Streit um Cannabis Suchtmittel oder Segen?

Düsseldorf · Immer mehr deutsche Städte fordern, den Verkauf von Cannabis zu legalisieren. Eine neue Studie aus den USA kommt aber zu dem Schluss, dass die Gefahren von Cannabis noch nicht ausreichend erforscht sind.

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Der Besitz von Cannabis ist illegal. Dennoch erfreut sich die Droge derzeit einer Welle des Verständnisses, wenn nicht gar der Sympathie. Auch in Deutschland weicht der Widerstand gegen das Verbot langsam auf. Berlin, Hamburg, Bremen und Düsseldorf wollen mit kreativen Ideen den Verkauf im Rahmen einer Testphase ermöglichen. Cannabis-Fachgeschäfte oder Apotheken sollen als deutsche Variante des Coffeeshops den Handel aus der kriminellen Grauzone holen. Vier US-Bundesstaaten sind diesen Schritt schon gegangen. In Washington, Colorado, Alaska und Oregon können Kiffer ganz offiziell Cannabis zum "Zweck der Erholung" kaufen.

Mehrere US-amerikanische Wissenschaftler haben jetzt eine Bilanz vorgelegt. Das Ergebnis liefert Sprengstoff für die deutsche Debatte. Denn die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Gefahren von Cannabis noch nicht genug erforscht sind. Das klingt nach einer Bankrott-Erklärung, schließlich liegen die ersten Studien zu den Nebenwirkungen von Hasch und Marihuana schon mehr als 50 Jahre zurück. Die Experten erstellen keinen Freibrief für eine Freigabe. Sie fordern mehr Forschung. Angesichts des Schwenks, den die Politik im Umgang mit der Droge vollziehe, habe die Cannabis-Forschung zu wenig Priorität, erklärt Christian Hopfer von der School of Medicine der University of Colorado im Wissenschaftsmagazin "Nature".

Mit der Marihuana-Bustour durch Denver
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Die chemische Analyse durch Hopfer und seine Kollegen liefert ein paar Fakten, die die Bewertung von Cannabis erschweren. Chemiker sehen in der Droge ein Gemisch von mehr als 80 Substanzen, je nach Sorte unterschiedlich. Die Konsumenten genießen vor allem die Wirkung des Tetrahydrocannabinol (THC). Der Wirkstoff verschiebt das Erregungsgleichgewicht im Körper, verändert das Gefühl für Zeit und Raum und die Wahrnehmung von Sinnesreizen und Emotionen. Bis zum Ende der 90er Jahre enthielt Cannabis etwa vier Prozent THC. Nach den jüngsten Messungen liegt der Anteil mittlerweile bei zwölf Prozent und höher. Allein in den vergangenen sechs Jahren habe sich der THC-Gehalt verdoppelt, berichten die US-Forscher. Sie sehen darin eine Erklärung, warum in den USA die Zahl der Patienten in der Notaufnahme der Krankenhäuser nach dem Genuss von Cannabis seit 2004 um 60 Prozent gestiegen ist.

Cannabis-Raucher müssen heute also damit rechnen, das Dreifache an THC einzuatmen als früher. Wenn es einen Zusammenhang zwischen Risiko und der Konzentration der berauschenden Substanz gibt, dann können ältere Untersuchungen zur Gesundheitsgefahr deshalb nur unter Vorbehalt berücksichtigt werden. Zudem verwenden frühere Studien häufig die Zahl der Joints als Maß für den Cannabis-Konsum - wissenschaftlich exakt ist das nicht. Auch heute können die meisten Konsumenten kaum abschätzen, welche Ware sie bekommen, heißt es im Bericht. Der THC-Gehalt schwankt erheblich. Selbst bei offiziellen Verkaufsstellen in den USA gab nur jedes fünfte Etikett die Zusammensetzung der Droge korrekt wieder.

Die Forscher lassen keinen Zweifel, dass Cannabis süchtig machen kann. Etwa neun Prozent der Nutzer werden abhängig. Sie zeigen eine Gewöhnung an das Rauschmittel und Entzugserscheinungen wie Schlaflosigkeit, massive Unruhe, schlechte Laune, Kopfschmerzen und Schweißausbrüche. Zwei Faktoren erhöhen die Tendenz zur Abhängigkeit deutlich: ein niedriges Einstiegsalter und der regelmäßige Konsum über Jahre hinweg.

Trotz der unsicheren Datenlage sind einige Langzeitfolgen gut dokumentiert. Ein erhöhtes Krebsrisiko, das lange Zeit vermutet wurde, gehört allerdings nicht dazu. Die deutlichen Warnungen aus der US-Studie beziehen sich auf die Entwicklung des Gehirns und die Entstehung von Psychosen, Depressionen und Schizophrenie. Demnach ist Cannabis-Konsum vor allem für Jugendliche im Alter bis 21 Jahren gefährlich. In dieser Phase des Heranwachsens bilden sich viele Strukturen im Gehirn neu. Studien zeigen, dass die neuronalen Netzwerke bei Erwachsenen schlechter ausgeprägt sind, wenn diese als Jugendliche regelmäßig gekifft haben. Sogar die Zelldichte im Gehirn wird negativ beeinflusst. Noch ist nicht sicher, welche Effekte diese Schäden im täglichen Leben haben - vermutet wird, dass sie das Lern- und Erinnerungsvermögen dauerhaft verschlechtern.

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Zudem scheint es eine Verknüpfung zwischen Cannabis sowie Psychosen und Schizophrenie zu geben. Darauf deuten einige Langzeitstudien mit größeren Bevölkerungsgruppen hin. Von 50 000 schwedischen Männern entwickelten 1,6 Prozent der Cannabis-Konsumenten Schizophrenie. In der drogenfreien Gruppe waren es nur 0,6 Prozent. Ähnliche Ergebnisse liefern auch neuseeländische Studien: 1300 Menschen des Geburtsjahrgangs 1977 wurden dort regelmäßig nach Krankheiten und Lebensgewohnheiten befragt. In der Gruppe der Kiffer traten psychische Erkrankungen doppelt so häufig auf wie in der Kontrollgruppe. Studien dieser Art werden aber nicht von allen Wissenschaftler akzeptiert. Einige Forscher erklären diesen Zusammenhang anders: Sie glauben, dass Menschen, die zu psychischen Erkrankungen neigen, auch häufiger kiffen.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, sagt hingegen: "Alle medizinischen Experten sind sich einig: Der Konsum von Cannabis birgt gerade für Jugendliche und junge Erwachsene hohe gesundheitliche Risiken. Im Sinne eines nachhaltigen Kinder-und Jugendschutzes dürfen wir uns nicht auf ein zweifelhaftes Experiment zulasten der Gesundheit einlassen." Und weiter: "Daher bin ich gegen eine generelle Freigabe, aber für einen vom Arzt verordneten Einsatz von Cannabis als Medizin."

(RP)
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