Ernährung Brauchen wir wirklich warme Mahlzeiten?

Düsseldorf · Zucchini-Nudeln und Karotten-Snack: Rohkost ist ein Ernährungstrend, der immer mehr Menschen überzeugt. Immerhin soll er nicht nur schlank machen, sondern auch gesund. Aber kann der Mensch wirklich auf warme Mahlzeiten verzichten? Ernährungsexperten geben Antwort.

 Eine warme Suppe ist mehr als nur Gaumenfreunde.

Eine warme Suppe ist mehr als nur Gaumenfreunde.

Foto: Shutterstock/racorn

Ein Spiegelei am Morgen — ist das schon eine warme Mahlzeit? Oder erst ein warmes Mittagessen mit Schnitzel und Pommes? So genau kann man das nicht sagen, da sind sich die Ernährungsexperten einig. "Aber im klassischen Sinne versteht man darunter ein Hauptgericht", sagt Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Ob das nun vegetarisch ist oder neben Nudeln, Kartoffeln oder Reis und Gemüse auch ein Stück Fleisch beinhaltet, spielt keine Rolle. Und so viel sei vorweg gesagt: Nötig ist es nicht, aber es ist sinnvoll. Warum, das erklären Antje Gahl und Professor Susanne Klaus Leiterin der Arbeitsgruppe Physiologie des Energiestoffwechsels am Deutschen Institut für Ernährungsforschung.

Bevor das Feuer in die steinzeitlichen Höhlen Einzug hielt, lebten unsere Vorfahren ausschließlich von der kalten Küche. Beeren, Wurzeln, Fisch, Fleisch, Nüsse und Früchte füllten den Speiseplan, allerdings unverarbeitet und ungekocht. Das mag nicht das sein, wonach sich die herbstlich fröstelnde Seele sehnt. Doch grundsätzlich bekommt der Körper auch auf diese Weise, was er braucht.

Dennoch macht es Sinn, seine Speisen zu kochen. Viele Speisen werden dadurch erst genießbar. In der Steinzeit waren es vor allem Wurzeln, die so bekömmlicher und besser verdaulich wurden. Das entlastet nicht nur den Magen und Darm, sondern macht es dem Körper wesentlich leichter, die Nahrung in Energie umzuwandeln. Profitieren konnte davon nach Ansicht von Anthropologen wie Richard Wrangham von der Harvard University vor allem das Gehirn. Es wuchs.

Der amerikanische Wissenschaftler untersuchte weltweit heute lebende Volksstämme mit Jägern und Sammlern. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass keines dieser Völker ausschließlich rohe Nahrung zu sich nimmt. Seiner Schlussfolgerung nach hängt das mit der besseren Nahrungsverwertung gekochter Mahlzeiten zusammen. Das moderne Gehirn benötige 22 Mal mehr Energie als die Sklettmuskulatur. Zähe, faserige Knollen und Wurzeln liefern zu wenig davon, rechnet Wrangham vor: Ein Urmensch, der auf dem geistigen Niveau eines Homo sapiens leben wollte, müsste entweder rund fünfeinhalb Kilo rohe Pflanzenkost zu sich nehmen, oder 2,7 Kilo faserige Nahrung und zusätzlich rohes Fleisch. Nur dann könnte er überleben.

Gemeinsam mit dem Biologen Stephen Secor von der University of Alabama spürte er den Vorteilen des Kochens nach. Ihr Ergebnis: Durch Erhitzen veränderte sich die physikalische Struktur der Proteine und Stärken. Dadurch wird der Abbau von Enzymen im Körper erleichtert. Das sieht auch Ernährungsforscherin Professor Susanne Klaus so: "Manche Inhaltsstoffe werden erst durch das Kochen aufgeschlossen." Carotinoide, wie zum Beispiel die der Karotten oder auch Stärke, wie sie in Kartoffeln reichlich vorhanden ist, werden durch das Erhitzen in eine Form gebracht, die der Körper richtig verwerten kann, erklärt auch Ökotrophologin Antje Gahl.

Rohkost ist zwar reicher an Mineralstoffen als gekochtes Gemüse, doch gibt es daneben Vitamine und Mineralstoffe, deren Aufnahme durch Rohkost schwierig ist. Erst durch das Erhitzen werden manche Nährstoffe verfügbar gemacht. "Eisen oder Calcium bilden dann Komplexe mit anderen Lebensmitteln und können erst in diesem Moment verwertet werden", so Gahl. Ähnlich ist es auch mit dem in Tomaten vorhandenen Lycopin. Dieser natürliche Farbstoff hat ähnlich wie auch Carotinoide eine zellschützende Wirkung. Sie zählen zu den natürlichen Antioxidantien, die aggressive freie Radikale unschädlich machen. Gekochte Tomaten beinhalten um ein Vielfaches mehr Lycopin als rohe.

Da jedoch Rohkost reicher an Ballaststoffen ist, ist es nicht sinnvoll, ausschließlich gekochtes Gemüse zu essen. Allerdings sollte man dann den Darm daran gewöhnen und sich nicht am Abend entgegen aller Gewohnheit große Mengen roher Möhren und Co. einverleiben. Denn diese könnten dann eine unruhige Nacht beschweren, weil sie den Magen-Darm-Trakt in der Nacht auf Trab halten. Blähungen und Magendrücken können die Folge sein. Egal, ob Rohkost oder warme Mahlzeit gilt: "Zwei Stunden vor dem Schlafen sollte man die letzte Mahlzeit zu sich nehmen, damit der Körper mit dem Schlaf auch die Verdauung herunter fahren kann", sagt Gahl.

Während Kohlrabi auch roh ein Genuss sein können, ist "natur pur" bei manchen Gemüsen sogar schädlich. Denn es gibt Nahrungsmittel, die ungekocht giftig sind. Des Deutschen liebste Beilage zählt dazu. Kartoffeln enthalten wie alle Nachtschattengewächse giftige Alkaloide. Sie dienen der Pflanze als Fraßschutz vor Schädlingen. Für den Menschen kann der rohe Verzehr in einer Vergiftung münden. Sie zeigt sich zum Beispiel in Übelkeit, Erbrechen, einem Brennen im Hals, Kreislauf- und Atemproblemen und schlimmstenfalls sogar Lähmungserscheinungen.

Ähnlich ist es mit Bohnen. Diese enthalten im rohen Zustand den Eiweißstoff Phasin, der Spuren von Blausäure enthält. Er zählt zur Gruppe der Lektine und kann schwere Magen- und Darmstörungen verursachen und zum Verklumpen von Blutzellen führen. Kocht man das Gemüse hingegen zehn bis 15 Minuten, wird der sekundäre Pflanzenstoff zerstört. Damit werden die Bohnen genießbar. Auch Auberginen und Rhabarber sollten gekocht werden.

Für das Erhitzen von Nahrung nennen die Ernährungsexperten zudem hygienische Gründe. "Vor hundert Jahren noch war es eher die Regel, dass Menschen an durch Keime hervorgerufenen Lebensmittelvergiftungen starben", sagt Professor Susanne Klaus. Aus diesem Grund sollte Geflügel niemals roh verzehrt und auch bei der Verwendung roher Eier auf eine gute Hygiene geachtet werden. "Grundsätzlich ist es ratsam Fleisch, Milch und Fisch als Schutz vor Krankheiten nicht unerhitzt zu verzehren", rät Ökotrophologin Antje Gahl. So werden beispielsweise Keime wie Salmonellen oder auch EHEC-Bakterien durch das Erhitzen auf mindestens 70 Grad abgetötet.

In anderen Kulturen hat eine warme Mahlzeit darüber hinaus noch eine ganz andere Bedeutung. So in der ayurvedischen Lehre und auch in der traditionellen chinesischen Medizin. Die ayurvedische Ernährung sieht eine warme Mahlzeit täglich als Grundlage an. Sie fördert dieser Vorstellung nach das Verdauungsfeuer, hält also die Verdauung im Fluss. "In der chinesischen Medizin geht Rohkost im Winter gar nicht", sagt Dr. Michael Blondin, Allgemeinmediziner und Vizepräsident des Deutschen Naturheilbundes. Gewürze und Lebensmittel wie Ingwer, Knoblauch, Frühlingszwiebeln oder rote Beete und Kürbis gelten als Kälte-Killer. Solch wärmende Speisen sollen Müdigkeit, körperlicher und geistiger Leistungsschwäche und sogar einer höheren Infektanfälligkeit vorbeugen.

Spätestens wenn es im Winter richtig kalt wird, freuen wir uns auf ein wärmendes Süppchen oder eine heiße Tasse Tee. Warum diese auch physiologisch gesehen wärmen, erklärt Susanne Klaus vom Forschungsinstitut für Ernährung: "Wenn Sie einen Liter kaltes Getränk bei null Grad trinken, braucht der Körper 37 Kalorien, um es auf Körpertemperatur zu erhitzen. Diese Energie sparen Sie, wenn Sie etwas Warmes trinken. Es hilft, von innen aufzuwärmen."

(wat)
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