Kündigung von Mitarbeitern Guten Gewissens gefeuert

Düsseldorf · Widersetzt sich ein Mitarbeiter seinem Chef, riskiert er berufliche Nachteile. James Comey ist das jüngste Beispiel dafür. Hätte er sich anders verhalten müssen? Aus Loyalität zum Chef?

 Ex-FBI-Chef James Comey.

Ex-FBI-Chef James Comey.

Foto: ap, AB

Oft geraten Mitarbeiter dadurch in ein moralisches Dilemma. Das Gewissen verlangt, sich zu widersetzen und den Missstand zu melden. Die Loyalität gegenüber dem Chef und die Angst vor Nachteilen im Job halten zurück. Für die Präsidentin des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft, Irina Kummert, ist in diesen Fällen der ethische Ungehorsam jedoch alternativlos: "Geht es um Straftatbestände oder massive Missstände im Unternehmen, dann besteht sogar eine Pflicht zum Ungehorsam", sagt sie.

Das Beispiel James Comey

Frei nach dem Motto "mitgefangen, mitgehangen" ermittelt die Staatsanwaltschaft bei Gesetzesverstößen gegen alle Beteiligten, auch gegen die Mitarbeiter. "Zwar wird der Anordnende in der Regel stärker zur Verantwortung gezogen, strafrechtlich kann aber eben auch der ausführende Mitarbeiter dran sein", erklärt Philipp Byers, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Es scheint, als bliebe den Mitarbeitern, die über Missstände Bescheid wissen, die Wahl zwischen Pest und Cholera. Denn dass sich ethischer Ungehorsam gegenüber dem Chef negativ auf die Karriere auswirken kann, machte gerade erst der Rauswurf des FBI-Chefs James Comey deutlich.

Comey bewies mehrmals, dass er sich von Präsidenten nicht einschüchtern lässt: 2004 verlangte Georg W. Bush von dem stellvertretenden Justizminister, ein Abhörprogramm zu genehmigen, das dieser für illegal hielt. Comey weigerte sich und drohte mit Rücktritt. Bush gab nach. Bei US-Präsident Donald Trump fand Comeys Pflichttreue hingegen wenig Gefallen.

Bereits nachdem Comey Trumps Behauptung, Barack Obama hätte ihn bespitzelt, als unhaltbar abtat, war er Trump ein Dorn im Auge. Die Ermittlungen wegen möglicher illegaler Verbindungen von Trumps Wahlkampfteam zum Kreml brachten den Präsidenten endgültig gegen den FBI-Chef auf.

Erst entlassen — dann diskreditiert

"Ungehorsame gefährden die Integrität der Gruppe, deren Mitglieder sich unmoralisch verhalten. Das löst Sanktionen aus, um die Gruppe zu schützen", erklärt Organisations- und Personalpsychologe Bernd Marcus. "Dahinter mag in Wahrheit Selbstschutz des ,verratenen' Mitglieds stehen, dieses fühlt sich aber durchaus im Recht." Mitarbeiter, die sich dem Chef widersetzen oder Missstände aufdecken, gelten im Betrieb selten als Helden.

Es wird versucht, sie mundtot zu machen, im schlimmsten Fall ihre gesamte Arbeit oder gar psychische Verfassung infrage zu stellen. Trump hat Comey nicht einfach entlassen, er versuchte ihn auch zu diskreditieren. Er bezeichnete ihn als "Wichtigtuer", beim Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow als "verrückt" und "Spinner". Das Ziel: "Den Hinweisgeber unglaubwürdig machen", so Kummert.

Also lieber schweigen?

Auch der Steuerfahnder Rudolf Schmenger und drei seiner Kollegen sollten so abqualifiziert werden. Jahrelang hatten sie im Finanzamt Frankfurt V erfolgreich gegen Banken ermittelt. Als den Fahndern 1999 jedoch eine CD mit Daten von Steuerhinterziehern in die Hände fiel, die ihr Geld in Liechtenstein versteckt haben sollen, kam aus den Reihen der CDU-Regierung in Hessen die Ansage, den Fall nicht zu bearbeiten.

Die Fahnder vermuteten eine Verbindung zur CDU-Schwarzgeldaffäre und gingen gegen die Anweisung an — vorerst intern. Daraufhin bekamen alle vier mittels psychologischen Gutachten eine "chronische paranoid querulatorische Störung" attestiert — sie wurden versetzt oder zwangspensioniert, die Abteilung geschlossen.

Ist es also besser zu schweigen, wenn einem auffällt, dass der OP-Arzt ein Alkoholproblem hat oder der Banker seinen Kunden unseriöse Produkte verkauft? Nein. Auch Vorgesetzten darf es nicht gelingen, Verfehlungen unter dem Mantel der Verschwiegenheit zu vertuschen. "Manchmal sind die ethischen Prinzipien stärker als Loyalität und Angst vor Strafe", sagt Marcus.

Kein Freifahrtschein zum Chefanschwärzen

Zwar gibt es in Deutschland noch immer kein Schutzgesetz für Hinweisgeber. Der Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch hat Arbeitnehmer aber zumindest gestärkt. Heinisch hatte mehrfach intern den Personalmangel und den einhergehenden Pflegemangel in ihrer Einrichtung kritisiert. Als sie nach zwei Jahren Strafanzeige erstattete, wurde sie fristlos entlassen. Erfolglos klagte sie durch alle nationalen Gerichtsinstanzen, schließlich gab ihr der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 Recht.

Wenige Monate nach der Entscheidung nahm auch das Bundesarbeitsgericht die Grundsätze in die deutsche Rechtsprechung auf. Sie sind ohne ausdrückliches Gesetz bindend. Auch Steuerfahnder Schmenger und seine Kollegen sind inzwischen rehabilitiert. Der Psychiater wurde wegen vorsätzlicher Falschbegutachtung verurteilt und musste in allen vier Fällen Schadensersatz zahlen.

Ein Freifahrtschein zum Chefanschwärzen ist die Regelung aber nicht. Die Experten raten, Missstände immer erst intern anzusprechen. Wer nicht belegen kann, dass er — bevor er an die Öffentlichkeit ging - eine innerbetriebliche Lösung gesucht hat, dem droht weiterhin der Jobverlust. In vielen Unternehmen gibt es inzwischen Hinweisgeber-Hotlines oder Vertrauenspersonen wie Ombudsmänner. "Diese wissen, was zu tun ist, um möglichen Schaden von Kunden, Patienten, aber auch dem Unternehmen abzuwenden", sagt Kummert. Sich an den nächsthöheren Vorgesetzten oder Betriebsrat zu wenden, ist ebenso möglich. Es sollte im Interesse jedes Unternehmens liegen, potenzielle Hinweisgeber zu unterstützen. Letztlich sind sie es, die loyal ihrer Arbeit nachgehen.

(beaw)
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