Bochum Verurteilt, Stiller zu sein

Bochum · Max Frischs literarischer Durchbruch wird in Bochum gezeigt.

Die lungenkranke Tänzerin Julika (Therese Dörr) sitzt bis zum Kopf in eine Decke eingehüllt auf einer Liege im Lungensanatorium von Davos. Stiller, ihr Mann, überhäuft sie mit Vorwürfen. "Du hast dir ein Bildnis von mir gemacht", sagt Julika. Ihre Stimme klingt scharf und verletzlich. Es sind die letzten Worte zwischen den beiden, bevor Stiller verschwindet. Für sieben Jahre. Julika und Stiller - das ist eine Liebe, die an einem utopischen Bilderverbot zerbricht. Für Stiller ist es Versagen. Als Mann und als Mensch. Er fühlt sich schuldig.

Ein graues Gefängnis mit gut zehn Meter hohen Mauern, vergitterten Fenstern, einer Lautsprecheranlage und mehreren schweren Stahltüren hat der Bühnenbildner Maze de Boer für die Theaterfassung von Max Frischs Weltroman "Stiller" auf die Bühne des Bochumer Schauspielhauses gebaut. Regisseur Eric de Vroedt lässt James Larkin White alias Anatol Stiller (Michael Kamp) mit den Fäusten auf einen Tisch trommeln. "Ich bin nicht Stiller!" - der berühmte Satz aus dem Roman, mit dem der Ich-Erzähler trotz erdrückender Beweisführung seine wahre Identität verweigert. Die Szene nimmt immer wieder surrealistische Züge an, verstärkt durch Videoeinspielungen und Klangcollagen. Der spannendste Einfall des Abends ist, wenn der Regisseur mit einem Doppelgänger Stillers (Damir Avdic) arbeitet. Biografie wird ein Spiel. Wie in einem Versuchslabor gibt es Rückblenden auf die Gelenkstellen seines Lebens, an denen die Illusionen scheitern. Der alte, whiskydurchtränkte Stiller schaut auf den jüngeren, emotionaleren Stiller, der aus Angst, den Frauen und der Welt nicht zu genügen, sich in einen nervigen Narzissmus verstrickt. Durch stumme Gesten kommentiert der Bildhauer Stiller sein früheres Leben, ohne es ändern zu können. Er kann sich selbst nicht entkommen, trotz aller Versuche, ein anderes Ich durch neue Geschichten zu erfinden. Hier hat die Inszenierung dichte Momente.

Ein Gericht verurteilt Stiller schließlich, Stiller zu sein. Bei aller Präzision des Szenenaufbaus und aller Dynamik der szenischen Taktung bleibt die Aufführung steril, vor allem an den Stellen, wo hauchzarte Intimität gefordert ist. Was gibt es Intimeres als die Frage nach der eigenen Identität? Julika stirbt an Lungenkrebs. Stiller bleibt alleine im fahlen Lichtkegel zurück.

Info Aufführungen am 10. und 17. April, Karten unter 0234 33335555

(RP)
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