Kunstsammlerin Julia Stoschek Zwischen Düsseldorf und Berlin

Berlin/Düsseldorf · Kunstsammlerin Julia Stoschek hat eine Hauptstadt-Dependance eröffnet und will ihr Leben teilen. In Berlin wohnt der Vater ihres Kindes.

Seit neun Jahren ist die Sammlerin fest in Düsseldorf verortet. Als erstmals ihre Berlin-Pläne bekannt wurden, haben sie die Düsseldorfer Künstler und Kunstschaffenden petitionsartig gebeten, das Rheinland nicht zu verlassen. "Julia, bleib hier", stand in vielen Briefen. Dabei wollte sie nie ganz gehen. Aber Julia Stoschek hat jetzt ein Standbein in Berlin, wo sie im Stadtteil Mitte gestern einen neuen Ausstellungsraum für ihre Video-Sammlung vorstellte. Die Dependance liegt in einem ehemaligen tschechischen Kulturzentrum an der Leipziger Straße und ist mit 2500 Quadratmetern Ausstellungsfläche nur 500 Quadratmeter kleiner als das Stammhaus im feinen Düsseldorf-Oberkassel.

Ab dem Wochenende wird Berlin kieken gehen, zumindest die kunstinteressierte Kaste. Davon wiederum die Crème de la Crème - oder wer sich dafür hält - war gestern Abend auf Stoscheks Openingparty eingeladen. Schon in Düsseldorf sind ihre Feste nach der Vernissage im umkordelten Bereich mit Currywurst und VIP-Bändchen legendär. Für Berlin mussten sie ins XXL-Format vergrößert werden. International bekannte Künstler, Sammler, Kuratoren, Familie und Freunde waren Gast bei Stoschek, in der manche eine moderne Peggy Guggenheim sehen. Wie jene Sammlerinnen-Legende ist die bald 41-jährige Gesellschafterin des Autozulieferers Brose eine interessante und schöne Frau, international umtriebig, hoch vermögend, exzentrisch und in beiden Welten von Wirtschaft und Kunst bestens vernetzt.

Es gibt viele Gründe, nach Berlin zu gehen, selbst wenn man wie Stoschek bereits ein gut funktionierendes Haus betreibt. Berlin lockt mit Kunstereignissen, Kaufkraft und Vip-Alarm. Die Stadt kann bereits mit beachtlichen Privatsammlungen punkten, darunter so besondere wie in Boros' Bunker oder Olbrichts Me Collectors Room. Berlin ist die Stadt des Wandels - der Wandel wiederum ein maßgeblicher Parameter bei der Kunst, die Stoschek sammelt. Was sich hinter dem sperrigen Titel "zeitbasierte Medienkunst" verbirgt, sind Videos, Installationen, Filme und Fotos, die Verläufe in Echtzeit zeigen und die das Verrinnen von Zeit, das Erleben von Tempo - auch beschleunigt, verlangsamt oder in den Zeitebenen miteinander vermischt - zu einem ästhetischen Ausdruck bringen.

Zeitbasierte Medienkunst gibt es erst seit rund 50 Jahren. 1963 wurde erstmals eine portable Kamera eingesetzt. Die Schwerpunkte in Stoscheks Sammlung sind also älter als ihre Inhaberin. Und dabei manchmal ein Spiegel ihres Temperaments: Die Inhalte der Hauptwerke, die die gebürtige Coburgerin vorzugsweise erwirbt, sind oft grenzüberschreitend, selbstentblößend, radikal, brutal, laut, triebgesteuert - aber sie sind auch poetisch, ästhetisch und/oder zutiefst emotional. Es gibt in der internationalen Videokunst fast kein Tabu. Die Welt flimmert in Echtzeit, die Zeit zuckt, stolpert - oder sie gleitet. Videokunst entspricht dem Gefühl der Generation, die mit dem Sender MTV aufgewachsen ist, einer Generation, der sich Julia Stoschek zurechnet.

"Welt am Draht" heißt die erste Berliner Ausstellung nach einem Film von Rainer Werner Fassbinder. Dass die Welt immer stärker sendet und jeder heute im Netz ein Doppelgängerleben führt, das alles sind Realitäten, denen sich zeitbasierte Kunst stellt. "Zeitgenossenschaft ist der Kerngedanke meiner Sammlung", sagt Stoschek. Wie Zeitkapseln bewahren Kunstwerke die ablaufende Zeit und ihre Empfindungen, ihre Werte und Brüche für ein unendliches Archiv von Zeitlichkeit.

Ein Schlüsselerlebnis, 2003 in New York, brachte Stoschek einst zur Videokunst. "Ich sah die Arbeit von Douglas Gordon: Play Dead. Real Time.", sagt sie. "Man sieht in Überlebensgröße einen Elefanten, der dressiert wurde, sein eigenes Sterben zu spielen. Einem Tier beizubringen, seinen eigenen Tod zu spielen, das hat mich ungeheuer berührt. Man sitzt davor, es wird einem fast schwindelig, alle, wirklich alle Sinne werden angesprochen, der ganze Körper." So kommt vieles zusammen bei dem Sammlerspagat zwischen Düsseldorf und Berlin. Die Metropole passt zu Stoscheks Idee von Kunst, zu der Zerrissenheit des Individuums in der Zeit. Und sie passt ihr privat ins Konzept. Ohne den Namen des Vaters ihres gerade geborenen Sohnes preiszugeben, weiß die ganze Szene, dass der Papa in Berlin lebt. In einer Geburtsanzeige, die sie an Freunde in Düsseldorf verschickte, waren nur die Vornamen von den beiden stolzen Eltern angegeben.

Warum diese Geheimniskrämerei? Warum er nichts sagt und Stoschek ihn öffentlich nicht erwähnt sehen will? Man weiß es nicht. "Der Vater meines Kindes ist meine große Liebe", hat Stoschek immerhin einem Reporter der "Zeit" erzählt. Etwas Innigeres und Schöneres kann man nicht preisgeben.

(RP)
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