Blutspenden ist Jogging fürs Knochenmark

Wer Blut spendet, hilft anderen, aber auch sich selbst: Er aktiviert die eigene Blutbildung. Weil die Spendenfreudigkeit gesunken ist, kommt es zu kritischen Engpässen.

Sie kommen zu dritt, seit Jahren schon, und lassen sich gerne anzapfen. Früher gingen die drei Herren aus Rees immer nach Emmerich, aber seit dort keine Blutspende mehr möglich ist, fahren sie regelmäßig nach Düsseldorf. Hermann Binger (58) betrachtet es als seine soziale Pflicht, in regelmäßigen Abständen die Nadel in seinem Arm und das Blut herausfließen zu sehen. "Mein Leben könnte irgendwann einmal davon abhängen, dass ich Blutkonserven bekomme - vielleicht zwei, vielleicht viele. Wenn es dann knapp wird, stehe ich da." In diese Lage solle keiner kommen, deshalb geht er spenden. Die Freunde nicken. Blutspenden ist für sie Ehrensache.

Familiäre Stimmung Ein Besuch in der Blutspendezentrale der Uniklinik Düsseldorf. Es herrscht eine fast familiäre Stimmung, die Mitarbeiter und viele Spender kennen einander schon seit Jahren, hier weiß jeder, wen er vor sich hat. Neulinge werden freundlich begrüßt, dann aber gründlich ausgefragt und auf Herz, Nieren und Blut geprüft, ob sie als Spender infrage kommen. Mancher erfährt hier erstmals, dass er grenzwertige Leberwerte hat, dass seine Blutfette bedenklich erhöht sind oder dass er unter einem Bluthochdruck leidet. Die meisten bekommen die Bestätigung, dass ihr Blut topfit ist. Jede Blutspende wird einer aufwendigen Diagnostik unterzogen und umfangreich auf spezielle Viren und Bakterien geprüft (HIV, Hepatitis B und C, Syphilis und andere). "Umgekehrt wissen alle Spender, dass jede Blutspende für sie selbst gesund ist, denn sie regt die eigene Blutbildung an", sagt Professor Rüdiger Scharf, Direktor des Instituts für Hämostaseologie, Hämotherapie und Transfusionsmedizin: "Blutspenden ist wie Joggen fürs Knochenmark."

Immer wieder liest man Alarmmeldungen, dass die Spendenfreudigkeit der Deutschen schwer nachgelassen habe; nicht selten hört man auch von Engpässen, die eine Verschiebung einer (möglicherweise lebenswichtigen) Operation zur Folge hat. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch irgendwann in seinem Leben eine Bluttransfusion benötigt, ist ziemlich hoch. "Jeder Zweite bis Dritte braucht sie in seinem Leben einmal", sagt Scharf. Auch deshalb ist Blutspenden so wichtig. Das allermeiste Blut, das hier gespendet wird, dient den Patienten in der Uniklinik selbst. "Aber es kommt eben auch vor, dass wir von anderen Krankenhäusern um Unterstützung gebeten werden. So haben wir neulich einem Patienten in Berlin in einer lebensbedrohlichen Situation helfen können."

Wem helfen Blutspenden? Bei angeborenen oder erworbenen Blutbildungsstörungen (etwa nach einer Chemotherapie) sind sie ebenso dringend erforderlich wie bei einem großen Blutverlust (etwa nach Unfällen oder bei komplexen Operationen); auch bei Störungen der Blutgerinnung oder Blutaustausch-Transfusionen zur Rettung Neugeborener muss auf Blutspenden zurückgegriffen werden.

Jeder gesunde Erwachsene ist geeignet. Jeder, der auch nur ein bisschen krank ist, scheidet vorerst aus. Kategorisch ausgenommen sind Menschen, die an einer Krankheit leiden oder zu einer Risikogruppe zählen. Dazu werden alle Menschen gerechnet, die mit einem Keim infiziert sind oder ein erhöhtes Infektionsrisiko besitzen; dazu zählen homo- und bisexuelle Männer, Bluter, Prostituierte, Drogen-Konsumenten, Sextouristen, Häftlinge und einige andere Gruppen.

Nicht mehr mit der Gießkanne

An frühere Verhältnisse erinnert sich Scharf noch gut. Da habe man Spenderblut wie mit der Gießkanne verabreicht. "Heutzutage ist Blut eine wertvolle Ressource. Es wird aufgearbeitet und dem Patienten nur der Bestandteil übertragen, der ihm fehlt." Die moderne Transfusionsmedizin hat für die Kranken jedoch noch andere Vorteile, die unter dem Stichwort "Patient Blood Management" rangieren. Scharf: "Jetzt kann man bereits vor einer Operation genau schauen, ob man etwa mit blutbildenden Hormonen den niedrigen Hämoglobin-Wert eines Patienten ankurbelt, damit er auch wirklich operationsfähig wird." Hämoglobin ist unentbehrlich für den Sauerstofftransport des Bluts. Doch auch während einer Operation in der Uniklinik kann es sein, dass der Anästhesist die Hilfe von Scharfs Abteilung benötigt. "Das geht bei uns per Rohrpost zwischen OP und Labor - das schnellste und zuverlässigste System. Und unsere Ergebnisse aus dem Labor hat der Anästhesist mit unserer Empfehlung zur Transfusion in kürzester Zeit auf seinem Bildschirm im OP."

Nebenwirkungen vermeiden

Die Zufuhr von ausgewählten Blutbestandteilen an die Patienten hat weitere Vorteile. Transfusionen beeinflussen das Immunsystem nicht unbedingt günstig. Mediziner nehmen an, dass Transfusionen die "Wachsamkeit" des Immunsystems herabsetzen. "Möglicherweise", sagt Scharfs Kollege Till Hoffmann, "geschieht das durch Fremdeiweiße, die bei einer Transfusion übertragen werden. Dadurch können sich Nebenwirkungen entwickeln, die den Patienten empfänglicher für Infektionen machen." Auch weitere Gründe sprechen für weniger Transfusionen: Bei Herzoperationen mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine kann allein das große Flüssigkeitsvolumen durch die Blutzufuhr eine Belastung für das Herz sein.

Hermann Binger ahnt, dass sein Blut an all diesen Szenarien beteiligt ist. Jetzt, nachdem er seine Spende in dem bequemen Sessel neben seinen Spenderkollegen abgegeben hat, geht er in den benachbarten Erholungsraum, trinkt einen Kaffee und isst Kekse. Für jede Blutspende erhält er eine Aufwandsentschädigung von 25 Euro. "Ich komme aber nicht deswegen. Ich komme, weil jeder auf eine Spende angewiesen sein kann - auch ich selbst."

(w.g.)
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