Ärger um Dämmplatten Bauherren werden Styropor nicht los

Berlin · Alte Dämmplatten aus geschäumtem Kunststoff enthalten das Flammschutzmittel HBCD. Ab Freitag gilt das bei der Entsorgung aber als Sondermüll. Bundesweit weigern sich nun Müllverbrennungsanlagen, das Material anzunehmen.

 Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sieht die Länder in der Pflicht, die nötigen Kapazitäten für die Entsorgung bereitzustellen.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sieht die Länder in der Pflicht, die nötigen Kapazitäten für die Entsorgung bereitzustellen.

Foto: Evers

In Deutschland gibt es Aufruhr in der Baubranche. Grund sind massive Probleme bei der Entsorgung von Dämmplatten aus Styropor, die das Flammschutzmittel HBCD enthalten. Nach Informationen unserer Redaktion sind davon alle Bundesländer betroffen, weil nur noch eine Handvoll Müllverbrennungsanlagen die Platten annimmt. "Die Entsorgungsunternehmen weigern sich, Styroporplatten anzunehmen, weil sie nicht sicher sein können, dass sie diese bei den Müllverbrennungsanlagen wieder loswerden", klagt Michael Heide, Geschäftsführer beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe.

Auslöser ist die deutsche Umsetzung einer EU-Verordnung, wonach Materialien, die HBCD enthalten, ab Freitag als Sondermüll einzustufen sind. Jahrzehntelang wurde Hexabromcyclododecan, so der vollständige Name, vor allem in Dämmplatten aus Styropor gemischt, damit diese nicht brennen. Sie kamen an Hausfassaden zum Einsatz, zur Dämmung von Dächern und in Fußböden.

Ökologisch unbedenklich

Die bisher gängige Entsorgung war denkbar einfach und technisch sowie ökologisch unbedenklich: Man mischte den Styroporabfall von Baustellen unter sonstigen Bauabfall. Im Verbrennungsprozess der Müllverbrennungsanlagen wurde HBCD so zerstört.

Doch die Länder beschlossen im Bundesrat im Zuge der Abfallverzeichnisverordnung (AVV), dass ab dem 30. September HBCD-haltiges Material auf Baustellen getrennt gesammelt und entsorgt werden muss. Viele Müllverbrennungsanlagen sind darauf aber im üblichen Betrieb nicht ausgerichtet, weil die Temperaturen beim Verbrennen von Styropor extrem ansteigen.

Monochargen sorgen also für Probleme bei den Anlagenbetreibern. Informationen unserer Redaktion zufolge soll in ganz Bayern nur noch eine Anlage Styropordämmplatten annehmen, in Hessen ebenfalls. Auch in NRW sei die Lage dramatisch, hieß es. Das Landesumweltministerium teilte hingegen mit, 13 von 16 Anlagen könnten das Material verbrennen. Betriebe aus der Region berichten jedoch, dass nur ein Bruchteil dazu bereit sei.

42.000 Tonnen Abfall pro Jahr

Dabei ist das Aufkommen dieses Materials groß: Wer heute ein Haus energetisch saniert, renoviert oder ein Gebäude abreißt, hat fast immer mit HBCD-haltigen Platten zu tun. Erst seit 2013 gilt die Produktion als HBCD-frei. Die Bundesregierung geht von rund 42.000 Tonnen Abfall pro Jahr aus. Verglichen mit anderen Müllarten ist das zwar bemessen am Gewicht nicht viel (in Deutschland fallen jährlich 250 Millionen Tonnen mineralische Abfälle an, darunter Bauschutt).

Aber die Gewichtswerte täuschen bei Dämmplatten, sind sie doch federleicht, gleichzeitig jedoch sehr sperrig. So werden Experten zufolge für den Abtransport von nur einer Tonne Styropor gleich fünf übliche Baucontainer benötigt, obwohl diese jeweils für etwa sechs Tonnen gemischten Bauabfall ausgelegt sind.

In der Folge erhöht sich das Transportaufkommen, Zwischenlagerung wird nötig, die Entsorgungskosten steigen an. Schon jetzt verlangen Anlagenbetreiber mit etwa 2000 Euro pro Tonne das etwa 15-fache der üblichen Preise für die Verbrennung gemischter Bauabfälle. Wird eine Tonne reines Styropor angeliefert, verlangen manche Müllverbrennungsanlagen mittlerweile sogar bis zu 7000 Euro.

Der Zentralverband des Baugewerbes fürchtet, dass Baustellen aufgrund der Entsorgungsengpässe stillgelegt werden könnten — weil selbst der Verschnitt neuer Dämmplatten oft nicht mehr abgegeben werden kann. "Sollte es zu Bauverzögerungen kommen, rechnen wir pro Tag mit einem finanziellen Schaden für Bauherren und Unternehmen in zweistelliger Millionenhöhe", warnt Geschäftsführer Heide. Beim Handwerksverband ZDH appelliert Generalsekretär Holger Schwannecke an die Länder, die nötigen Kapazitäten bereitzustellen.

Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sieht die Länder in der Pflicht. Ihr Ressort vertrat stets die Auffassung, HBCD-haltige Materialien könnten auch weiterhin mit gemischten Abfällen entsorgt und verbrannt werden. Nun ruft das Umweltressort die Länder in einem ungewöhnlichen Schritt dazu auf, gegenzusteuern. "Die Länder sollten im Bundesrat mit Blick auf ihre damalige Maßgabe eine Entschließung zur Änderung der Abfallverzeichnisverordnung fassen, damit derartige Abfälle, so wie dies im ursprünglichen Regierungsentwurf der AVV vorgesehen war, nicht als gefährlich einzustufen sind."

Im Klartext: Die Länder sollen die Verordnung zurücknehmen. Die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Marie-Luise Dött (CDU), sieht das genauso und warnt vor der steigenden Gefahr illegaler Entsorgung. "Die Länder müssen deshalb umgehend darauf hinwirken, dass erforderliche Entsorgungskapazitäten bereitstehen", sagte sie. Beim Umweltministerium NRW hieß es dazu lediglich, man "stehe mit den Entsorgerverbänden in Diskussion zu gegebenenfalls auftretenden Problemen bei der Entsorgung dieser Abfälle".

(jd)
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