Medizin Adipositas — Hautstraffung auf Kosten der Allgemeinheit?

Düsseldorf/Köln · Für stark Übergewichtige ist es extrem schwer, Gewicht zu verlieren. Gelingt es ihnen, hängt die Haut oft wie eine zu groß gewordene Hülle schlaff am Körper. Straffende Operationen übernehmen die Kassen jedoch nicht ohne weiteres. Sollten sie?

 Hier noch wohl gefüllt; nehmen fettleibige Menschen ab, hängt die Haut wie eine zu große Hülle an ihnen. (Symbolfoto)

Hier noch wohl gefüllt; nehmen fettleibige Menschen ab, hängt die Haut wie eine zu große Hülle an ihnen. (Symbolfoto)

Foto: Shutterstock/staras

Christian Bernheine ist schon als Jugendlicher extrem übergewichtig. Mit 15 Jahren und einer Größe von 1,72 Metern wiegt er 100 Kilo. Als Erwachsener zu Spitzenzeiten 170 Kilo. Nach zahlreichen Abnehmversuchen kommt er von seinen 150 Kilo nicht herunter. Darum denkt er darüber nach, seinem Dicksein operativ entgegen zu treten. Vier Jahre hadert er mit der Idee. 2013 entscheidet sich Bernheine für eine Schlauchmagen-Operation.

"Zu der Zeit haben die Krankenkassen das nur selten bezahlt", sagt der heute 36-Jährige. Er will eine Veränderung in seinem Leben, hat keine Kraft, möglicherweise jahrelang um eine Kostenübernahme zu kämpfen und legt das Geld aus eigener Tasche hin: 7.500 Euro. Nach der Operation stabilisiert sich sein Gewicht bei 80 Kilo.

Leben im zu großen Hautanzug

Dennoch fühlt er sich in seinem Körper nicht wohl. Seine äußere Hülle ist viel zu groß geworden. Vom Unterbauch hängt ein wulstiger Lappen Haut. Auch an Oberarmen, Brust und Oberschenkeln zeigen sich Fettschürzen. Er trägt sie wie einen zu groß gewordenen Anzug.

So geht es vielen Übergewichtigen. In Selbsthilfegruppen, aber auch im Netz teilen die Betroffenen ihre innere Last. Wer adipös ist, kennt diese Blicke und Tuscheleien auf der Straße. Doch der Makel von extrem schlaffer Haut umhüllt zu sein, fühlt sich anders an. Auch wenn er sich zum Teil durch Kompressionskleidung oder weite Bekleidung verbergen lässt, kann er sehr belastend sein. "Freibad oder Frauen — das ist schwierig", sagt Bernheine.

Das wissen auch Experten. Thomas Hulisz ist einer von ihnen. Er ist ärztlicher Leiter des Adipositas-Zentrums in Bochum. Seit 1980 ist er dort tätig und hat mit dem Team aus Ärzten, Psychologen, Bewegungstherapeuten und Ernährungsexperten schon mehrere tausend Patienten behandelt. Selbst wenn das Abnehmen nicht wie nach einer Operation rapide, sondern über einen langen Zeitraum voranschreite, komme die Haut bei starken Gewichtsreduktionen nicht mehr mit, sagt Hulisz. Sein Beispiel ist ein Patient, der sein Gewicht über zwei Jahre um 100 Kilo heruntergearbeitet hat. Die Bauchfalte hing da 30 bis 40 Zentimeter "bis knapp auf die Knie".

Jeder zehnte wünscht nach Gewichtsreduktion die Straffung

Jeder zehnte Patient wünscht sich laut seiner Erfahrung darum eine Straffung an betroffenen Partien wie Bauch, Brust, Oberarmen und Oberschenkeln. Doch die gehört nicht zu den Regelleistungen der Krankenkassen. Der Grund: Versicherte haben Anspruch auf Krankenhausbehandlung, "wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern". So sieht es das Sozialgesetzbuch vor. Die Krankenkassen lehnen demnach — außer in Einzelfällen — die Kostenübernahme ab.

Das Problem jedoch: "Die Zahl bariatrischer Operationen nimmt zu", sagt eine Sprecherin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein, der wie auch die anderen MDK in Deutschland über die Kostenübernahme der Hautstraffung entscheidet. Man lese in einschlägigen Foren kaum mehr von Ablehnungen von bariatrischen, also Übergewicht betreffende Operationen wie Magenbypass oder Schlauchmagen-OPs, sagt Bernheine. Damit rollt jedoch eine neue Welle von Anträgen auf die Kassen zu, denn jede Adipositas-OP zieht potentiell später eine Hautstraffung nach sich.

Einer von hundert Adipösen bekommt Hautstraffung bezahlt

Lediglich bei einem von hundert Patienten werde jedoch der Antrag auf Kostenübernahme zur Fettschürzenentfernung bewilligt, schätzt Hulisz. Mehr als solche Schätzzahlen gibt es nicht. Auf Anfrage unserer Redaktion gibt der MDK Nordrhein an, über keine Zahlen bezüglich eingehender und befürworteter Anträge zu verfügen. Auch die Barmer sowie die Techniker Krankenkasse Nordrhein-Westfalen teilen mit, dass ihre interne Statistik keine Datenauswertung dazu zulasse.

Die Meinungen darüber, ob Hautstraffungen auf Kosten der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten geschehen sollten, gehen auseinander. Körperformende Eingriffe könnten die Zufriedenheit Betroffener erhöhen und motivierend wirken, langfristig einen gesunden Lebensstil zu pflegen und ihr Gewicht zu halten, finden die einen. Die anderen hingegen bemängeln die geringe Erfolgsquote. Viele Adipöse schafften es nicht dauerhaft, ihr Gewicht zu halten. "Nach zwei Jahren sind es 50 bis 60 Prozent, die noch das Gewicht haben, mit dem sie uns verlassen haben", sagt Hulisz. In manchen Adipositaszentren lägen die Erfolgsquote nur bei zehn Prozent.

Wann die Kosten von den Kassen übernommen werden

Wer von ihnen seine übergroße Hülle operativ entfernen lassen möchte, benötigt ein ärztliches Gutachten mit medizinischer Indikation. Als solche gelten beispielsweise schwere dermatologische Probleme, wie etwa die therapieresistente Entzündung der überflüssigen Hautlappen. Auch bei immer wiederkehrenden Pilzerkrankungen in den betroffenen Bereichen oder orthopädische Einschränkungen wie Haltungsschäden kommen die Medizinischen Dienste der Krankenkassen in Einzelfällen zu der Empfehlung, eine Hautstraffung zu Teilen oder sogar in vollem Umfang zu übernehmen.

Die seelische Belastung durch die Hautschürzen wird hingegen sehr unterschiedlich bewertet. Wenn Menschen unter Depressionen leiden, ist es schwer, diese auf die Beeinträchtigung durch die Fettschürzen zurückzuführen. Die Therapie setzt bei der erkennbaren Ursache an: Die Depression wird psychotherapeutisch behandelt, nicht die Fettschürze.

"Manchmal fehlt eine medizinische Indikation, obwohl der Wunsch des Patienten da ist", sagt der Bochumer Adipositas-Experte. Die meisten Betroffenen zahlen darum die Hautstraffung als plastisch-chirurgische Leistung aus der eigenen Tasche.

Drei Kilo überflüssige Haut kamen weg

Bei Christian Bernheine war rund ein Jahr nach der Schlauchmagen-Operation der Leidensdruck so groß, dass er den Antrag auf Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse stellte. In seinem Fall stimmte der Medizinische Dienst einer Bauchstraffung zu. Nicht aber der von Brust, Oberschenkeln und Rücken. Also lässt er nur die Haut am Bauch entfernen. "Der Lappen war drei Kilo schwer", sagt er. Die Operation dauerte mehrere Stunden. Der Heilungsprozess verlief langwierig und komplikationsreich. Die Folgen der OP zeigten sich als sehr schmerzhaft. Noch heute, drei Jahre später, spannt die Haut manchmal. Durch die normalen operationsbedingten Nervenschädigungen leidet der 36-jährige Kölner unter Missempfindungen am Bauch. Die Narbe der "Schönheitsoperation" reicht in T-Form von der Hüfte über den Bauch bis zum Brustbein. Zur Vorstellung einer von der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten bezahlten Schönheitsoperation passt das nicht, findet er.

Mediziner Hulisz warnt davor, die Vorstellung zu entwickeln, nach einer solchen Hautstraffung Modellcharakter zu besitzen. Er rät, mindestens zwei Jahre vor einem solchen Eingriff zu warten, ob man das Gewicht überhaupt halten könne. "Adipositas ist vergleichbar mit anderen Suchtproblematiken, auch wenn es als solche nicht anerkannt ist." Durch die Gewichtsreduktion erledige sich das Problem eines Adipösen nicht. Es bleibt ein lebenslanger Kampf.

Das sind die Risiken nach der Hautstraffung

Bernheine kennt ihn. Auch sein Kampf geht weiter. Große Mengen kann er durch den Schlauchmagen nicht mehr zu sich nehmen. Doch damit ist nicht automatisch das Thema "Essen als Ersatzbefriedigung" erledigt. Heute hat sich sein Gewicht bei 100 Kilo eingependelt. "Ich habe trotzdem Angst, dass es wieder 150 werden könnten", sagt er.

Diese Sorge teilt er mit den Adipositas-Experten. Wird zu früh operiert und der Patient legt wieder Gewicht zu, "passt er nachher nicht mehr in seine Haut", sagt Hulisz. Mit irreparablen Auswirkungen: Das Unterhautgewebe beginnt zu reißen. Das wird in Form von Schwangerschaftsstreifen sichtbar, die den Körper übersäen. Die Haut werde zudem immer dünner. Ganz zu schweigen vom Operationsrisiko selbst: Eine Ganzkörperstraffung würde acht bis zwölf Stunden dauern, würde man sie am Stück durchführen. "Das Risiko ist Wahnsinn", sagt Thomas Hulisz. Neben der Gefahr von Wundinfektionen ist auch die Narbenbildung risikobehaftet. "Mancher neigt zur hyperthrophen Narbenbildung", sagt der Bochumer Arzt. In solchen Fällen heilt die Narbe nicht flach ab. Durch eine Überproduktion an Bindegewebe beginnt sie zu wuchern. Das Ergebnis: Eine entstellende Narbe mit auffallend bläulicher Oberfläche.

Als Bernheine zur Bauchdeckenstraffung im Krankenhaus liegt, teilt er sich das Zimmer mit einem Patienten, bei dem sich die Narben nicht verschlossen haben. Risiken, die Patienten in der Hoffnung auf ein neues Körpergefühl beiseite schieben. Aus all diesen Gründen sei es gut, dass der Medizinische Dienst kritisch prüfe, sagt Hulisz und rät dazu, sich vor einem solchen Eingriff eine Zweit- oder sogar Drittmeinung einzuholen und sich die ungeschönten Ergebnisse zeigen zu lassen. Bei kleineren Fettschürzen können ihm zufolge auch Massagen, das Fetten der Haut und Wechselduschen zu kleinen Effekten führen.

Auch Christian Bernheine sieht die Hautstraffung heute mit anderen Augen: "Die Schmerzen haben mich lange begleitet." Darum habe er die Operation von Brust, Rücken, Oberschenkeln und -armen nicht mehr forciert.

(wat)
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