Wie das Meer auch auf zwei Klavieren grandios wogt

In den Nebeln, Wolken und Schleiern, in denen seine Musik verborgen scheint, versteckt sich auch ein Genie der Musikgeschichte. Er hat der Musik eine Sprache geschenkt, deren Bezeichnung er gleichzeitig ablehnte, und zwar zu dem Zeitpunkt, da er als Erfinder dieser Sprache gerühmt wurde: Impressionismus. Claude Debussy wollte alles sein, nur kein Impressionist, kein Meister des Ungefähren, Vagen, obschon seine Musik mit dem malerischen Impressionismus geistesverwandt ist. Nie empfand sich Debussy als Maler, der seine Musik in der Unschärfe ihrer Konturen verhüllte. Seine Kunst ist herb konstruiert. Sie scheint im Augenblick zu entstehen und wieder zu verschwinden, doch in diesem Moment ist sie von exotisch anmutender Härte.

Wie mag Debussy sein Orchesterwerk "La mer" komponiert haben? Debussy entwarf es allein aus der Vorstellung, und dieses klingende Abbild seiner Phantasie gelang so grandios, dass sich das Meer selbst ein Beispiel an Debussys Musik nehmen könnte. Auf einer wunderbaren neuen CD namens "Colors" (erschienen bei Sony) tritt das Orchester zurück und lässt zwei einsamen Tiefseetauchern den Vorrang, es ist das Klavierduo Yaara Tal und Andreas Groethuysen. Diese beiden Künstler schauen in André Caplets Klavierfassung dem Werk bis auf den Grund, sie entkleiden die Musik ihrer orchestralen Mäntel, Schals und Schaumkronen, doch nie steht sie nackt da. Die Wellen, die Sonne, der Horizont - alles ist da, nun gleichsam als Thriller in Schwarzweiß.

Der Hörer dieser sozusagen ozeanischen Exkursion mit zwei Klavieren begreift erst recht, dass "La mer" Claude Debussys kostbarste Ode an die Natur ist - und gewaltig in der Wirkung gerade dadurch, dass der Komponist nirgendwo im Stück durch erkennbare handwerkliche Mittel in Erscheinung tritt. Der Macher tritt zurück hinter sein Werk und lässt es sprechen, als steige der Wasserspiegel im Moment des Hörens und ebbe dann wieder ab, gelenkt einzig vom Wind und den Gestirnen. Dass diese Illusion allein mit zwei Klavieren möglich ist, also ohne die reiche Natur der Orchesterinstrumente, das ist ein Wunder.

Auf der Platte spielen Tal/Groethuysen noch Musik von Richard Strauss ("Till Eulenspiegel", Walzer aus dem "Rosenkavalier" sowie "Salomes Schleiertanz"), doch die Sensation ist Debussys Meisterwerk auf zwei Klavieren. Nach dem Hören könnte man sagen: In "La mer" erfindet der Komponist das Meer nicht bloß - diese Musik ist das Meer.

(w.g.)
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