Karriere Es geht auch ohne Studium

Düsseldorf · Der elterliche Rat an die Kinder, Abitur zu machen, ein Studium zu beginnen und abzuschließen, ist aus Erfahrung grundvernünftig. Aber es gibt auch interessant-kurvige Lebenswege nichtakademischer Berufstüchtigkeit.

Das sind prominente Sitzenbleiber
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Von Konrad Adenauer, dem Urvater aller Bundeskanzler, stammt die Aussage, das Wichtigste in der Politik sei der Mut. Zu fragen wäre, ob das nicht für weitere Bereiche des Lebens gilt, etwa die Phase von Ausbildung und ersten Schritten auf den beruflichen Leitersprossen. Schnell heißt es dazu, am sinnvollsten sei es, das Abitur zu bestehen, ein Studium zu beginnen und zum guten Ende zu bringen. Die Erfahrung lehrt, dass der Rat vernünftig ist.

Also besser nicht Mut zur Bildungslücke, sondern zur formalen Bildung? Die Studienanfänger-Quote in Deutschland stieg zwischen dem Jahr 2000 und heute von 33 auf 57 Prozent.

Der als Berufsprofiler und Autor tätige Psychologe und Philosoph Heinz Schuler sagt dazu: "Es gibt viele Wege zum beruflichen Erfolg. Ein Studium ist nur einer davon." Und dann sagt er etwas, worauf etwa erfolgreiche Handwerksmeister hinweisen: "Es gibt schließlich auch unzufriedene, schlecht bezahlte und arbeitslose Akademiker."

Schuler, der in dem lehrreichen Buch "Karriere ohne Studium" von Mario Müller-Dofel zu Wort kommt, verweist zudem auf Ernüchterndes: "Ich glaube, sehr viele der heutigen Studentinnen und Studenten wären auf einer Berufsschule besser aufgehoben als in einem Hochschul-Hörsaal."

Die durchschnittliche Abbrecher-Quote liegt in den Bachelor-Studiengängen bei 28 Prozent. Thomas Sattelberger, ein früherer Personalvorstand bei der Telekom, sieht in der hohen Studienabbrecher-Quote einen Beleg dafür, wie manche Unis "Bildungsverlierer produzieren".

Andererseits ist die Welt der Erfolgreichen voll von Studienabbrechern. Der weltweit Berühmteste heißt Bill Gates. Der 1948 geborene Joschka Fischer, dessen einziges Testat im Leben ein Taxischein gewesen ist und der es als großes "Dennoch" mit Charme, Schnauze und Chuzpe bis hinauf an die Spitze des Bundesaußenministeriums gebracht hat, ist ein Paradebeispiel für Berufserfolg ohne Studium. Er selbst ist in der Rückschau klug genug, seinen kurvigen Lebensweg vom Schul- und Fotografenlehre-Abbrecher, vom fristlos entlassenen, aufrührerischen Opelarbeiter bis zum Frankfurter Radikalinski keinem jungen Menschen zu empfehlen.

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Foto: dpa, aw soe

Fischer steht für Ausnahme-Persönlichkeiten, die ohne eine Spur von formaler Bildung mit überbordendem Selbstbewusstsein gesegnet sind und wie er von sich behaupten: "Ich wusste früh, ich packe das auch so, ganz ohne Zertifikate." Die Sehnsucht, nach Art eines blinden Passagiers akademische Luft zu schnuppern, war dennoch vorhanden: Denn der junge Wilde besuchte Vorlesungen an der Frankfurter Uni, ohne dort die Chance zu haben, sein erworbenes Wissen bei Prüfungen unter Beweis zu stellen.

Selbstverliebt verspottet Fischer die heute im Politischen Aktiven als "Ochsentouristen" mit "beeindruckender Erhabenheit". Und - hier werden ihm viele zustimmen - Fischer fügt hinzu: "Der Politik fehlen echte Typen. Davon gab es früher mehr." Klar, wen das alte, längst vor Anker liegende politische Dickschiff damit meint.

Bescheidener kommt der berühmte Koch Tim Mälzer daher. Er hat nach der Schulzeit als Aushilfsverkäufer in einem Hamburger Sex-Laden auf der Reeperbahn angefangen, war Möbelpacker, Zeitungsausträger und Servicekraft in der Gastronomie. Nun ist er ein Star in der Küche, der mehrere Restaurants besitzt, Kochbücher herausbringt und in TV-Shows brät und berät. Mälzers Rezept für Erfolg ohne akademisches Feintuning lautet: Abenteuerlust, Naivität, Reflexionsvermögen, Entscheidungsfreude, Fleiß.

Anders als bei Joschka Fischer klingen bei Tim Mälzer ein paar Selbstzweifel an. Er sagt, fast alle seiner früheren Cliquen-Freunde hätten studiert, nur er nicht. Auf die Frage, ob er sich unter all den Studenten nicht mal blöd vorgekommen sei, antwortet Mälzer, das sei tatsächlich manchmal vorgekommen. Möglicherweise wurde Mälzer auch einmal Opfer des besonderen Ehrgeizes, der gerade extrem umtriebige Nicht-Akademiker, die es den formal besser Gebildeten zeigen wollen, antreibt und umwirft.

2006 erlitt Mälzer einen Zusammenbruch, modisch: einen Burnout. Irgendwann ging es wieder gut voran. Typisch für Kraft und Lebenstüchtigkeit der Erfolgreichen, ob mit oder ohne Examina, klingt sein Rat: "Wenn etwas schiefläuft, jammert nicht, wie arm, doof oder alleine ihr seid, sondern steht darüber, lernt aus Fehlern und macht's besser."

Ein erstaunliches Beispiel für Karriere ohne Studium ist die gelernte Reiseverkehrskauffrau Wybcke Meier, die es bis in die Geschäftsführung eines großen Touristik-Unternehmens geschafft hat. Über manche Akademiker in ihrer Branche sagt Meier kritisch, heute kämen viele Touristiker mit unrealistischen Vorstellungen von den Fachhochschulen.

Manche wollten schon mit Mitte 20 irgendwo im mittleren Management landen. Das funktioniere aber meistens nicht, weil die Anzahl entsprechender Jobs begrenzt sei. Dann setzt die Praktikerin noch einen spitzen Pfeil: "Ich höre auch oft, Studierende würden in Praktika überfordert sein. Da drängt sich der Gedanke auf, Touristik-Studiengängen fehle der Praxisbezug."

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, besitzt guten Überblick über das weite Feld von Ausbildung und Berufslaufbahn. Der diplomierte Betriebswirt klingt erwartbar diplomatisch, wenn er davor warnt, in der Bedeutung von akademischer und nichtakademischer Ausbildung einen Unterschied zu machen.

Aber dann wird er konkret mit Blick auf seine Zeit als Vorstandsmitglied bei einem großen Autozulieferer-Betrieb: "Viele Nichtakademiker dort verdienten weit mehr Geld als ihre studierten Kollegen: "Der Meister einer Fertigungszelle bei . . . verdient schon lange mehr Geld als mancher akademische Sachbearbeiter."

(mc)
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