Bier Seit 500 Jahren rein

Bier gehört zu Deutschland wie Leberwurst und Autobahnen ohne Tempolimit. Das verdanken wir einer sehr genialen Idee.

Bier: Seit 500 Jahren rein
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Das augenzwinkernd kolportierte Bonmot, die Deutschen kämen mit einem Bierglas - voll, natürlich - in der Hand zur Welt, hält sich hartnäckig. Dabei trinken die Tschechen und ein paar andere Völker der Erde im Durchschnitt mehr davon als wir.

Egal - Deutschland und sein Bier sind untrennbar verbunden, das Getränk ist Kulturgut unseres Volks wie Leberwurst und der deutsche Wald, wie Dichter und Denker, ein paar hundert Brotsorten und das fehlende Tempolimit auf den Autobahnen.

Diese Einschätzung ist eine zutiefst respektvolle: Bier - nicht made, sondern brewed (gebraut) in Germany - hat einen Stellenwert wie Porsche und Mercedes, Audi und Bosch, Pünktlichkeit und Präzision. Das verdanken wir unter anderem einem Mann, der vor 500 Jahren im Land Bayern das Sagen hatte und wegen allerlei Schindluder beim Bierbrauen ein Gesetz erließ, das die Zutaten fürs Bier kurz und klar regelte: das Reinheitsgebot.

Im April 1516 (Deutschland, wie wir es heute kennen, gab es noch nicht!) legte man sich unter Führung von Herzog Wilhelm IV. in Ingolstadt fest, mehr als Wasser, Hopfen und Malz dürfe nicht drin sein in dem damals schon sehr beliebten Getränk. Später kam noch Hefe hinzu, aber ansonsten hat sich das in den fünf Jahrhunderten nicht mehr verändert. Der Grund war seinerzeit ein pragmatischer: Man panschte alle möglichen Kräuter und Zutaten (heute würde man sagen: Drogen) hinein, um Bier haltbarer oder schmackhafter zu machen. Die Folgen waren zum Teil angenehm, es gab nämlich bisweilen berückende Rauschzustände - leider gingen sie aber manchmal böse aus, so dass man sich veranlasst sah, überschäumende Missstände auszumerzen. Also: nichts als Wasser, Malz, Hopfen - basta.

Dass sich deutsches Bier ohne diese strenge Regel zu einem Qualitätsgut heutigen Ranges entwickelt hätte, darf bezweifelt werden. Der Beweis: Andere Länder ohne solche Regeln, aber mit einer vergleichbaren Brau-Tradition - Tschechien (Pilsen!) oder Belgien - gelten zwar ebenfalls als Könner auf diesem Gebiet, aber merkwürdige Zutaten - Mais, Stärke, etc. - verwässern oft die Reinheit. Von englischen Verirrungen (Erdbeer-Bier!) oder Exzessen exotischer Länder (in Mexico gilt es als lecker, eine Limonenscheibe ins Bier zu tunken!) wollen wir hier erst gar nicht reden.

Ein Hund holt Bier aus dem Kühlschrank
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Solche Kuriositäten sind auf jeden Fall Teil einer unerschöpflichen und sehr kurzweiligen Geschichte über Besonderheiten des Bieres. Ist es, wie das im Raum Düsseldorf gebraute Alt, besonders bitter, gilt es als heilsam für die malade Blase oder die schwache Niere, weil der hohe Hopfenanteil die Harnwege weitet und das gesamte System spült. Rheinische Zecher kennen das - spätestens nach dem dritten Glas drängt es sie heftig in die gekachelten Räume. Selbst angestoßen und erlebt haben wir die Heilung eines an Nierensteinen erkrankten Mannes, dem wir abends vor der OP vier Liter Alt verabreichten (am Ende mit sehr viel Spaß!) und der in der Nacht die festsitzenden Nierensteine auf natürlichem Wege ausschied.

Kurios auch die Sitte der Region zwischen Köln und Düsseldorf, den zwischen den Städten geführten Bierstreit (hier Alt, dort Kölsch) rheinisch-großzügig zu lösen und "Alt im Stängken" zu trinken - das Alt im schmalen Kölner Glas. Im hessischen Eschenburg lädt ein "Verein der Lederhosenfreunde" des Ortsteils Roth (ca. 500 Einwohner, sehr abgelegen) einmal monatlich zum Warmbierabend (kein Witz!), manche Bewohner der Gegend legen beim Umtrunk Wert auf wohltemperiertes Pils, am liebsten schütten sie es sich bei lauen 25 Grad in die Kehle.

Im alten Ägypten war Bier Teil der täglichen Mahlzeit für die schwer schuftenden Sklaven und in Bayern - wo sonst? - wurde eins hergestellt, das den wenig asketischen Mönchen als Teil einer Fastenkur galt und daher nicht unter die Regeln der Enthaltsamkeit in den Wochen vor Ostern fiel. Züchter besonders feiner Rinder für edles Steak schwören auf Bier fürs Tier, sogar Hunde nehmen gern einen Schluck des herben Trunks, und ein beliebter Spaß von uns Lausejungs beim Schützenfest der dörflichen Heimat war, den vorm Gasthaus angebundenen Pferden im Eimer ein paar kühle Helle zu genehmigen, was die Pferde euphorisierte und die Reiter irritierte.

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Weiter: Es gibt Biersuppe und Bierteig, Bierbrot und -brötchen, und ein Landwirt aus dem Umland von Düsseldorf kommt regelmäßig mit seinem Treckergespann in die dortige Altstadt und lädt den nach dem Brauen noch dampfenden Rückstand (Trester) einer Hausbrauerei auf, den sein Vieh mit Wonne frisst.

Warum wir alles das erwähnen? Weil es zeigt, wie tief dieses Getränk in unserer Kultur und im allgemeinen Gedächtnis der Nation verwurzelt ist. Dabei trinkt ein erheblicher Teil der Deutschen überhaupt kein Bier, und in den letzten 40 Jahren ist der Verbrauch von durchschnittlich rund 160 Liter pro Kopf und Jahr auf knapp über 100 Liter zurückgegangen. Mag sein, dass dies am Zeitgeist für bewussten Genuss liegt: Weniger ist mehr. Jedenfalls ist der Erfolg der kleinen, auf handwerkliche Qualität Wert legenden Brauereien gewiss kein Zufall, und immer häufiger trifft man sogar auf Bier-Sommeliers - Fachleute also, die sich mit dessen Feinheiten so gut auskennen wie ihre Kollegen beim Wein.

In einer Zeit, in der sich viele Menschen um das sorgen, was sie täglich zu sich nehmen, ist die Gewissheit um das Reinheitsgebot eine verlässliche Größe, während uns genmanipulierte Getreidesorten oder mit Medikamenten verseuchte Schweine aus Massentierhaltungen schaudern und nach Alternativen suchen lassen. Weil das immer mehr Konsumenten tun, besinnen sich Landwirte oder Züchter auf etwas, was die Bierbrauer schon seit 500 Jahren tun - ihr Produkt ohne Firlefanz herzustellen, nach einer Art Reinheitsgebot eben. Es ist heute aktueller denn je.

(RP)
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