Weihnachten in der Psychiatrie

"4 Könige" ist ein experimentelles und berührendes Coming-of-Age-Drama.

Jedes Kind will Weihnachten zu Hause feiern, egal wie böse es war. Die vier Teenager, die von ihren Eltern über die Feiertage in der Psychiatrie abgeladen werden, waren offenbar sehr böse. Alex (Paula Beer) ist ihrer Mutter aus dem fahrenden Auto gesprungen. Lara (Jella Haase) hat eine Dosis Kokain zu viel eingeworfen und leidet seitdem unter Psychosen und Angstattacken. Timo (Janis Niewöhner), frisch aus der Geschlossenen, hat mal den Kopf seiner Mutter auf die heiße Herdplatte gedrückt. Was der stille Fedja (Moritz Leu) verbrochen hat, erfährt man nicht. Nur dass er auf dem Schulhof in den versuchten Selbstmord gemobbt wurde.

Eine Jugendversion von "Einer flog über das Kuckucksnest"? Manchmal, besonders wenn die eiskalte Oberschwester Simone (Anneke Kim Sarnau) todesengelgleich durch die grell beleuchteten Gänge geistert. Deutsches Coming-of-Age-Drama mit rebellisch-neurotischen Jugendlichen, etwa so wie "Vincent will Meer"? Ja, auch. Aber vor allem ist "4 Könige" auf wunderbar gerade Art sein eigener Film. Eine aufwühlende Studie über vier verlorene Kinder, die wie Könige geliebt werden sollten und stattdessen ein Leben im emotionalen Exil führen.

Mit dem als Kleines ZDF-Fernsehspiel produzierten Drama gibt Regisseurin Theresa von Eltz ein Kinodebüt, das bei anderen Regisseuren ohne Probleme als Reifezeugnis durchgehen würde. Die frustrierten Kids sollen die Festtage in der fast menschenleeren Station unter der Aufsicht des jungen Therapeuten Dr. Wolf (Clemens Schick) hinter sich bringen. Dessen Therapieansatz ist, gelinde gesagt, experimentell. Er erlaubt Alkohol und Ausflüge in den Wald, setzt auf Selbstbestimmung und offene Gruppengespräche statt auf Regeln und verriegelte Türen. Weil vor allem die freizügige Lara und der gewalttätige Timo unberechenbar mit der Freiheit umgehen, hängt die Frage richtig oder falsch wie ein Damoklesschwert über den folgenden paar Tagen.

Von Eltz arbeitet viel mit frontalen Interview-Einstellungen und spontan wirkenden Frage-und-Antwort-Spielen zwischen den Teenagern. Ständig filmt jemand die anderen mit der Videokamera, was für eine greifbare, fast dokumäßige Unmittelbarkeit sorgt. In den Hauptrollen sind mit Jella Haase, Jannis Niewöhner ("Rubinrot"), Moritz Leu ("Der Nachtmahr") und Paula Beer ("Poll") vier Shootingstars zu sehen. Die Ensembleleistung an "4 Könige" ist, dass man daran die ganze Zeit über nicht denkt. Jella Haase schafft gar das Kunststück, einen sofort ihre Chantal aus "Fack Ju Göthe" vergessen zu lassen. Haases ungewohnt respektvolles Spiel hat gute, wichtige Gründe, wie überhaupt der ganze Film. Das wird einem klar, wenn man von Drehbuchautorin Esther Bernsdorff die Entstehungsgeschichte hört: Sie hatte die Idee zum Skript, als ihr ein Arzt erzählte, dass viele Familien an Weihnachten ihre Kinder in der Psychiatrie abgeben.

(RP)
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