Thriller „Konklave“ Wahlgeheimnisse

Im neuen Thriller von Bestsellerautor Robert Harris geht es um die mysteriöse Wahl eines neuen Papstes. "Konklave" heißt das neue Werk des Briten.

An diesem Nachmittag und an diesem Ort erscheint die Macht und die Größe der Kirche greifbar zu sein. Denn in der Suite auf der fünften Etage des piekfeinen "Excelsior" bieten die Fenster zur Straße praktisch nur eins: den mächtigen Kölner Dom. Und im Schatten der gotischen Kathedrale nächtigt Robert Harris, der mit Bestsellern wie "Vaterland", "Enigma", "Ghost" und "Pompeji" sowie der Cicero-Trilogie zum vielfachen Auflagen-Millionär wurde und jetzt einen Thriller geschrieben hat, der sich dem widmet, was sich direkt vor dem Fenster so pompös aufbaut - der katholischen Kirche. Genauer: den Geheimnissen und Mysterien der Papstwahl. Und da Harris bei den Titeln seiner zumeist umfänglichen Romane stets mit nur einem Wort auskommt, heißt sein neues Werk auch einfach nur "Konklave".

Der 59-jährige Brite hat sich damit aus der Antike rausgeschrieben und ist ausgerechnet mit der Kirche in der Gegenwart angekommen. Dennoch ist er auf für ihn fremdem Terrain geblieben. So hat er die vergangenen beiden Papstwahlen von Benedikt und Franziskus lediglich am Fernsehen verfolgt, er ist weder Katholik noch Baptist und nicht einmal getauft. "Ich glaube nicht, weil ich Gott nicht verstehen kann, aber ich respektiere den Glauben", sagt er uns mit Blick aus dem Fenster. Ob er denn im Schatten des Doms besonders gut oder vielleicht auch besonders schlecht träume? Nichts von alldem. "Ich schaue nachts nicht auf die Kirche, aber ich habe doch das Gefühl, als schaue die Kirche auf mich."

Wenn das so ist (und warum sollte man Robert Harris nicht glauben?), dann wird sie den Schlafenden milde lächelnd betrachten. Denn der Brite lästert nicht über Kirchenstaat und Kirchenmacht. Er weckt die Faszination für das, was sich mysteriös hinter geschlossenen Mauern abspielt. Und dafür hat Harris, der einstige Cambridge-Student, wieder einmal akkurat recherchiert, bei aller sogenannten dichterischen Freiheit. Dennoch ist seine eingestreute Episode über Pius XII. bei den Wahrheitsliebenden in die Kritik geraten. Das sei dann doch des Guten beziehungsweise Bösen zu viel, wenn Harris nebenbei erzählt, wie der verstorbene Heilige Vater während der Trauerfeier im Sarg regelrecht explodiert sei. Da man den Körper nicht fachgerecht einbalsamiert hatte, konnten sich Verwesungsgase mit nämlicher Wirkung bilden. Harris mag manches erfunden und hinzugedichtet haben, die explosive Episode allerdings gehört nicht dazu.

Harris ist für den Thriller nach Rom gereist. Er durfte Santa Marta besuchen, das Gästehaus der Kardinäle. Er hat sich den Speisesaal anschauen und die Schlafräume inspizieren dürfen. Er ist in den vatikanischen Gärten herumspaziert und hat zumindest eine Ahnung davon bekommen, was es heißen könnte, dort als Papst und als Hirte von 1,2 Milliarden Katholiken den Alltag zu leben.

Papst Franziskus hat er nicht getroffen. Harris hat nicht einmal um ein Interview gebeten, da er sich keine Chancen ausgerechnet hat. Behauptet er jedenfalls. Vielleicht fürchtete sich der Autor auch vor heiklen Rückfragen des Heiligen Vaters. Zum Beispiel, welcher Papst im Roman denn eigentlich sterbe und somit Anlass zum Konklave gebe. Dann hätte der Brite einräumen müssen, dass ein unkonventioneller Reformer unter den Päpsten das Zeitliche gesegnet habe. Er heißt zwar nicht Franziskus, doch dürfte es selbst frommen Lesern schwerfallen, nicht auch an ihn zu denken.

Weil der Brite mehr erfahren wollte, befragte er auch einen Kardinal, der über Konklave-Erfahrung verfügt. Ein nettes Gespräch sei es gewesen. Doch was er schließlich verraten habe, nennt Harris in Sichtweite des Doms "very, very little". Auf gut Deutsch: so gut wie nichts. Seine ertragreichste Quelle war somit das geheime, später veröffentlichte Tagebuch eines Kardinals aus dem Konklave 2005. Eine Fundgrube. Seit diesen Aufzeichnungen wissen wir, dass Ratzinger bereits im ersten Wahlgang 47 Stimmen bekam, aber ein unbekannter Außenseiter bis zum Schluss im Rennen lag - Jorge Mario Kardinal Bergoglio, der spätere Papst Franziskus.

In der Romanfigur des Kardinalstaatssekretärs Lomeli - dessen Laster die Vorliebe für Krimis ist - scheint sich Harris selbst ins Buch hineingeschmuggelt zu haben. Zumindest seine Beobachtungen. "Ein geisterhaftes Dasein", führe der Papst, denkt sich der brave Kardinal beim Spaziergang durch die Gärten. Und : "Niemand von Verstand kann das Papstamt wollen." Gleichwohl, in "Konklave" sind es gleich vier Kardinäle, darunter ein Nigerianer - es wäre der erste Dritte-Welt-Papst! - und ein besonders konservativer, harter Knochen mit dem sprechenden Namen Tedesco. Schließlich taucht noch zur Überraschung aller ein Kardinal auf, den der Papst heimlich, also "in pectore" (im Herzen), ernannt hatte. Es ist der Erzbischof von Bagdad.

Das Tolle bei Harris ist, dass er kaum mehr tut als die Wirklichkeit nachzuerzählen. Die Gerüchte unter den Kardinälen, die Intrigen, das Buhlen um Mehrheiten, das Kokettieren bei eigenen Ambitionen. Das gibt es alles bei der Wahl in der Sixtinischen Kapelle und hinter geschlossenen Türen. Robert Harris macht daraus einen glaubhaften Psychokrimi, in dem Weltgeschichte mit der Größe der Sixtina vorlieb nehmen muss. Genau das habe ihn so fasziniert: "wie sich bei dieser so intimen Wahl derart viel Macht und Einfluss manifestiert".

Mitunter wird ein Konklave, bei dem Kardinäle um den Beistand des Heiligen Geistes bitten, zum Spiegel der profanen Welt. Natürlich finden sich unter den hohen Würdenträgern auch Populisten, sagt Harris, vor allem anti-islamische Kräfte, die sich mit dieser Haltung Zustimmung bei den Verängstigten und Verzagten im Kirchenvolk erhoffen. Die Welt kommt also auch zum Vorschein - in einer Kapelle, für ein paar Tage, in ein paar Wahlgängen.

Mit dem spannenden Harris-Thriller ist es wie beim Konklave. Wer zu viel aus dem Buch verrät, zerstört das Mysterium. Die Kunst ist, dass Harris nichts kommentiert, aber vieles erzählt. Geschichte ereignet sich, und der Leser wird Teil von ihr. Das ist nicht jene Fassade, die sich uns bietet, wenn der weiße Rauch aufsteigt, "Habemus Papam" verkündet wird und "einen Augenblick später aus Hunderttausenden von Kehlen hoffnungsfroher Beifall aufbrandete". Mit diesem letzten Satz aus dem Roman verlassen wir die intime Welt des Vatikans und stehen wie alle anderen wieder draußen vor den Toren. Davor aber waren wir Augenzeugen vom Ränkespiel und einer Welt des Glaubens, die an sich selbst oft zweifelt. So wird ein Vertrauter Lomeli verraten, dass der verstorbene Papst zuletzt den Glauben verloren habe - nicht an Gott, aber an die Kirche.

Ob es sich im Konklave genau so und nicht anders zuträgt, spielt keine große Rolle. Lesern reicht die Verführung zu glauben, dass es sich so ereignet haben könnte.

Bis auf das Ende: Da greift Robert Harris wirklich in die Vollen, mit einer Pointe, die vieles auf den Kopf stellt - vor allem Glaubensgrundsätze und Kirchengeschichte. Wer also der neue Papst ist und was es mit ihm auf sich hat, weiß nur Kardinal Lomeli, natürlich der liebe Gott, Robert Harris und nach 350 Seiten auch der Leser.

(los)
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