Ex-Veganerin "Vegan geht nicht ohne Apotheke in Reichweite"

Unser Interview mit der Ex-Veganerin Barbara Frielinghaus hat in den vergangenen Wochen für viel Aufregung gesorgt. Nun nimmt die 53-jährige zu den Vorwürfen Stellung und erklärt, warum es für sie in Ordnung ist, Tiere zu essen.

Unser <u>Interview</u> mit der Ex-Veganerin Barbara Frielinghaus hat in den vergangenen Wochen für viel Aufregung gesorgt. Nun nimmt die 53-jährige zu den Vorwürfen Stellung und erklärt, warum es für sie in Ordnung ist, Tiere zu essen.

Was stand gestern bei Ihnen auf dem Speiseplan?

Barbara Frielinghaus Am Vormittag habe ich mir einen Salat gemacht und ein Lammherz gekocht. Dazu habe ich genügend Fett gegessen, sonst werde ich nicht satt. Das hat bis abends gereicht. Dann habe ich mir wieder einen Salat gemacht und zwei Eier, dazu etwas Speck und Kokosfett.

Sie hatten um ein zweites Interview gebeten. Was ist der Anlass?

Frielinghaus Die völlig unterschiedlichen Reaktionen auf das erste Interview, die von freundlich- zustimmend bis hin zu massiver Ablehnung reichten. Ich möchte noch einmal klar sagen: Ich habe niemanden aufgefordert, Fleisch zu essen. Ich habe keine Ernährungsrichtung propagiert. Ich habe einfach nur von meinen persönlichen Erfahrungen berichtet. Das schien einigen Leuten zu weit zu gehen.

Wie erklären Sie sich diese massiven Reaktionen?

Frielinghaus Mein Erfahrungsbericht hat mehrere Dogmen in Frage gestellt. Zum Beispiel habe ich gesagt, dass ich als Mensch das Recht habe, ein Tier zu töten und zu essen. Dann habe ich das Dogma in Frage gestellt, dass vegane Ernährung für alle und jeden die optimale Ernährung ist, und damit verbunden die Behauptung, dass, wer es nicht schafft, persönlich versagt. Das heißt, wenn jemand mit dieser Ernährung nicht zurechtkommt, liegt der Fehler einzig und allein bei der Person und niemals an dem Ernährungskonzept selbst, denn das ist ja "optimal". Ich aber finde, dass eine vegane Ernährung eben nicht optimal, sondern grundsätzlich eine Mangelernährung ist, weil ein lebenswichtiger Nährstoff, Vitamin B12, nicht über die Ernährung aufgenommen werden kann. Vegan geht nicht ohne Apotheke in Reichweite. Deshalb finde ich es unverfroren, eine solche Mangelernährung grundsätzlich als "gesund" und "natürlich" zu verkaufen.

Aber Vitamin B12 kann man ja supplementieren.

Frielinghaus Das wusste ich auch selbst, aber meiner Meinung nach reicht der Hinweis, dass man das machen muss, nicht aus.

Warum haben Sie nicht früher etwas gegen Ihren Vitamin-B12-Mangel unternommen? Sie wussten ja, dass der auftreten würde.

Frielinghaus Meine Information war, dass der Körper sehr wenig B12 braucht und es in der Leber gespeichert ist. Bis der Mangel auftritt, kann es einige Zeit dauern. Das heißt, es ist lange Zeit gar nichts passiert. Im Gegenteil, es ging mir gut und ich habe keinen Mangel gespürt. Ich wollte den Mangel erst dann beheben, wenn er da ist. Das ist eigentlich eine vernünftige Einstellung, ist in diesem Fall aber ein Problem. Denn wenn die ersten Symptome auftreten, werden sie als solche häufig nicht erkannt. Es geschieht sehr schleichend und wirkt sich unter anderem auf die Psyche aus. Man bringt das erst mal nicht mit der Ernährung zusammen. Es dauert also einige Zeit, bis der Groschen gefallen ist. Die allermeisten Menschen werden die Symptome eines B12- Mangels nicht korrekt zuordnen können. Jetzt kann ich das, früher nicht. Hinzu kommt, dass man immer wieder auf Aussagen stößt, dass man den Bedarf über Algen und fermentierte Lebensmittel wie Miso oder auch Sauerkraut decken kann. Das verleitet dazu, es auszuprobieren und Zeit verstreichen zu lassen. Mir haben die Algen jedenfalls nichts gebracht, denn das Vitamin B12, das sie möglicherweise enthalten, ist für den Körper nicht verwertbar.

Warum haben Sie Ihr Blut nicht regelmäßig auf einen Vitamin-B12-Mangel untersuchen lassen?

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Frielinghaus Irgendwann habe ich das ja gemacht und mir wurde ein Mangel bescheinigt. Ich weiß mittlerweile, dass es verschiedene Methoden gibt, den Mangel zu messen, aber nicht alle sind aussagekräftig. Wenn ich Pech habe, wird der Mangel nicht entdeckt. Deshalb muss man verschiedene Tests kombinieren. Ich bezweifle, dass sich jeder Arzt mit diesem Thema wirklich auskennt. Meiner Meinung nach ist das Thema B12 sehr komplex und wird viel zu lapidar am Rand erwähnt.

Einige Menschen haben Ihnen vorgeworfen, dass Sie sich einseitig ernährt haben.

Frielinghaus Das stimmt so nicht. Meine damalige Ernährung ist durchaus vergleichbar mit heutigen Empfehlungen. Ich habe darauf geachtet, möglichst vielseitig zu essen, mal abgesehen davon, dass ich Nachtschattengewächse ausgelassen habe. Aber ich habe viel Gemüse gegessen, alle Getreidesorten inklusive Quinoa, Amaranth, Hirse, Buchweizen, alle Hülsenfrüchte, Tofu und Seitan, Meeresalgen. Ich habe auch Salat gegessen und Obst, wenn auch keine allzu großen Mengen. Aber daran wird es nicht gelegen haben.

Ein Ernährungsmediziner, mit dem ich kürzlich sprach, sagte, dass größere Mengen an vollwertigem Getreide in Ordnung seien, ohne auf die Verdauung zu schlagen, aber zum Beispiel kein weißes Mehl, das ja unter anderem für Nudeln oder Weißbrot verwendet wird.

Frielinghaus Ich habe nie weißes Mehl gegessen. Das Getreide war immer vollwertig und gut gekocht, also kein Frischkornbrei, der ja relativ schwer verdaulich ist. Es ging ja auch eine lange Zeit gut. Aber dann traten doch Probleme auf, in Form von Verdauungsproblemen und Müdigkeit nach dem Essen. Das lag neben dem Getreide auch an den unfermentierten Sojaprodukten. Dazu kam noch, dass ich trotz B12- Supplementierung immer noch relativ wenig Energie hatte und mein Blutzuckerspiegel eher instabil war. Das schlimmste waren für mich aber die Verdauungsprobleme. Ich kann heute sagen, dass mein Körper mich einfach gezwungen hat, einen Neustart zu machen. Auch wenn das unbequemer und schwieriger war, als einfach so weiter zu machen wie gehabt.

Sie haben sich ja makrobiotisch ernährt, allerdings den Fisch weggelassen. Viele Leute haben aber darauf hingewiesen, dass Makrobiotik mittlerweile ziemlich kritisch gesehen wird.

Frielinghaus Ich habe das Gefühl, die Leute wissen überhaupt nichts darüber. Für die ist das einfach einseitige Mangelernährung, bei der man nur Getreide aufnimmt. Hier in der Habichtswaldklinik in Kassel wird mit makrobiotisch orientierter Ernährung in der Onkologie gearbeitet. Ganz so doof kann das also nicht sein.

Aber richtig angesagt ist Makrobiotik nicht mehr.

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Frielinghaus Mittlerweile hat sie an Bedeutung verloren, aber es war der Anfang der Naturkost- Szene. Damals, also vor 20 Jahren, als ich mit Makrobiotik angefangen habe, wurde Getreide, gut gekochtes, als ein sehr wertvolles Lebensmittel in der Vollwert-Szene hochgelobt, und davon war auch ich überzeugt. Das war damals der aktuelle Stand. Ich habe einige Bücher über Makrobiotik gelesen und Kochkurse gegeben. Aber nach der Makrobiotik kam die Ayurveda-Welle und jetzt sind wir bei vegan. Eine Mode folgt der Nächsten. Aber für mich stimmte das mit dem Getreide einfach nicht. Ich verstehe nicht, wie manche Leute mir daraus eine Essstörung interpretieren. Das ist eine Verharmlosung wirklicher Essstörungen.

Warum haben Sie damals nicht einfach zuerst das Getreide weggelassen, anstatt zu Fleisch zu greifen?

Frielinghaus Die Motivation, Fleisch zu essen, es zumindest mal zu probieren, entstand durch meine Beschäftigung mit den Veröffentlichungen der Weston-Price-Foundation. Kurz gesagt, fand ich dort für mich überzeugende Argumente dafür, dass tierische Nahrungsmittel, auch Fleisch, durchaus wertvolle und wichtige Nahrungsmittel für den Menschen darstellen. Dass das Getreide ein Problem war, wurde mir erst später bewusst. Ein Gespräch mit einem Bekannten, dem es ähnlich ergangen ist und der vollständig ohne Getreide lebt und der mir glaubhaft versicherte, dass es ihm jetzt viel besser geht, brachte mich auf die Idee, es einfach auch mal zu versuchen. Ich habe mich natürlich informiert, Bücher zum Thema gelesen und bin dann ins kalte Wasser gesprungen.

Aber nachdem klar war, dass das Weglassen von Getreide die Lösung Ihrer Probleme war, hätten Sie ja auch wieder auf Fleisch verzichten können.

Frielinghaus Nur mit Gemüse und Obst werde ich einfach nicht satt. Ich müsste mich dann total einschränken, könnte keinen Sport mehr machen. Was sollte ich dann essen? Hanfsamen? Lupinenmehl? Kenne ich, habe ich ausprobiert, aber Fleisch bringt mir viel, viel mehr.

Haben Sie sich je auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit untersuchen lassen?

Frielinghaus Nein, ich sehe es als meine ureigenste Aufgabe an, das selber zu lösen. Über Versuch und Irrtum. Es war ja mit dem Getreide auch nicht immer so schlimm. Dafür gehe ich nicht zum Arzt. Wenn ich eine Gluten-Unverträglichkeit hätte, hätte ich es ja gar nicht vertragen. Für mich war das keine Krankheit. Außerdem habe ich es anders hinbekommen. Mit dieser Ernährung geht es mir schließlich gut.

Wie rechtfertigen Sie ethisch, dass Sie Fleisch und andere tierische Produkte essen?

Frielinghaus Der Mensch ist trotz allem immer noch Teil der Natur. Der Mensch ist auch Raubtier, war über lange Zeiträume Jäger und Sammler. Raubtiere haben eine wichtige Funktion. Sie erhalten auch die Art, die sie jagen, weil sie die Anzahl der Beutetiere auf einem bestimmten Niveau halten. Durch diese Regulierung wird die übermäßige Vermehrung der pflanzenfressenden Arten verhindert. Das Töten ist also ein Vorgang, der im Großen und Ganzen lebenserhaltend wirkt. So ist die Natur angelegt. Ich finde es falsch, da eine ethische Komponente reinzubringen, weil dann die ganze Natur unethisch ist. Für mich kommt die Ethik in einem anderen Bereich ins Spiel.

Und zwar?

Frielinghaus Wir leben in einer Gesellschaft, in der ökonomische Interessen höher bewertet werden als artgerechte Tierhaltung, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Menschenrechte. Das führt dazu, dass tierquälerische Haltungsformen in Kauf genommen und sogar forciert werden, wenn damit Kosten gesenkt werden können. Das lehne ich ab. Das ist aber veränderbar, weil es nichts mit der Biologie zu tun hat, sondern ein menschliches Konstrukt ist. Ich bin für artgerechte Haltungsformen, die natürlich weiter erforscht und verbessert werden müssen. Alle Tiere sollten ein möglichst gutes Leben führen dürfen und möglichst schmerzfrei sterben.

Würden Sie es ein zweites Mal mit veganer Ernährung probieren?

Frielinghaus Nein, im Moment kann ich es mir nicht vorstellen, aber es kann sich ändern. Ich plädiere dafür, dass man nicht dogmatisch einer Richtung nachhängt. Wenn sich etwas verändern soll, lasse ich mich von meinem Körper leiten und mein Geist muss dem folgen. Für einige ist Veganismus ein dogmatisches Denkgebäude. Davon sollte man sich befreien. Es passt eben nicht für jeden.

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