Umwelt-Debatte Auto-Experte: Köhler hat im Prinzip Recht

Düsseldorf (RPO). Mit seiner Forderung nach höheren Spritpreisen hat Bundespräsident Horst Köhler eine Lawine losgetreten und eine Menge Gegner auf den Plan gerufen. Wer Köhler im Grundsatz zustimmt, ist der Autoexperte Stefan Bratzel aus Bergisch Gladbach.

Der neue BMW Vision EfficientDynamics
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"Köhler hat im Prinzip Recht. Die Themen Umweltschutz und Energieeffizienz sind die Megatrends, die die Autoindustrie massiv verändert haben und in Zukunft verändert werden", pflichtet Bratzel dem Bundespräsidenten in seiner Grundüberlegung bei. Auch der Auto-Professor der FH Bergisch Gladbach ist davon überzeugt, dass der Weg langfristig vom Rohöl wegführen muss.

Neuer Mobilitätsansatz

Bratzel setzt seine Hoffnung allerdings ganz auf die Innovationskraft der Autoindustrie, die "in den letzten Jahren sehr intensiv an diesem Thema arbeiten" und offenkundig begriffen hätten, wie sie sich zukunftsorientiert aufstellen müssten. Dazu gehörten hoch energieeffiziente Autos. "Diesen Weg muss die Industrie konsequent weiterverfolgen", sagte Bratzel unserer Redaktion.

Wie der Bundespräsident sieht Bratzel ferner große Chancen in einem neuen Mobilitätsansatz. Ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs allein werde den Individualverkehr aber nicht mehr aufhalten: "Auch über höhere Spritpreise bekommen wir die Menschen nicht dazu, auf ihr Auto zu verzichten." Dafür sei Mobilität heutzutage viel zu stark "Auto-fokussiert". Aber eine stärkere Vernetzung und Optimierung aller Verkehrswege sei dringend geboten: "Dazu gehört für mich auch der Park-und-Ride-Platz am Bahnhof, wo ich sicher sein kann, dass ich meinen Zug erreiche."

Ausgleich kann nach hinten losgehen

Im übrigen gibt es für Bratzel einen ganz wesentlich Grund, von einer Erhöhung der Benzinpreise abzusehen: "Ich kann Herrn Köhler beruhigen. Die Spritpreise steigen sowieso", merkte der Experte mit süffisantem Unterton an. Dies sei im Zuge der weltwirtschaftlichen Erholung speziell in China an unseren Zapfsäulen aktuell schon deutlich spürbar. In Windeseile seien die Preise für einen Liter Super von 1,20 auf über 1,40 Euro geklettert.

Insofern sei die Lage für die Autofahrer schon bedrohlich genug: "Mit Benzinpreis-Erhöhungen wäre ich sehr vorsichtig. Die Politik kann zwar die Steuer für Benzin bestimmen, aber nicht die Weltmarktpreise." Insoweit könne der Schuss eines staatlichen Ausgleichs für Menschen mit geringem Einkommen ganz schnell nach hinten losgehen.

Brüderle weist Forderung zurück

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat die Forderung nach einer Erhöhung der Benzinpreise derweil zurückgewiesen. "Auch hier gilt der Grundsatz: Man kritisiert den Bundespräsidenten nicht", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende am Montag in Berlin. Die Benzinpreise seien aber bereits sehr hoch, und gerade für Arbeitnehmer im ländlichen Raum müsse Mobilität bezahlbar bleiben. "Ich trete da nicht in Konkurrenz zum Bundespräsidenten, aber ich vertrete das seit langem", sagte Brüderle.

Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat dem Vorstoß Köhlers ebenso wie der Automobilclub ACE widersprochen. "Die Öko- bzw. Spritsteuer im Benzinpreis hat bis heute keinerlei Lenkungswirkung entfaltet", sagte Ramsauer der "Bild"-Zeitung. "Gefahren wird wie eh und je." Der SPD-Verkehrsexperte Hans-Joachim Hacker hat die Anregung gleichfalls kritisiert, aus ökologischen Gründen die Benzinpreise zu erhöhen. ADAC-Präsident Peter Meyer nannte Köhlers Äußerungen "unüberlegt".

Dagegen leitete der Verkehrsexperte Werner Reh vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) aus der steigenden Nachfrage nach sparsamen Fahrzeugen einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung ab, den es weiterzuverfolgen gelte. Auch der alternative Verkehrsclub Deutschland begrüßte die Äußerungen des Bundespräsidenten. Es sei dessen Aufgabe, über den Tellerrand hinauszublicken. "Wir brauchen eine neue Mobilitätskultur, die nicht ausschließlich auf das Auto setzt", sagte VCD-Verkehrsexperte Gerd Lottsiepen. Das "heftige Aufjaulen" aus den Reihen des ADAC und die ungewöhnlich scharfe Kritik Ramsauers machten deutlich, "dass sich die Autolobby in ihrem Lebensnerv getroffen fühlt."

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte der Onlineausgabe der "Frankfurter Rundschau", Köhlers Aussage, dass ungezügelter Konsum schade und von "grünem Wachstum alle profitieren", komme spät, sei aber zutreffend.

Köhler-Biograph Horst Langguth erläuterte im WDR-Hörfunk, dass Köhler nun zu spüren bekomme, wie es sei, wenn er sich mit einem sehr konkreten Vorschlag zu Wort melde und sich dabei mit vielen tausend Pendlern anlege: "Jetzt kriegt er Zunder. Da merkt man, dass Köhler kein Politiker ist, sondern Beamter", so der Politologe.

"Paradigmenwechsel"

Köhler hatte im "Focus" für einen "Paradigmenwechsel" geworben und gesagt: "Wir sollten zum Beispiel darüber nachdenken, ob der Preis von Benzin nicht tendenziell höher als tendenziell niedriger sein sollte." Für einen effizienteren Umweltschutz dürfen nach Ansicht von Bundespräsident Horst Köhler auch höhere Spritpreise kein Tabu sein.

Dass unter höheren Spritpreisen vor allem Menschen mit geringen Einkommen litten, ließ Köhler nicht als Einwand gelten. "Sozialer Ausgleich dafür ließe sich mit staatlichen Mitteln organisieren." Dies sei kein Problem, vor dem man zurückschrecken sollte.

Besorgt äußerte sich Köhler in diesem Zusammenhang über die starke Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft vom Auto. Sechzig Prozent der gesamten Innovationen hätten mit diesem Bereich zu tun. "Mich macht das eher nervös", sagte er. "Wir müssen den Kapitalismus vor sich selber schützen. Das gilt auch für die Automobilindustrie."

(RPO/RTR/ddp)
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