Erziehung Das läuft schief, wenn Kinder nicht essen wollen

Düsseldorf · Liefern kleine Kinder Boykottszenen am Essenstisch, macht sich bei den Eltern oft Hilflosigkeit breit. Warum die Kleinen nicht essen wollen und wie Eltern richtig reagieren, damit daraus kein Essproblem entsteht.

Die häufigsten Fragen zu Essstörungen
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Foto: NGZ

"Nein, kein Rotkohl! Iiih, Sauce." Kleine Kinder können große Nörgler sein. Das bringt viele Eltern an den Rand der Verzweiflung. Denn wenn das Essen nicht funktioniert, kommt schnell die Sorge auf, das Kind werde nicht gut mit allem versorgt, was für eine gesunde Entwicklung nötig sei, sagt Edith Gätjen. Sie ist Oecotrophologin, systemische Familienberaterin und steht Eltern zur Seite, wenn das Essen zum Problem wird.

"Dabei sind Genörgel am Tisch oder sogar eine kurzzeitige Essensverweigerung erst einmal kein Problem", sagt Gätjen. Wie auch bei Erwachsenen hängt der Appetit von vielen Faktoren ab: Wie viel bewegen sich die Kinder? Sind sie krank? Ist es heiß? Wachsen sie? "Üblicherweise futtern sie sich beispielsweise vor einem Wachstumsschub ein kleines Polster an, dann essen sie weniger und wachsen", sagt die Ernährungsexpertin.

Auch wählerisches Verhalten bei der Speisenauswahl kommt häufig vor und ist erst einmal normal. Denn Kinder wählen ihre Nahrung intuitiv aus. Auf der Hitliste steht vor allem Süßes. Der Trick dabei: "Wer bei der Hauptmahlzeit den Hunger gestillt hat, darf auch einen kleinen Nachtisch oder ein Stück Schokolade genießen", sagt Gätjen.

Warum Kinder oft am Tisch keinen Hunger haben

Oft aber läuft es genau anders herum: Kinder essen sich pausenlos durch den Tag. Hier ein Hirsekringel, da eine Reiswaffel, dort ein Plätzchen. Dass dann bei den Hauptmahlzeiten der Hunger auf sich warten lässt, ist kein Wunder. "Meine Mutter ging früher nach dem Mittagessen mit uns nach draußen. In ihrer kleinen Handtasche hatte sie einen Schlüssel und Taschentücher dabei", sagt Gätjen. Sonst nichts. "Bis zum Abendbrot hatten alle riesig Hunger. Genörgelt hat da keiner über das, was auf den Tisch kam."

Manche Probleme also sind nach Einschätzung der Expertin hausgemacht. Sie können zum Teil bei noch kleinen Kindern zu Essstörungen führen. Rund 20 bis 25 Prozent der Vorschulkinder zeigen tatsächlich ein problematisches Essverhalten, so steht es in der entsprechenden Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP). Was führt dazu?

Das sind die Ursachen für Essstörungen bei kleinen Kindern

"Wenn Kinder dauerhaft wenig essen, steckt meist eine sogenannte Fütterstörung, eine Regulationsstörung, dahinter", sagt Christine Freitag, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum Frankfurt. Diese kann organische Ursachen haben, wie zum Beispiel eine lange Sondenernährung als Baby oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. "Weitaus häufiger jedoch sind interaktive Ursachen, also das Miteinander von Kindern und Eltern", sagt Freitag. (Mehr über angeborene Magersucht lesen Sie hier.)

Beim Ablehnen von Nahrung gehe es häufig um kindliche Autonomie, sagt Freitag. Kleinkinder agieren selbstbestimmt beim Schlafengehen, in der Sauberkeitsentwicklung und vor allem beim Essen. Will das Kind seine Selbstständigkeit behaupten, stehen viele Eltern dem machtlos gegenüber.

Besonders Eltern, die ängstlich und unsicher handeln, machen das Problem noch schlimmer. Das Thema Essen wühlt sie besonders auf. Lehnt der Nachwuchs die Nahrungsaufnahme ab, werde das zum alltagsbeherrschenden Familienthema. Oft verändert sich die Atmosphäre schon vor dem Essen spürbar. Verkrampfte Elterngesichter und vorsichtiges Nachfragen beim Dreijährigen, was er denn wohl essen möge, seien das falsche Signal, da sind sich die Expertinnen Gätjen und Freitag einig.

Kindern nicht den Teller voll machen

Wie die Eltern ihre Unsicherheit zeigen, kann sehr unterschiedlich sein: Statt das Kind seinen Teller selbst zusammenstellen zu lassen, geben die Eltern ihm auf - und ließen sich dabei viel zu häufig den Geschmack des Kindes diktieren. Wenn gar nichts mehr funktioniert, werde die Mahlzeit in ein vom Handy abgelenktes Kind gelöffelt. "Ich hatte im vergangenen Jahr acht Smartphone-Entwöhnungen bei Kleinkindern", sagt Gätjen.

Andere Eltern laufen dem Nachwuchs mit Essen hinterher. Manche servierten aus der Angst heraus, das Kind könne verhungern, Nudeln mit Sauce im Kinderzimmer. Die Experten halten das für nachhaltige Fehler. Hat sich die Esssituation einmal derart zugespitzt, finden die meisten Familien nicht mehr alleine aus dieser Lage heraus. "Dann ist eine Eltern-Kind-Interaktions-Therapie nötig", sagt Freitag. Hilfe finden Familien bei spezialisierten Kinder- und Jugendpsychiatern. Erste Unterstützung kann auch der Kinderarzt oder ein Familienberatungszentrum geben.

Lebensbedrohliche Essprobleme erkennen

In weniger als einem Prozent der Fälle können Essstörungen derart ausgeprägt sein, dass die Kinder Gewicht verlieren, nicht mehr altersgerecht wachsen oder Nährstoffmangel entsteht. Man spricht dann von einer vermeidend restriktiven Essstörung. "Durch diese fällt es den Kindern schwer, an normalen sozialen Aktivitäten wie etwa dem gemeinsamen Essen teilzunehmen", sagt Johannes Hebebrand von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des LVR-Klinikums Essen. Auffällig für eine derart schwere Essstörung sind eine grundsätzliche Ablehnung von Essen und die ständige Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel. Manchmal werden Lebensmittel auch aufgrund ihrer sensorischen Eigenschaften oder ihres Geschmacks vermieden.

Hebebrand rät dazu, bei einem offensichtlichen Dessinteresse an Nahrung sowie einer dauerhaft querulanten Haltung beim Essen ärztliche Hilfe einzuholen, um einer möglichen vermeidend restriktive Essstörung frühzeitig entgegen zu wirken.

14 Tipps, mit denen Eltern der Entwicklung von Essstörungen im Vorschulalter vorbeugen können:

  1. Es gibt feste, möglichst gemeinsame Mahlzeiten. Nur geplante Zwischenmahlzeiten sind erlaubt. Wer seinem Kind ständig Snacks anbietet, sorgt dafür, dass es niemals wirklich hungrig ist. Der Effekt: Es verzichtet auf die Hauptmahlzeiten.
  2. Es gibt nichts außer Wasser oder ungesüßtem Tee zwischen den Mahlzeiten.
  3. Mahlzeiten dauern nicht länger als 30 Minuten.
  4. Das Essen wird nach fünf bis zehn Minuten weggeräumt, wenn das Kind beginnt, mit dem Essen zu spielen.
  5. Das Essen wird beendet, wenn das Kind wütend mit dem Essen umherwirft.
  6. Während der Mahlzeit herrscht eine neutrale Atmosphäre. Gätjen und Freitag raten dazu, nicht ausgerechnet am Essenstisch schwierige Themen zu diskutieren.
  7. Essen sollte außerdem nicht unter Zwang stattfinden.
  8. Beim Essen wird nicht gespielt. Das heißt: Spielzeug auf dem Tisch ist tabu. Zu leicht ist der Fokus des Kindes auf den Spielsachen und weg vom Essen.
  9. Ernährungsberaterin Gätjen rät zudem davon ab, Kleinkinder mit flugzeug- oder fahrzeugverziertem Besteck zu füttern und Nahrung spielerisch in den Mund fliegen zu lassen.
  10. Essen sollte nie als Belohnung oder Geschenk gegeben werden.
  11. Eltern sollten nur kleine Portionen anbieten und nicht den Teller gut gemeint so voll häufen, dass die Menge nie zu schaffen ist und immer ein Rest übrig bleibt.
  12. Feste Nahrung zuerst, Trinken später.
  13. Das Kind sollte zu selbstständigem Essen ermutigt werden
  14. Der Mund wird erst nach Beendigung der Mahlzeiten abgewischt. Abgeräumt wird erst, wenn das Essen beendet ist.
(wat)
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