Umwelthilfe gewinnt Prozess Gericht macht Weg für Diesel-Fahrverbot in Stuttgart frei

Stuttgart · Die Deutsche Umwelthilfe hat ihren Prozess für eine bessere Luftreinhaltung in Stuttgart gewonnen. Die Luftverschmutzung muss notfalls auch mit Diesel-Fahrverboten bekämpft werden, entschied das Verwaltungsgericht. Auch gegen die Städte Köln und Bonn ist eine ähnliche Klage anhängig.

 Blick auf die Auspuffrohre eines Diesel-Pkw (Symbolbild).

Blick auf die Auspuffrohre eines Diesel-Pkw (Symbolbild).

Foto: dpa

Das Verwaltungsgericht Stuttgart verlangte in einer am Freitag verkündeten Entscheidung schnellstmögliche Maßnahmen für eine bessere Luftreinhaltung. Der Nachrüstplan reiche nicht aus, hieß es. Das Land Baden-Württemberg hatte versucht, durch Nachrüstungen vieler älterer Motoren solche Verbote zu verhindern.

"Das Verkehrsverbot verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil der Gesundheitsschutz höher zu gewichten ist als das Recht auf Eigentum und die allgemeine Handlungsfreiheit der vom Verbot betroffenen Kraftfahrzeugeigentümer", sagte Richter Wolfgang Kern.

Das Land dürfe sich bei der Luftreinhaltung nicht darauf verlassen, dass die Autoindustrie handelt, hieß es. Fahrverbote seien das wirksamste Mittel, um die seit Jahren hohe Belastung mit giftigem Stickstoffdioxid zu reduzieren.

Verkehrsministerium will Urteil sorgfältig prüfen

Ob und wann es tatsächlich zu Fahrverboten für viele Dieselmodelle kommt und wie diese aussehen könnten, ist aber offen. Es ist damit zu rechnen, dass der Streit beim Bundesverwaltungsgericht weitergeht.

Die Deutsche Umwelthilfe hatte ein Fahrverbot für Dieselautos und vor allem eine Nachbesserung des Luftreinhalteplans für Stuttgart gefordert, mit dem die baden-württembergische Landesregierung die Luftqualität in der Stadt verbessern will.

Das Verkehrsministerium von Baden-Württemberg will die Entscheidung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts sorgfältig prüfen. Es handle sich um ein "sehr komplexes Urteil", deshalb müsse zunächst die für August angekündigte schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werden, sagte ein Ministeriumssprecher am Freitag. Er könne noch nicht sagen, ob die Landesregierung in die Berufung gehe.

Es stehe auch noch nicht fest, ob zum 1. Januar wie vom Gericht gefordert Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge kommen, betonte der Sprecher.

Ähnliche Klage liegt beim Verwaltungsgericht Köln

Auch vor dem Verwaltungsgericht in Köln ist eine Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die Städte Bonn und Köln anhängig, in der es um die gleiche Thematik geht. Die Bezirksregierung Köln teilte auf Anfrage unserer Redaktion mit, man diskutiere derzeit mit den Kommunen verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität - auch Dieselfahrverbote. Für diese müsse es aber zuerst eine Rechtsgrundlage geben: "Bis zu einer abschließenden Entscheidung wird die Bezirksregierung Köln kein Dieselfahrverbot festlegen, sondern diese Maßnahme neben anderen Maßnahmen bei der Planung lediglich berücksichtigen", heißt es in der Stellungnahme.

Zudem werde man nur solche Maßnahmen umsetzen, die wirkungsvoll sind: "Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht feststellen sollte, dass das geltende Straßenverkehrsrecht für ein Dieselfahrverbot ausreicht, wird es keinen Umsetzungsautomatismus geben, sondern in Absprache mit dem zuständigen Ministerium in Düsseldorf eine differenzierte Prüfung mit Ausnahmeregelungen."

Die Stadt Aachen begrüßte das Urteil aus Süddeutschland: "Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart ist ein Ausrufezeichen und dürfte wegweisend für die kommunale Luftreinhalteplanung sein. Der Handlungsdruck auf alle Großstädte wird sich jetzt enorm erhöhen", sagte Klaus Meiners, stellvertretender Leiter des Fachbereichs Umwelt. Die Kölner Bezirksregierung werde die Begründung der Stuttgarter Richter im neuen Luftreinhalteplan für Aachen berücksichtigen müssen. "Auch Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuggruppen dürften nicht mehr ausgeschlossen sein", sagte Meiners.

Hofreiter: Merkel muss Dieselskandal zur Chefsache machen

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Stuttgarter Auto-Urteil auf, den Dieselskandal zur Chefsache zu machen. "Dieselgate muss in der Bundesregierung jetzt endlich Chefsache der Kanzlerin werden", sagte Hofreiter unserer Redaktion.

"Die Bundesregierung muss sich statt ihrer Kumpanei mit den Autobossen um die Gesundheit der Bürger und die Interessen der geprellten Autofahrer kümmern", sagte der Grünen-Politiker. "Wir brauchen eine wirksame Nachrüstung der dreckigen Dieselfahrzeuge auf Kosten der Hersteller", forderte Hofreiter. Zudem hätte die Bundesregierung den Kommunen längst Planungsinstrumente gegen die dreckige Luft — wie die Blaue Plakette — in die Hand geben müssen.

Verbraucherschützer-Chef fordert Entschädigung

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller warnte derweil vor massiven Konsequenzen für die Verbraucher und forderte umfassende Entschädigungen für sie. "Der Beschluss des Verwaltungsgerichtes Stuttgart wird massive Konsequenzen für viele Verbraucherinnen und Verbraucher haben", sagte Müller unserer Redaktion. "Jetzt müssen diejenigen, die am wenigsten dafür können, die Fehler von Industrie und Politik ausbaden", warnte der Chef des Bundesverbandes Verbraucherzentrale (vzbv).

"Der vzbv fordert: Fahrzeuge, die von Fahrverboten betroffen sind, müssen auf Kosten der Hersteller wirksam nachgerüstet werden", sagte Müller. "Ist dies technisch nicht möglich und überprüfbar, müssen die Hersteller den Umtausch dreckiger gegen saubere Fahrzeuge anbieten", sagte der vzbv-Chef. "Das bedeutet zum Beispiel, dass ein manipuliertes Dieselfahrzeug gegen einen entsprechenden Benziner eingetauscht werden muss", sagte Müller. Kein Verbraucher dürfe aufgrund von Verfehlungen der Industrie enteignet und in seiner Mobilität eingeschränkt werden. "Die Politik muss endlich den Verbraucherschutz stärker berücksichtigen als die Interessen der Industrie", sagte Müller.

(mar/das/heif/AFP/rtr/dpa)
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