Eine Frage Des Stils Von jungen Männern und alten Knaben

"Ich bin über 70 Jahre alt und stehe durchaus vollwertig im Leben", schreibt Heinrich B. aus Krefeld. "Ein Jüngling bin ich dennoch nicht. Trotzdem werde ich in der Öffentlichkeit als ,junger Mann' angesprochen. Manche sagen, das sei doch nett gemeint. Für mich aber handelt es sich um eine Provokation."

Früher war es so: Man ging an der Hand der Mutter ins Geschäft, und wenn die Wursttheke erreicht war, fragte eine der rosigen Verkäuferinnen: "Scheibe Fleischwurst für den jungen Mann?" Schwer zu sagen, was besser ankam - Angebot oder Anrede. Die Fleischwurst schmeichelte dem Magen, der "junge Mann" dem Ego. Man war ja schließlich noch ein Knirps.

Dann, eines Tages, ist man nicht mehr der Jüngste. Dazu sollte man stehen, auch wenn das heutzutage gar nicht selbstverständlich ist. Wie auch immer: Wer jetzt beim Einkaufen noch eine Scheibe Wurst angeboten bekommt, bei dem müssten schon ein paar Alarmglocken angehen. Ähnlich irritierend auf alte Knaben kann es wirken, angesichts der unübersehbaren eigenen Reife noch als "junger Mann" tituliert zu werden. Stil hat vor allem mit Respekt zu tun, und eine solche Anrede empfinden nicht wenige als distanzlos, unangemessen, geringschätzig, ja sogar als unhöflich.

Das ist jedermanns gutes Recht - auch wenn es in der Regel überhaupt nicht abwertend gemeint ist. In Wahrheit greifen die Deutschen zu dieser oft albernen Anrede, weil ihnen die ernsthafte lange abhandengekommen ist. Wie leicht bringt der Franzose ein Monsieur, Madame oder Mademoiselle über die Lippen? Italiener werfen mit Signore, Signora, Signorina nur so um sich, und die Angelsachsen können jederzeit auf ein gepflegtes Sir oder Madam zurückgreifen. Wer hierzulande aber Worte wie "mein Herr", "gnädige Frau" oder gar "Fräulein" in den Mund nimmt, wirkt wie aus einer anderen Zeit gefallen.

Das mag man bedauern, aber es rechtfertigt noch lange nicht jenes "junger Mann" oder "junge Frau", wie es einem so oft entgegenschallt. Dabei gibt es Alternativen: Wer seine Anrede mit einem schlichten "guten Morgen", guten Tag" oder "guten Abend" beginnt, kann schließlich absolut nichts falsch machen. Höflicher und respektvoller klingt es allemal. Wie aber soll man reagieren, wenn's mal wieder zu kumpelhaft wird? Am besten deutlich - und mit einem Augenzwinkern: Schon mal mit "Liebes Kind, das mit dem ,jungen Mann' sollten Sie sich noch mal in Ruhe überlegen" versucht?

Schicken Sie uns ihre Frage an: stilfrage@rheinische-post.de

(RP)
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