Ernährung Ist "Clean-Eating" das bessere Essen?

Düsseldorf · Clean Eating – "sauber essen" – das klingt nach immer neuen Lebensmittelskandalen erlösend. Endlich wieder ohne Sorge zugreifen zu können. Hier lesen Sie, was mit Clean Eating gemeint ist, wie es funktioniert und ob es wirklich eine Lösung ist.

 Beim Clean Eating kocht man möglichst regional, frisch und damit frei von Aromen und Konservierungsstoffen. (Symbolbild)

Beim Clean Eating kocht man möglichst regional, frisch und damit frei von Aromen und Konservierungsstoffen. (Symbolbild)

Foto: Shutterstock/Efired

Clean Eating — "sauber essen" — das klingt nach immer neuen Lebensmittelskandalen erlösend. Endlich wieder ohne Sorge zugreifen zu können. Hier lesen Sie, was mit Clean Eating gemeint ist, wie es funktioniert und ob es wirklich eine Lösung ist.

Mit Insektizid belastete Eier oder Plastikteile im Fertignudelgericht: Kaum eine Woche vergeht ohne einen Nahrungsmittelrückruf. Viele resigniert das. Auf jeden Fall aber hat es dazu geführt, dass immer mehr Menschen darüber nachdenken, was sie essen und wo sie es einkaufen. 41 Prozent der Deutschen legen sich so oft wie möglich Bio-Produkte in den Einkaufskorb, sagt der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. 9,48 Milliarden Umsatz brachte das im Jahr 2016, fast neun Prozent mehr als im Vorjahr. Daneben liegt der Einkauf direkt beim Erzeuger hoch im Kurs.

Das ist Clean Eating

Denn frisch soll es sein, möglichst naturbelassen und frei von chemischen Zusätzen, Aromen, Farbstoffen und Konservierungsstoffen. Ganz ohne Geschmacksverstärker. "Sauber" eben. Wie beim "Clean Eating", einer Ernährungsform, die seit einiger Zeit einen Hype erlebt. Nicht nur Hollywood-Ikonen wie Angelina Jolie, Nicole Kidman oder Halle Berry sollen auf die Grundidee schwören. In den sozialen Netzwerken und Blogs tauschen sich viele darüber aus.

Kern des Konzepts ist ein Leben ohne Fertiggerichte und Fast Food. Im Mittelpunkt stehen unverarbeitete Lebensmittel, frisches Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Nüsse — alles möglichst wenig verpackt. Ein bisschen Bio, ein wenig Veggie, ein Tick so wie bei Oma, nur bewusster und weniger fettig. Eine der Faustregeln, der die "Clean Eater" folgen: Stehen mehr als fünf Inhaltsstoffe auf einer Inhaltsliste, ist das Produkt wahrscheinlich nicht mehr clean.

Eier, Fleisch und Fisch fast wie Genussmittel

Katharina Kraatz lebt und kocht seit fünf Jahren nach diesem Prinzip. Durch eine befreundete Bloggerin, die einmal im Jahr eine Ernährungs-Challenge machte und so für eine Zeit mal vegan und mal ohne Zucker lebte, kam sie auf die Idee, es selbst auszuprobieren. Sie fing an, sich zuckerfrei zu ernähren. Dadurch musste sie auf viele verarbeitete Lebensmittel verzichten. "Weil es mir so gut tat, habe ich angefangen, mehr über Ernährung zu lesen", sagt sie. So sei sie dann automatisch zum "Clean Eating" gekommen. Seitdem lässt sie Transfette und Weißmehl weg und verwendet stattdessen hochwertige Fette oder native Öle und Vollkornmehl. "Eier, Fleisch und Fisch sind bei mir eher Genussmittel", wie sie sagt.

Auch Kraatz hat in einem Blog ihre Erfahrungen dazu aufgeschrieben. Irgendwann entstand daraus ein Kochbuch. Inzwischen gibt es auch ein zweites mit dem Titel "Sweat Clean Eating". Für eingefleischte Anhänger des Konzepts sind Nachspeisen und Backwerk ein No-Go. Doch da das Ernährungskonzept lediglich auf Richtlinien fußt, die neben den frischen Lebensmitteln, ein Frühstück, insgesamt fünf bis sechs kleine Mahlzeiten über den Tag und reichliches Wassertrinken empfehlen, hält es ohnehin jeder wie er mag. Die Regeln sind frei auslegbar. Das spricht viele junge Leute an, vor allem Frauen, sagt Ernährungswissenschaftler Stefan Weigt vom Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB).

Frische Vanille statt Aromen und Farbstoffe

"Manche verzichten komplett auf Getreide, andere auf tierische Produkte", sagt er. Kraatz fehlte nach der Ernährungsumstellung Süßes im Leben. "Ich komme einfach aus einer Zuckerschnutenfamilie", sagt die Lüneburgerin. Wenn sie nascht, will sie das aber ebenso gesund und bewusst tun und folgt mit Rezepten wie Haferflocken-Cookies oder Vanillepudding der Idee vom frisch Zubereiten. Wenn sie einen Pudding kocht, dann macht sie das so ähnlich, wie es vermutlich ihre Urgroßmutter schon getan hat: mit Zutaten wie Milch, Maisstärke, Vanilleschote und nicht raffiniertem Zucker. Wer hingegen eine Fertigmischung Vanillepudding zubereitet, löffelt vor allem Stärke, Salz, Aroma und Farbstoff, sagt sie.

Seit der Ernährungsumstellung fühle sie sich besser und leide beispielsweise nicht mehr unter dem "McDonalds-Effekt", wie sie sagt: Erst pappsatt zu sein, aber dann nach einer halben Stunde wieder vom Hunger geplagt. "Ich mag zum Beispiel gerne Weißbrot, bin danach aber immer so fahrig und schlapp."

Wissenschaftlich nicht immer nachvollziehbar

Nach Einschätzung von Experten sei "Clean Eating" grundsätzlich nicht ungesund. Die Idee, möglichst saisonal und frisch zu essen, Vollkornprodukte zu sich zu nehmen, hin und wieder mageres Fleisch und wenig Fett gehört ohnehin zu den Grundsätzen einer gesunden Ernährung, wie auch die Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sie empfiehlt. Positive Auswirkungen wie zum Beispiel eine Gewichtsabnahme ließen sich durch die vollwertige Ernährung, den Verzehr von viel Gemüse und Obst erklären. Doch weist der Ernährungswissenschaftler des UGB darauf hin, dass nur einige der gesundheitlichen Versprechungen wissenschaftlich nachvollziehbar seien.

In Zusammenhang mit dem "Clean Eating" wird jedoch auch über eine Verbesserung bei unreiner Haut, Blähbauch und Kopfschmerzen berichtet. Helfen soll die Ernährungsform darüber hinaus gegen Konzentrationsschwäche sowie Antriebslosigkeit. Auch Antje Gahl von der DGE schätzt solche Versprechen als problematisch ein. Es gebe beispielsweise keine Belege dafür, dass der Verzicht auf Aromastoffe gesünder mache. Weiteres Problem: bei der Vielzahl an Veränderungen lasse sich am Ende die Ursache für eine verbesserte Gesundheit nicht mehr ausmachen.

Das sagen Kritiker zum "Clean Eating"

"Für die meisten steckt hinter 'Clean Eating' nicht nur eine Ernährungsform, sondern ein ganzer Lifestyle", sagt Weigt. Das kann immer dann problematisch werden, wo sich Menschen dogmatisch auf bestimmte Ernährungsregeln konzentrieren und sich dadurch in der Vielfalt oder der Kalorienzahl einschränken. Das könne laut Gahl beispielsweise zu Nährstoffmangel führen.

Eindringlich schilderte jüngst der britische Arzt Max Pemberton in einem Gastbeitrag bei der Daily Mail solche Fälle, in dem er auf zahlreiche vollkommen abgemagerte junge Frauen verweist, die er im Auftrag des Gesundheitsdienstes NHS behandelt habe. Manche seien aus Angst vor dem hohen Zuckergehalt einiger Lebensmittel heruntergehungert, Ihre Haut sei wegen des Mangels an Fett trocken, könnten sich nicht mehr konzentrieren, seien müde. Darum warnt Pemberton davor, nur frische und unverarbeitete Lebensmittel als "clean" anzusehen und alles andere als schlecht. Die Folgen seien Mangelernährung, Osteoporose, Unfruchtbarkeit und im schlimmsten Fall der Tod.

Regionaler aber vor Schadstoffen trotzdem nicht geschützt

Katharina Kaatz ist von einer solchen Ernährungsweise weit entfernt. "Niemand reißt einem den Kopf ab, wenn man verarbeitete Lebensmittel kauft." Nach der Geburt ihres ersten Kindes weiß sie, dass man manchmal bei allem Willen zur gesunden Ernährung auch die Kirche im Dorf lassen muss. "Ich habe nicht immer Zeit alles selber zuzubereiten", sagt sie. Und bei der Entscheidung für oder gegen Bioprodukte spiele auch das finanzielle Budget eine Rolle. Darum schätzt sie die Freiheit, die das Konzept "Clean Eating" ihr lässt. Auch wenn es ein Frühstück und daneben weitere vier bis fünf kleine Mahlzeiten vorsehe, entscheide jeder selbst, wie er es handhaben wolle.

Durch die regional orientierte Ernährung sei eher kontrollierbar, was schließlich auf dem Teller landet. Doch ist sich auch Katharina Kraatz sicher, dass sie selbst so vor Lebensmittelskandalen, Nahrungsverunreinigungen oder chemischen Belastungen nicht geschützt ist: "Ich kann nur versuchen, so gesund wie irgend möglich zu leben."

(wat)
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