René Kollo "Zum Rentner tauge ich nicht"

Der 80-jährige Tenor geht wieder auf Tournee. Ein Gespräch über Karajan, eigene Aufnahmen und sein liebstes Publikum.

Düsseldorf René Kollo, soeben 80 Jahre alt geworden, war einer der bedeutendsten Heldentenöre des 20. Jahrhunderts. Jetzt geht er noch einmal auf große Tournee, und am Mittwoch, 21. Februar, kommt er nach Düsseldorf - in die Stadt, in der er von 1967 bis 1971 im Rheinopern-Ensemble verpflichtet war. Wir sprachen mit dem Künstler.

Lieber Herr Kollo, ich habe Sie gestern Abend gehört.

Kollo Ach nee. Wo denn?

Auf CD - ich habe Gustav Mahlers 8. Symphonie unter Georg Solti und Wagners "Tristan" unter Carlos Kleiber aufgelegt.

Kollo Na ja . . .

Falsche Wahl?

Kollo Die Mahler-Symphonie war nie mein Ding. Zu schwülstig.

Trotz des Dirigenten Solti?

Kollo Der war natürlich ein toller Hecht, allererste Sahne. Aber man musste mit ihm zurechtkommen.

Woran hakte es?

Kollo Solti wollte jeden Ton 30 Mal verändern. Und dann seine ruckhaften Bewegungen: Bei dem wusste keiner, wo die "Eins" im Takt war. Ich habe nie hingeguckt.

Wer war Ihnen als Dirigent lieber?

Kollo Eindeutig Karajan. Der war ein perfekter Begleiter und hat einen Sänger singen lassen. Nur bei Tempowechseln haben wir auf ihn gehört. Der war wunderbar, er trug einen durchs Stück. Wir haben allerdings nie geprobt, sondern sind die Partitur durchgegangen.

Was wurde da geredet?

Kollo Karajan sagte immer: "Sie sind der Sänger, ich kann Ihnen ja nichts vorschreiben!" Er wusste genau, dass wir eben unsere eigenen Prinzipien des Singens haben. Daran hat er sich orientiert.

Jetzt haben Sie noch nichts zu Carlos Kleibers legendärem "Tristan" gesagt, bei dem Sie die Titelpartie gesungen haben.

Kollo Kleiber war immer erst total begeistert und hat geschwärmt, aber er wollte nicht fertig werden und die Aufnahme für die Deutsche Grammophon freigeben. Als wir die Oper im Kasten hatten, hätte er am liebsten wieder von vorn angefangen. Er war sich nie sicher, er saß auf den Bändern und hatte nur Angst, dass sie auf den Markt kamen und dass irgendjemand eine uninspirierte Stelle fand. Und wenn kein anderer sie entdeckte: Er selbst fand immer ein Haar in der Suppe.

Und Sie?

Kollo Ich kann die Ehrfurcht vor der Aufnahme nicht so ganz verstehen. Solche Anschauungen verselbständigen sich manchmal ja auch, da wird nur ein Kult nachgebetet. Ich finde diesen "Tristan" schön, vor allem den zweiten Akt. Aber für mich ist das abgeschlossen.

Hören Sie sich Ihre eigenen Aufnahmen nicht mehr an?

Kollo Nie. Aus Prinzip nicht. Denn auch ich würde mich ja nur ärgern über Dinge, die ich hätte besser machen können. Nee nee, ich habe keine masochistische Ader.

Da entgeht Ihnen aber etwas, wenn Sie das so rigoros praktizieren. Da waren doch tolle Sachen dabei.

Kollo Na, wenn ich 100 Jahre alt werde, dann höre ich mir das vielleicht doch alles an.

Sie waren von 1967 bis 1971 als Tenor im Ensemble der Deutschen Oper am Rhein engagiert. Was haben Sie hier gesungen?

Kollo Alles Mögliche. Vor allem Janáek. Und natürlich Puccini.

Was denn von Puccini? "La Bohème" oder "Tosca?

Kollo Nee, den Pinkerton in "Madama Butterfly".

Keinen Mozart?

Kollo Doch, aber nur "Titus". Und später mal "Zauberflöte", aber nee halt, das war unter Karajan in Salzburg. Mozart ist ja nun nicht ganz mein Fach gewesen, und er war auch nie mein Lieblingskomponist.

Warum nicht?

Kollo Er hat viele göttliche Sachen komponiert, aber eben auch manche, die . . . nun ja, er wollte und musste halt aufgeführt werden.

Wer sind Ihre Hausgötter?

Kollo Beethoven und Wagner.

Denken Sie gern an Ihre Zeit an der Rheinoper zurück?

Kollo Ja, vor allem an Grischa Barfuss. Der war der beste Intendant, den ich je kennengelernt habe. Er hatte ein grandioses Gespür für Sänger und Künstler, die Rheinoper war eines der besten Häuser weltweit, aber Barfuss hatte auch Politiker, die hinter ihm standen.

Sie sind jetzt 80 Jahre alt. Andere Sänger hören in deutlich jüngeren Jahren auf.

Kollo Warum sollte ich aufhören? Meine Stimme funktioniert noch prächtig, und es wäre langweilig, zu Hause zu sitzen und nichts mehr zu tun. Zum Rentner tauge ich nun überhaupt nicht.

Wären Sie dann ungenießbar?

Kollo Könnte sein.

Was werden Sie Ihrem Düsseldorfer Publikum bieten?

Kollo Ein buntes Programm. Ich werde Geschichten erzählen, die die Leute zum Lachen bringen, dann singe ich die Arie des Pinkerton aus "Butterfly" und die "Winterstürme" aus Wagners "Walküre", dann natürlich auch Berliner Sachen meines Großvaters und meines Vaters . . .

. . . also die beiden Komponisten Walter und Willi Kollo . . .

Kollo . . . genau. Es wird ein Abend mit guter Unterhaltung werden, das kann ich Ihnen versprechen.

Wir sind gespannt. Wo saß eigentlich Ihr allerliebstes Publikum?

Kollo In Japan. Die kannten und kennen jeden Text und jede Note. Unglaublich.

Wenn Sie jetzt erneut jung wären: Würden Sie dieses René-Kollo-Leben noch einmal genauso führen?

Kollo Ja! Ich würde nichts anders machen. Wissen Sie, ich habe doch alle Giganten an meiner Seite erlebt: Dirigenten wie Karajan, Bernstein, Solti und Böhm, Regisseure wie Chéreau, Noelte, Strehler, Friedrich, Kupfer, Opernhäuser wie die Mettropolitan Opera oder Bayreuth. Kinder, das war eine großartige Zeit! Und sie ist ja auch noch nicht vorbei.

WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
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