Sprechstunde Der kraftlose Daumen

Ein Bruch am Handgelenk kann Folgen für die Muskelkraft einzelner Finger haben. Der Handchirurg nutzt einen Umwegmechanismus.

Unser Leser Wolfgang S. (44) aus Rees fragt: "Seit acht Tagen kann ich den Daumen der linken Hand nicht mehr vollständig strecken. Der Daumen hat auch an Kraft verloren. Ich bin beim Neurologen angemeldet. Mein Hausarzt meinte aber, dass das auch mit einem Bruch am Handgelenk zusammenhängen kann."

Ulrich Waltking Wahrscheinlich hat Ihr Hausarzt recht. Die lange Daumenstrecksehne verläuft an der Daumenseite des Handrückens. Es ist die, mit deren Hilfe sich beim Hochstrecken des Daumens die "Tabatière" am Handrücken bildet, die Vertiefung für die Prise Schnupftabak.

Der Riss dieser Daumenstrecksehne stellt eine typische Komplikation nach einem Bruch der Speichenbasis dar. Ein solcher Riss kann sich unabhängig davon ereignen, ob der Bruch konservativ mit Gips behandelt oder ob eine operative Einrichtung des Bruches mit Drähten oder einer Platte vorgenommen wurde.

Zur Ursache eines solchen Risses werden zwei Entstehungsmechanismen diskutiert, wahrscheinlich ist es eine Mischung von beiden. Die Natur hat die lange Daumenstrecksehne zur Verbesserung ihres Angriffswinkels um einen kleinen Knochenhöcker auf der Streckseite der Speichenbasis umgelenkt. Hier kann es nach einer Bruchschädigung zu einer Veränderung der Mechanik und des Sehnenlagers kommen. Zum zweiten wird die Sehne über dem Knochen durch ein enges Sehnenfach geführt, ähnlich einer mit einer Schleimhaut ausgekleideten Röhre. Als Folge des Bruches führen winzige Veränderungen und Vernarbungen zu einer Verminderung der Durchblutung des Sehnengleitgewebes und damit zur Störung des Stoffwechsels der Sehne selbst. Beides ist geeignet, zu einem Prozess der langsamen Auffaserung und damit zu einem Aufbrauch des Sehnengewebes zu führen. In der Anfangszeit funktioniert die Streckung des Daumenendgliedes noch ganz normal. Bei einem zunehmenden Aufbrauch des Sehnengewebes kommt es aber bereits aus einem nichtigem Anlass wie einer Bagatellverletzung zum endgültigen Durchscheuern der letzten noch stehenden Fasern - und plötzlich kann der Daumen nicht mehr gestreckt werden.

Sie werden bereits gemerkt haben, wie wichtig die jetzt ausgefallene Bewegung für den Gebrauch der Hand ist. Es muss also etwas geschehen. Hier hilft uns die Natur weiter. Sie hat uns am Zeigefinger mit zwei Strecksehnen ausgestattet, davon ist eine entbehrlich. Diese Sehne des "Zeigefingereigenstreckers" kann der Handchirurg in einem operativen Eingriff verlagern, auf den körperfernen Stumpf der gerissenen Sehne verpflanzen und dort vernähen. Dieses bewährte Verfahren führt zu guten Ergebnissen.

(RP)
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