Sprit als Glaubensfrage Warum Diesel-Motoren nur in Europa erfolgreich sind

Berlin/Düsseldorf · In den Automobilnationen Westeuropas sind Diesel-Fahrzeuge beliebt. In den USA und Japan werden sie verschmäht - nach dem VW-Abgas-Skandal wohl erst recht. Warum ist das so? Analyse einer Kraftstoff-Glaubensfrage.

Übersicht: Was bei Autos aus dem Auspuff kommt
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Foto: dpa, Oliver Weiken

Nirgendwo sonst auf dem Planeten ist der Anteil an dieselbetriebenen Fahrzeugen so hoch wie in Europa. Dreiviertel der rund zehn Millionen verkauften Diesel-Autos weltweit gingen 2014 an Kunden in der Europäischen Union. Der Anteil solcher Fahrzeuge bei den Neuzulassungen in den 15 wichtigsten EU-Ländern lag im vergangenen Jahr im Schnitt bei 53,6 Prozent, in Irland sogar bei 73 Prozent - Spitzenwert in der EU. Und in Deutschland hat sich 2014 fast jeder zweite Autokäufer für einen Diesel entschieden.

Doch was steckt hinter dem europäischen Boom selbstzündender Motorentechnik? Und warum gelingt den europäischen Diesel-Vorreitern der Durchbruch bisher nicht auf den Milliardenmärkten Japans und der USA?

Der Diesel-Aufstieg in Europa lässt sich besonders gut am Beispiel Frankreichs veranschaulichen. Zu Beginn der 80er Jahre lag dort der Marktanteil von Dieselfahrzeugen bei nur gut acht Prozent, heute sind es knapp 68 Prozent. Der Grund: Seit den 60er Jahren setzte Frankreich massiv auf billigen Nuklearstrom, der nach und nach auch die bis dahin üblichen Ölheizungen in den Haushalten verdrängte. Die französischen Raffinerien blieben auf dem Stoff sitzen, der im Grunde nichts anderes ist als Dieselöl. Um den Absatz zu fördern, drängte die französische Regierung den Autohersteller Peugeot dazu, massentaugliche Dieselmotoren auch für kleinere Pkw zu entwickeln. 1983 erhielt der damalige Peugeot-Chef Jacques Calvet von Staatspräsident François Mitterrand die Zusage, dass der Steuervorteil auf Diesel, der bis dahin nur Landwirten und Transportunternehmern gewährt wurde, künftig für alle Dieselfahrzeuge gelten würde. Bald darauf setzte der Diesel-Boom in Frankreich mit voller Wucht ein.

Doch eigentlich ist Deutschland die Heimat des Dieselmotors. 1897 entwickelte der Ingenieur und Namensgeber Rudolf Diesel einen stationären Motor für industrielle Anwendungen, der die Dampfmaschine ablösen sollte. An den Einsatz in Pkw war damals noch längst nicht zu denken, der Motorblock war mehr als zwei Meter breit und drei Meter hoch. Aber Diesel leistete eine Revolution: Sein Motor konnte rund ein Viertel der Treibstoffenergie abschöpfen, eine kohlebefeuerte Dampfmaschine erreichte lediglich einen Wirkungsgrad von unter zehn Prozent.

Anders als in Frankreich ist der Aufstieg der Pkw-Dieselmotoren in Deutschland aber nicht auf Subventionen zurückzuführen. Mercedes-Benz baute 1936 mit dem 260 D das weltweit erste serienmäßige Dieselauto, wettbewerbsfähig wurde die Antriebstechnik erst Mitte der 70er Jahre. Bis dahin galten Dieselfahrzeuge als laut, langsam und dreckig. Der erste Golf mit Dieselmotor brachte 1975 die Technik in die Kompaktklasse, weitere 20 Jahre später setzte der Boom ein - auch ohne direkte Geldspritzen.

"Finanzielle Vorteile haben sich vor allem dadurch ergeben, dass der Staat zur Finanzierung der Bahnreform 1994 beim Diesel eine geringere Mineralölsteuererhöhung als beim Benzin durchgeführt hat", erläutert Jürgen Albrecht vom ADAC. Das sei zum Schutz der Lkw-Speditionen entschieden worden. "Zwar mussten Diesel-Fahrer dann bei der Kfz-Steuer zum Ausgleich weitaus mehr bezahlen. Die verbrauchsarmen Motoren machten das aber häufig an der Zapfsäule wieder wett." Daher sei es in Deutschland keine politische Absicht gewesen, die Diesel-Pkw zu fördern. Vielmehr sei die Motorentechnik wegen der günstigen Rahmenbedingungen für Diesel drastisch verbessert worden.

Und das brachte dann gleich einen Wandel im Fahrgefühl der autoliebenden Deutschen mit sich. Ein turbogeladener Dieselmotor mit Direkteinspritzung habe sehr dynamische Eigenschaften, sagen Experten. Zudem sei vielen Kunden wichtig, auf europäische Spitzentechnologie zu setzen.

Eben das ist aber auch einer der Gründe, warum hiesige Hersteller es in den USA und Japan mit der Diesel-Expertise stets schwer hatten. Die europäische Konkurrenz war unerwünscht, hinzu kam, dass die Kostenvorteile eines Diesel in den USA wegen der deutlich geringeren Preise für Benzin ohnehin nicht zum Tragen kamen. Und dann sorgte auch noch ein amerikanischer Hersteller selbst dafür, dass die US-Bürger keine Lust auf Dieselfahrzeuge bekamen: "Einer der Gründe für die Ablehnung sind die schlechten Erfahrungen mit einem Dieselmodell von Oldsmobile Ende der 70er Jahre", sagt Helmut Tschöke vom Institut für Mobile Systeme an der Universität Magdeburg. Und mit Blick auf die jüngsten Vorfälle bei Volkswagen ist sich der Ingenieur sicher: "Die Pkw-Dieselmotorenhersteller, besonders die europäischen, waren kurz vor dem Bekanntwerden des Abgasskandals dabei, dieses Image zu drehen. Jetzt dürfte es für die ohnehin geringe Akzeptanz einen weiteren Dämpfer in den USA geben."

Denn tatsächlich ist die Umweltbilanz eines Dieselantriebs nach wie vor das größte Argument gegen die Technik: Zwar stößt ein Dieselmotor weniger CO2 aus als ein Benziner, dafür aber krebserregende Stickoxide. Deswegen werden Fahrverbote in Innenstädten diskutiert, Umweltschützer schlagen seit Jahren Alarm. Technisch allerdings sei das lösbar, sagt Experte Albrecht. Einem aktuellen ADAC-Test zufolge schneiden bei Autos mit Euro-6-Motoren die Dieselvarianten bei der Öko-Bilanz fast immer besser ab als die Benziner. "Ob man Diesel oder Benziner bevorzugt, hat mit den Jahren fast schon weltanschaulichen Charakter bekommen." In vielen Familien werde man gewissermaßen für Benziner oder Diesel sozialisiert. "Mit den technischen Unterschieden ist das gerade wegen der vielen umweltschonenden Maßnahmen bei Dieselfahrzeugen nicht mehr zu erklären", so Albrecht.

(jd)
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