Zwei berühmte Theaterautoren versuchen sich in Prosa

Die beiden Dramatiker Roland Schimmelpfennig und Nis-Momme Stockmann legen ihre Debütromane vor - und wollen deutlich mehr als nur erzählen.

Roland Schimmelpfennig (48) und Nis-Momme Stockmann (34) sind anerkannte Theaterautoren, vielfach ausgezeichnet, ihre Stücke werden an den großen Häusern der Republik gespielt. Trotzdem muss es beide gedrängt haben, das Szenische einmal beiseite zu lassen, nicht in gesprochener Sprache zu denken, sondern ungebunden zu erzählen. Und so legen beide in diesen Tagen ihre ersten Romane vor.

Die Ergebnisse sind höchst unterschiedlich: Roland Schimmelpfennig, 1967 in Göttingen geboren, hat mit "An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts" einen Berlin-Roman in Episoden geschrieben. Er bleibt darin seinem dramatischen Ton treu, legt er seine Theaterstücke doch auch meist collagenartig an und schreibt erzählerische Stücke, die virtuos mit Auslassungen arbeiten. Sein Roman zeigt die gleiche Strenge und Kühnheit der Schnitte, kein Wort zu viel.

Es genügen ein paar lakonische Sätze, und der Sound seiner Geschichte hat den Leser erwischt. Man verfolgt etwa die beiden Jugendlichen, die abhauen aus der Provinz und auf dem Weg nach Berlin auf einem Güterzug fast erfrieren. Denkt über den jungen Polen nach, der in Berlin auf dem Bau arbeitet und ein Heimwehleben führt, anders als seine robuste, lebensfrohe Freundin, die bei der Berliner Bohème putzt. Allerdings ist dieses Personal arg vorbildlich aus den sozialen Schichten der Gegenwart rekrutiert.

Dazu lässt der Autor einen wilden Wolf durch Berlin streifen. Alle Figuren erspähen das Tier irgendwann, auch ein Gewehr wechselt die Besitzer. Doch solche Motive bleiben Konstrukte; Schimmelpfennig gerät nie wirklich in Fabulierfluss. So ist sein erzählerischer Minimalismus beeindruckend in seiner Präzision, verhindert aber, dass die Geschichte vom Wolf und den diversen Berlinern erzählerischen Sog entfalten kann.

Anders bei Nis-Momme Stockmann. Der auf Föhr geborene Autor erzählt in "Der Fuchs" eine komplex gebaute Erwachsenwerd-Geschichte aus der norddeutschen Provinz. In langen Erinnerungspassagen begleitet er seine Hauptfigur Finn in dessen Kindheit, erzählt vom Spiel des Außenseiters mit seinen ramponierten Freunden, von Prügeleien am Dorfrand, von Tumbheit, früher Aussichtslosigkeit. Das sind intensive Momente, in die man eintauchen kann.

Doch auch Nis-Momme Stockmann belässt es nicht bei packenden Schilderungen. Eine Springflut bricht über das Dorf herein, der inzwischen erwachsene Finn rettet sich mit zwei Freunden auf ein Dach, taucht von dort oben ab in seine Erinnerungen, in Hirngespinste, in Mythen. So viele Erzähl- und Deutungsebenen schichtet Stockmann übereinander, dass Striche am Seitenrand streckenweise die Erzählebenen kenntlich machen müssen.

Das ist virtuos, treibt den Roman an formale Grenzen und verlangt dem Leser so viel Abstraktionsvermögen und Assoziationsfreude ab wie einem Theaterpublikum. Doch ist Stockmanns Roman da am stärksten, wo Stockmann das alles nicht will. Wo er nur erzählt und darauf vertraut, dass seine Geschichte stark genug ist.

Dramatiker sind Architekten, die ihre Geschichten für die Theaterbühne bauen, raffiniert mit Leerstellen und Verweisen auf andere Stoffe arbeiten, Gegenwartsanalysen in Bilder verwandeln. Das merkt man diesen Romanen an, die mehr wollen als nur erzählen. Und daran scheitern.

Roland Schimmelpfennig: "An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts", S. Fischer, 256 S., 19,99 Euro Nis-Momme Stockmann: "Der Fuchs", Rowohlt, 750 S., 24,95 Euro

(dok)
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