker, ist es nicht so leicht, wieder davon wegzukommen. Aber es funktioniert.

Leben ohne Zucker? - Schwieriger als gedacht

Im Selbstversuch über mehrere Wochen zeigt sich, dass das Leben ohne Zucker zunächst vor allem eines bedeutet: Aufwand. Und eine gewisse Leidensbereitschaft. Denn der Körper mag es gar nicht, Schokolade oder Kuchen in Reichweite zu sehen, aber nicht zuzugreifen. "In Tierexperimenten hat schon der Anblick von Süßspeisen ein Ansteigen des Blutzuckerspiegels ausgelöst", sagt Professorin Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Dennoch ist es fast einfacher, das Naheliegende wegzulassen - Zucker im Kaffee, Marmelade auf dem Brötchen, den Nachtisch beim Mittagessen, den Süßkram am Abend.

Schwieriger wird es, den versteckten Zucker aus dem Alltag herauszufiltern. Denn wie Fett und Salz ist Zucker, also Glucose, Fructose oder normaler Haushaltszucker, ein Geschmacksträger und in vielen Fertiglebensmitteln enthalten, von denen man dies nicht erwartet. Pizza zum Beispiel, Ketchup, Fertigsuppen oder in eigentlich als gesund geltendem fettarmen Joghurt. Und zwar in rauen Mengen: 150 Gramm Joghurt können 18 Gramm Zucker enthalten, 20 Gramm Ketchup im Schnitt 4,5 Gramm. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, dass Erwachsene eine Tagesdosis von 25 Gramm nicht überschreiten sollten. Die ist aber teils schon mit einem Glas Fruchtsaft erreicht. Da wundert es nicht, dass die Deutschen im Schnitt täglich rund 100 Gramm Zucker zu sich nehmen.

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Mehr als drei Kilo zuzunehmen, ist gefährlich

Der australische Regisseur Damon Gameau wollte wissen, was so viel Süßes mit dem Körper macht. Für seinen Dokumentarfilm "Voll verzuckert - That Sugar Film" nahm er 60 Tage lang täglich 160 Gramm Zucker zu sich, aber nicht mit Süßigkeiten und Softdrinks, sondern ausschließlich durch den versteckten Zucker in Fertigprodukten. Das Ergebnis: deutlich verschlechterte Blutfett- und Leberwerte sowie eine Gewichtszunahme von 8,5 Kilogramm. Ärzte bescheinigten ihm, dass er auf dem besten Wege sei, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln.

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Dass zu viel Zuckerkonsum zum sogenannten Altersdiabetes führt, ist nicht erwiesen. "Es ist eher so, dass eine erhöhte Kalorienzufuhr langwierig schädlich ist, weil man an Fett zulegt", erklärt Ernährungswissenschaftlerin Klaus. Eine Gewichtszunahme aber steigert das Risiko, an Diabetes zu erkranken. So sollten Erwachsene laut einer Studie nicht mehr als drei Kilogramm zunehmen, legt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung dar. "Natürlich muss man auch den Faktor Bewegung berücksichtigen", sagt Klaus. "Wer sich ausreichend bewegt, verbrennt Kalorien."

So vermeiden Sie Zucker in Lebensmitteln

Klar aber ist: Der Körper braucht keinen Zucker. Noch vor 150 Jahren hatten die Menschen kaum Haushaltszucker zur Verfügung, und der süße Stoff war so wertvoll, dass er in abschließbaren Dosen aufbewahrt wurde. Heute ist er ein billiges Massengut, dass die Industrie fast überall beimischt. Gameau behauptet in seiner Doku, würde man alle Supermarktregale um zuckerhaltige Lebensmittel bereinigen, blieben nur 20 Prozent übrig. Für Zuckerverweigerer ein schwieriges Unterfangen.

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Klaus rät, auf verarbeitete Lebensmittel zu verzichten und möglichst selbst zu kochen. In Obst enthaltener Zucker ist unbedenklich, so lange die Frucht gegessen wird. Selbst größere Mengen seien unproblematisch. "Auch mit in Deutschland zugelassenen Zuckerersatzstoffe kann man bei vernünftiger Dosierung nichts falsch machen", sagt Klaus. "Die Frage ist nur: Kann man nicht auch ohne auskommen?" Denn auch Süßstoffe würden dem Hirn einen Zuckeranstieg signalisieren und damit die Insulinausschüttung antreiben, um den Zucker abzubauen - nur käme dann nichts. Das wiederum könne zu Unterzuckerung führen. Vor allem, sagt Klaus, solle man auf Getränke mit zugesetzten Zuckern (sogenannten sugar-sweetened beverages = SSB) verzichten - sie seien zuckertechnisch das größte Übel. Und stattdessen zum Durstlöschen Wasser trinken.

Der Selbstversuch, Zucker komplett zu verbannen, wurde übrigens nach einigen Wochen wegen notorisch schlechter Laune und zeitweiliger Konzentrationsstörungen abgebrochen. Mittlerweile lautet das persönliche Ziel, die WHO-Tagesdosis nicht zu überschreiten. Tatsächlich kommt man mit 25 Gramm oder sechs Teelöffel täglich relativ problemlos zurecht. So bleibt noch Platz für ein wenig dolce vita.

(RP)
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