Architektur in NRW Bauen als Experiment

Düsseldorf · In NRW gibt es etliche neue Siedlungen mit Vorbildcharakter für ökologisches und soziales Bauen. Die Wohnungsnot beheben sie nicht.

 Architekt Peter Krebs hat für vier befreundete Ehepaare, deren Kinder erwachsen und aus dem Haus sind, in Marl im Ruhrgebiet diese Schieferhäuser entworfen. Die Doppelhäuser sind altengerecht gebaut und auffällig: außen wegen des Schiefers extrem dunkel, von innen durch viele Fenster sehr hell.

Architekt Peter Krebs hat für vier befreundete Ehepaare, deren Kinder erwachsen und aus dem Haus sind, in Marl im Ruhrgebiet diese Schieferhäuser entworfen. Die Doppelhäuser sind altengerecht gebaut und auffällig: außen wegen des Schiefers extrem dunkel, von innen durch viele Fenster sehr hell.

Foto: Krebs

Wer baut, lässt sich immer auf ein Abenteuer ein. Erst recht gilt das, wenn Bauherr oder Architekt Neues wagen. Das nordrhein-westfälische Bauministerium hat sogar ein eigenes Referat zum experimentellen Bauen eingerichtet, auch wenn man dort vor allem an gutem Bauen interessiert ist.

Oft kommen die Anregungen für neue Impulse aus Projekten, an denen Kommunen und das Land mitwirken. Das Risiko teilen sich also Staat und Private. Kommerzielle Anbieter oder Genossenschaften übernehmen gern die Erkenntnisse aus diesen Versuchen.

Doch es geht auch anders. Ein rein privates Experiment war die Errichtung von zwei Doppelhäusern in Marl im Ruhrgebiet. Vier befreundete Ehepaare wollten nach dem Auszug ihrer erwachsenen Kinder ihren Haushalt verkleinern. Sie taten sich zusammen, beauftragten den Karlsruher Architekten Peter Krebs und planten unter seiner Anleitung zwei moderne Wohngebäude für je zwei Familien - mitten in die fast dörfliche Wohnsituation von Alt-Marl. "Jedes Paar sollte seine eigenen vier Wände haben, aber jedes Wohnzimmer war groß genug für alle", erzählt Beatrix Möller, die am Projekt beteiligt war.

Und ihr Mann Eckhard Möller ergänzt: "Einer von uns war Bauleiter, einen Bauträger brauchten wir nicht." Die Häuser wurden nacheinander errichtet. Die Gärten werden von den Häusern eingeschlossen. Eingänge und Terrassen sind eingeschnitten, um die Privatheit dieser Außenräume zu sichern. Die Baukosten der 2006 fertiggestellten Häuser betrugen etwa 250.000 Euro je Eigenheim.

Vorbilder für den experimentellen Wohnungsbau sind Projekte aus dem benachbarten Ausland. "Die sind weiter als die Deutschen", heißt es bei fortschrittlichen Architekten. Aufsehen hat die Siedlung Kalkbreite in Zürich erregt, wo aus der Hausbesetzerszene heraus eine architektonisches Vorzeigesiedlung entstand. "Die Stadt pflegt die Politik, Besetzer gewähren zu lassen, weil sie wissen, dass so Neues, Interessantes entsteht", berichtet Fred Frohofer, der in der Genossenschaft der Siedlung Mitglied ist. Das Gelände war einst ein Straßenbahndepot des Züricher Nahverkehrs, bevor es von Wohnungssuchenden besetzt wurde. Jetzt wohnen hier mehr als 260 Menschen völlig legal rund um einen modernen farbigen Innenhof mit viel Grün. Dazu gibt es einen Optiker, eine Arztpraxis, ein Kino, ein Restaurant, sogar eine kleine Pension, die zusammen 200 Menschen Arbeit geben. Ein Dorf inmitten von Zürich.

In Nordrhein-Westfalen stehen solche Projekte noch am Anfang. Das 2017 fertiggestellte "Neue Wohnen im Ostviertel" in Aachen ist so ein Ansatz. Die Gemeinschaftsflächen bestehen aus einem Innenhof wie in Zürich. Im Viertel gibt es eine Sozialstation, einen Bewohnertreff und Kleingewerbe. Auch hohe Energiestandards werden eingehalten. Es fehlt aber der Wille, das als Dorf in der Stadt mit eigenem Gemeinschaftsleben zu begreifen.

Das Matthias-Claudius-Sozialwerk in Bochum ging ähnlich vor. Die 2017 gebauten Bochumer Claudius-Höfe verbinden Wohnblocks mit einem kommunikativen Innenhof. In den Gebäuden sind behindertengerechte Geschosswohnungen, Studentenappartements und Gästewohnungen untergebracht. Der Mittelpunkt der Gebäudegruppe ist eine Kapelle mit Gemeinschaftssaal. Dazu gibt es soziale und gewerbliche Nutzungen. Als sozialer und innovativer Investor tut sich die größte Kölner Wohnungsbaugesellschaft GAG hervor. Gleich in drei Siedlungen hat sie neue Standards gesetzt. So ersetzte das Carlswerkquartier in Köln-Buchheim eine Siedlung aus den 1920er Jahren 2013 durch neue aufgelockerte und versetzte Blöcke.

Das Quartier Grüner Weg in Köln-Ehrenfeld aus dem gleichen Jahr hat bei den Gebäuden und Innenhöfen eine neue farbenfrohe Formensprache gefunden. Schließlich wird Ende November das Waldbadviertel in Köln-Ost-heim fertig. Hier soll familienübergreifendes Wohnen möglich werden. Eigenheime sind verbunden mit Geschosswohnungsbau, sogar ein Sozialzentrum für Demenzkranke steht auf dem Gelände. Zwischen Wald und Freibad entsteht Wohnraum für 2000 Menschen. "Wer sich verkleinern will, weil die Kinder ausgezogen sind, wechselt in eine altengerechte Mietwohnung", meint GAG-Sprecher Jörg Fleischer. Die Mieten liegen im geförderten Wohnungsbau bei 6,25 Euro den Quadratmeter, im frei finanzierten bewegen sie sich von acht bis über zehn Euro. Für ihre Siedlungen hat die GAG mit den Büros Astoc Architekten, Juan Pablo Molestina und Lorenzen Architekten Baumeister gewonnen, die zu den bekanntesten Kölns zählen. Ziel der Projekte: die Verbindung städtischer Dichte mit Wohnqualität.

Die Wohnungsnot in den großen Städten an der Rheinschiene können diese Siedlungen nur bedingt beheben. Sie sind zwar mit Mieten von acht bis zehn Euro pro Quadratmeter erschwinglich. Aber es gibt zu wenige Angebote. So umfasst eine Siedlung wie das Carlswerkquartier 200 Wohnungen, das Waldbadviertel 500. Notwendig sind aber bis zu 10.000 neue Wohnungen in Köln. Ähnlich sieht die Relation in Städten wie Düsseldorf, Bonn oder Aachen aus. Das Ruhrgebiet könnte aus diesen Missverhältnissen Gewinn ziehen. Dazu müssten aber dort attraktive Wohn- und Gewerbegebiete entstehen.

(kes)
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